Pässe, Dokumente, Unterschriften: So sieht die neue Realität vieler Ukrainer aus, die nach Deutschland kommen.
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Pässe, Dokumente, Unterschriften: So sieht die neue Realität vieler Ukrainer aus, die nach Deutschland kommen.

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Ukraine-Flüchtlinge: Zwischen Terminen, Telefonaten und Tränen

Vor einem Monat sind die Ukrainerin Ulyana, ihre Mutter Irena und ihre Tochter Marija in Niederbayern angekommen. Nach der Registrierung erhalten sie jetzt finanzielle Hilfe. Doch die nächsten Schritte sind ein Kraftakt - mit Terminen und Tränen.

Knapp einen Monat sind sie in Bayern, in Sicherheit: die Ukrainerin Ulyana, ihre Mutter Irena und ihre Tochter Marija. Seit ihrer Ankunft in Niederbayern müssen die Frauen bürokratische Hürden bewältigen. Unzählige Dokumente, Unterschriften und stundenlange Termine in einer fremden Sprache - unmöglich alleine zu schaffen.

Deutsche Bürokratie: Unterstützung durch Paten

Für diese Behördengänge braucht es ehrenamtliche Paten, die sie dabei unterstützen. Auf der Homepage des Landratsamtes Deggendorf können sich Freiwillige melden. Familien wie die von Ulyana sind darauf angewiesen.

Doch es ist auch der Zusammenhalt der Frauen, der ihnen dabei Mut gibt. Sie sind immer zu dritt unterwegs. Es gibt keinen Tag, an dem eine von ihnen alleine zu den Behörden geht. Es gibt keinen Tag, an dem sie jammern oder sich beschweren, wenn sie wieder ihre Unterschrift unter etwas setzen müssen, das sie zunächst nicht verstehen. Denn sie wissen: "Uns wird geholfen, wir sind sicher".

Aufenthaltstitel: Grüner Zettel als ständiger Begleiter

Sie gehen gemeinsam als Familie und mit Paten einen Schritt nach dem anderen: Mitte März hat sich die Familie beim Ankerzentrum Deggendorf registriert, hat mittlerweile einen Aufenthaltstitel in Form eines grünen Zettels mit Passfoto, der sechs Monate gültig ist - ihr ständiger und wichtigster Begleiter. Während die Frauen auf die nächsten Termine bei der Ausländerbehörde warteten, haben sie eine eigene Wohnung in Iggensbach im Landkreis Deggendorf gefunden und sind inzwischen in der Gemeinde gemeldet - auch dank der Hilfe vieler Ehrenamtlicher.

Behörden-Marathon: Mit Geduld zu finanzieller Hilfe

Diese Woche zeigte sich wieder: Es braucht Zeit, Geduld und vor allem Hilfe beim Behörden-Marathon. Erneut haben die ukrainischen Frauen einen Termin bei der Ausländerbehörde vereinbart. Sie erhielten zum ersten Mal finanzielle Hilfe vom Staat, mithilfe ihres grünen Zettels. Dafür ist die Familie persönlich bei der Ausländerbehörde erschienen, der Pate als Übersetzer mit dabei. Der Vorteil aber: Ulyana spricht sehr gut Englisch. Nach eineinhalb Stunden und acht Unterschriften hielten die Ukrainerinnen zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Bargeld in den Händen. "Ich kann es nicht glauben, ich bin wirklich froh und sehr, sehr dankbar", sagt Ulyana.

Um nicht jeden Monat persönlich zur Behörde gehen zu müssen, will die Frau ein Bankkonto eröffnen. Doch auch dafür braucht es viele Dokumente, wie die Meldebescheinigung am Wohnort, den Nachweis über den Aufenthaltstitel sowie eine Steuer-ID. Diese hat Ulyana erst nach der Meldung in der Gemeinde erhalten, auch das hat gedauert.

Nächster Schritt: Eröffnung eines Bankkontos

Bei der Bank wurden alle Dokumente kopiert und gescannt, nächste Woche bei einem erneuten Termin soll das Bankkonto schließlich eröffnet werden. Die Bankkarten werden innerhalb der nächsten zwei Wochen per Post zugeschickt. Heißt: warten. In solchen Momenten der Unsicherheit braucht Ulyana Zuspruch und eine Umarmung. Dann fasst sie neuen Mut, will den nächsten Termin bei der Bank selbst angehen, ohne Pate, ohne Hilfe: "Ich will es versuchen, ich muss es irgendwann allein können".

Situation in der Heimat belastet

Neben all den Behördengängen wird in persönlichen Gesprächen klar, wie sehr die Situation die Frauen belastet. Es ist ein Kraftakt: zwischen Terminen, Telefonaten mit der Heimat und Tränen. Während sie all die Dokumente bei den verschiedenen Behörden unterschreiben, wirken sie gefasst und stark. Während sie in ihrer neuen Wohnung die Zeit bis zum nächsten Termin vor dem Fernseher überbrücken, sind sie beim Anblick der ukrainischen Nachrichten und bei den Worten ihres Präsidenten Selenskyj den Tränen nahe, sind verletzt und wütend. "Wir hatten so ein schönes Leben", sagt Ulyana. Dann holt sie ihr Handy: Die Fotos und Videos darauf zeigen ihre Heimat. Die Frauen umgeben von Freunden, Familie, mal in ukrainischer Tracht, mal im Schneeanzug.

Es sind Fotos, die eben jenes Leben und jene Männer zeigen, die sie zurücklassen mussten. Dann wendet sich Ulyana kurz ab, holt tief Luft und ist wieder in ihrem neuen Leben, in Deutschland. "Wir sind wirklich unglaublich dankbar", aber sie wollen wieder zurück, in die Ukraine, in ihr Haus in Lwiw. "Der Krieg muss enden".

Sprachkurs: Anträge ans BAMF, Hilfe vom Bildungszentrum

Auch beim Sprachkurs ist Geduld angesagt: Täglich fragen die ukrainischen Frauen, wann sie endlich Deutsch lernen können. Täglich nutzen sie bereits Online-Angebote, um sich die deutsche Sprache bis zum Beginn des Sprachkurses selbst beizubringen. Denn: Auch hier treffen sie wieder auf die "deutsche Bürokratie" - ein Begriff, den die Ukrainerinnen mittlerweile auf Deutsch aussprechen können.

Um einen Sprach- beziehungsweise Integrationskurs zu erhalten, muss ein Antrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellt werden. Ein Deggendorfer Bildungszentrum hat die Frauen beim Ausfüllen der Anträge unterstützt. Die zwölfjährige Marija jedoch erhält keinen Deutschkurs, da ein Mindestalter von 16 Jahren gilt, wie es vom Bildungszentrum heißt. Marija wird in der Schule die deutsche Sprache lernen.

Ukrainische Kinder in deutschen Klassen

Das Mädchen darf nächste Woche zum ersten Mal den Unterricht an der Mittelschule Winzer besuchen. Sie kommt in die sechste Klasse. Parallel versucht sie über Distanz- und Online-Unterricht die siebte Klasse in der Ukraine abzuschließen. Sogenannte "Willkommensklassen" für ukrainische Kinder gibt es noch nicht, wie es vom Schulamt im Landkreis Deggendorf heißt. Es fehlt an Personal - und vor allem an Lehrkräften, die Deutsch und Ukrainisch sprechen.

Mittlerweile sind jedoch schon 22 Schüler im Landkreis Deggendorf in regulären Klassen untergekommen, ab nächster Woche kommt Marija dazu. "Ich bin schon sehr aufgeregt", gibt die Zwölfjährige zu. Ihr Vorteil: Sie hatte schon drei Jahre lang Deutschunterricht in der Ukraine.

Sprache als Schlüssel für deutschen Arbeitsmarkt

Ulyana und ihre Mutter hingegen dürfen einen Sprachkurs in Deutschland besuchen. Die Sprache ist der Schlüssel für den deutschen Arbeitsmarkt. Denn für viele Jobs braucht es deutsche Sprachkenntnisse. Doch es gibt viele Fragen beim Ausfüllen der Anträge für das BAMF: "Wie kommen wir zum Sprachkurs?", "Wann beginnt er?" oder "Wann darf ich dann arbeiten?". Für die Antworten auf ihre Fragen ist es noch zu früh: Erst müssen die ausgefüllten Bescheide vom BAMF per Post zurückgeschickt werden. Wie lange das dauert? Darauf hat auch das Bildungszentrum keine Antwort. Die Frauen müssen wieder warten.

  • Zum Artikel "Orientierung für Geflüchtete: Apps, Hotlines und Berufsberatung"

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