14.09.23: Migranten und Helfer auf der italienischen Insel Lampedusa.
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14.09.23: Migranten und Helfer auf der italienischen Insel Lampedusa.

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Tausende Migranten: Chaos auf Mittelmeer-Insel Lampedusa

Immer wieder werden ohnmächtige Menschen aus dem überfüllten Lager getragen: Die Flüchtlingslage im Süden Italiens spitzt sich zu – Lampedusa steht laut dem Bürgermeister unter "großem Stress". Derweil werden in Bayern die warnenden Stimmen lauter.

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Die Ankunft tausender Migranten innerhalb weniger Tage bringt die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa an ihre Grenzen. In dem völlig überfüllten Erstaufnahmelager im Zentrum kommt es derzeit teils zu chaotischen Szenen. Auf Videos ist zu sehen, wie die Menschen – viele erkennbar erschöpft – dicht gedrängt in der prallen Sonne ausharren. Ihnen gegenüber stehen Sicherheitskräfte vor den Toren des Lagers. In italienischen Medien ist von einer "explosiven" Stimmung zu lesen.

Seit Wochenbeginn haben weit mehr als 8.000 Menschen per Boot die kleine Insel zwischen Sizilien und Nordafrika erreicht. Allein am Dienstag kamen rund 5.000 Menschen an. Wegen der Nähe zur tunesischen Küstenstadt Sfax gehört Lampedusa seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa. Der Stadtrat der Insel rief angesichts der zugespitzten Lage am Mittwochabend den Notstand aus. Bürgermeister Filippo Mannino forderte von der Regierung in Rom mehr finanzielle und logistische Unterstützung für die Insel, die unter "großem Stress" stehe.

Migranten auf Lampedusa
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Tausende Migranten: Chaos auf Mittelmeer-Insel Lampedusa

Chaotische Szenen bei Lebensmittel-Verteilung

Das Lager war Medienberichten zufolge noch nie so überfüllt – entsprechend angespannt war die Lage bereits am Mittwochabend. Bei der Verteilung von Lebensmitteln und Getränken kam es Berichten zufolge zu chaotischen Szenen. Bereits zuvor versuchten Menschen, den Hafen zu verlassen und Absperrungen zu durchbrechen. An diesem Donnerstag bleibt die Lage angespannt. Migranten harren vor den hohen Toren des Camps aus, zwischendurch werden erschöpfte oder ohnmächtige Menschen herausgetragen, um von Sanitätern und Sanitäterinnen behandelt zu werden.

In diesem Jahr haben schon mehr Migranten Italien auf dem Seeweg erreicht als im gesamten Vorjahr. Die Menschen brechen meist in seeuntauglichen Metallbooten in Richtung Europa auf. Einige kommen damit aus eigener Kraft an, andere werden von der Küstenwache oder zivilen Seenotrettern an Land gebracht. Nach Zahlen des Innenministeriums in Rom wurden seit Januar bereits mehr als 123.800 Menschen registriert, die auf Booten Italien erreichten. Im Vorjahreszeitraum waren es 65 500.

Klaffender Widerspruch auf Lampedusa

Auf Lampedusa klaffen die Lebensrealitäten weit auseinander. Einerseits ist das Eiland, das näher an der afrikanischen als an der sizilianischen Küste liegt, ein beliebter Urlaubsort. Türkisblaues Wasser und malerische Buchten ziehen Touristen an. Vor der Küste schippern mitunter Ausflugsboote von Urlaubern umher, denen im Hafen die Boote mit den Schutzsuchenden entgegenkommen.

Entfernt von den Stränden befindet sich im Landesinnern das Erstaufnahmelager der Insel – umgeben von einem hohen Zaun und bewacht von Soldaten und Polizisten. In dem sogenannten Hotspot halten sich derzeit rund 6.800 Migranten auf. Das Aufnahmezentrum ist für weniger als 400 Menschen ausgelegt. In der Kommune Lampedusa, zu der auch die Nachbarinsel Linosa gehört, gibt es gerade einmal knapp 6.500 Einwohner (Stand Juli 2023). Mit rund 20 Quadratkilometern ist Lampedusa nur in etwa so groß wie die deutschen Nordseeinseln Amrum oder Langeoog.

Die Bürgerinnen und Bürger sind laut Bürgermeister Mannino inzwischen verzweifelt. "Jeder hat in irgendeiner Weise den Migranten geholfen, die Hilfe brauchten. Aber jetzt ist es wirklich an der Zeit, nach einer strukturellen Lösung zu suchen."

Fähren und Polizeischiffe sollen helfen

Um das Aufnahmelager zu entlasten, sollen am Donnerstag Fähren und Polizeischiffe Menschen nach Sizilien oder auf das italienische Festland bringen. Das Rote Kreuz geht davon aus, dass sich dann auch wieder die Lage im Hotspot entspannen wird. Normalerweise versuchen die Behörden, schneller auf Ankünfte zu reagieren. Die hohe Zahl an Menschen überfordere allerdings die Kräfte, sagte Bürgermeister Mannino. Er forderte etwa zwei Schiffe, die ständig im Hafen stehen, um regelmäßig Menschen von der Insel zu bringen.

Italiens Vize-Regierungschef Matteo Salvini bezeichnete die Ankunft von Tausenden Bootsmigranten auf Lampedusa als "Akt des Krieges". Es sei "keine spontane Episode, sie ist offensichtlich organisiert, finanziert und vorbereitet", sagte der Politiker der rechtspopulistischen Lega am Mittwochabend bei einer Veranstaltung vor Journalisten. Es sei kein Zufall, dass so viele Menschen innerhalb von 24 Stunden ankämen, mutmaßte Salvini weiter. Er forderte die EU zur Unterstützung auf. Man werde nun innerhalb der Koalition darüber diskutieren. Italien wird seit Oktober 2022 von einer Rechtsallianz unter der Führung der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni regiert.

Außenminister warnt vor weiterer Verschärfung

Außenminister Antonio Tajani warnte, die Lage könne sich in den nächsten Monaten weiter verschärfen. "Nicht einmal Europa allein ist in der Lage, ein so großes Problem zu bewältigen, das nicht nur fast ganz Afrika betrifft, sondern auch den Zustrom über die Balkanroute", sagte der Politiker der konservativen Partei Forza Italia der Zeitung "Corriere della Sera". Die Opposition beschuldigte die Regierung, mit ihrer Einwanderungspolitik gescheitert zu sein. Die EU-Kommission in Brüssel erklärte, sie stehe mit der italienischen Regierung in Kontakt zu der Frage, wie mehr geholfen werden könne.

Jahr für Jahr sterben zahlreiche Flüchtlinge bei dem Versuch, über das Mittelmeer in die Europäische Union zu gelangen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen im Jahr 2023 bislang mehr als 2.000 Menschen ums Leben, als sie versuchten, von Nordafrika aus die Küsten von Italien oder Malta zu erreichen.

Deutschland hat freiwillige Aufnahme gestoppt

Erst am Mittwoch hatte die Bundesregierung die freiwillige Aufnahme von Migrantinnen und Migranten aus Italien ausgesetzt. Grund sei, dass sich die italienische Regierung weigere, Geflüchtete in Deutschland nach den Dublin-Regeln der Europäischen Union wieder zurückzunehmen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Er verwies zudem auf den "hohen Migrationsdruck nach Deutschland".

Bayern: An mehreren Orten Wirbel um Unterbringung

Die Unterbringung geflüchteter Menschen wird derweil auch in Bayern immer schwieriger. Im unterfränkischen Miltenberg ist es zum wiederholten Mal nicht gelungen, sich auf die Einrichtung einer Unterkunft zu einigen. Der Stadtrat lehnte am Mittwochabend das Vorhaben ab, das unbebaute Areal am Alten Bahnhof für eine Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung zu stellen. Im Juli war die Umwandlung einer Lagerhalle im Gewerbegebiet im Stadtrat gescheitert.

Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) hatte sich schon mehrfach mit Hilferufen an die Bundesregierung gewandt. Die Kommunen seien bei der Betreuung von geflüchteten Menschen am Limit, betont Scherf.

Landrat Gruber: Brandbrief ans Bundesinnenministerium

CSU-Landrat Sebastian Gruber aus Freyung-Grafenau schildert in einem Brandbrief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Flüchtlingssituation im Grenzgebiet zwischen Bayern und Tschechien. Laut ihm ist die Lage vor Ort dramatisch. Im September wurden laut Landratsamt rund 150 illegale Migranten aufgegriffen, hinzu komme eine hohe Dunkelziffer.

In seinem Schreiben fordert der Landrat Faeser auf, sich "einen umfassenden Eindruck in einer markanten Grenzregion" zu machen. Sie solle die Probleme ernst nehmen und gemeinsam mit allen Beteiligten an konkreten Lösungen arbeiten.

Mit Informationen von dpa, Reuters und AFP

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