Praxisanleiterin Jessica Skotak mit Pflegeschülerin Bianca Lang bei der Behandlung eines Senioren.
Bildrechte: BR/Judith Zacher

Praxisanleiterin Jessica Skotak mit Pflegeschülerin Bianka Lang bei der Behandlung eines Seniors.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Pflegenotstand: Erfüllt die neue Ausbildung die Erwartungen?

Es gibt zu wenig Pflegekräfte in Bayern und deutschlandweit - das ist bekannt. Eine Neustrukturierung der Pflegeausbildung sollte es richten. Doch immer noch brechen viele ab, weil es auch nach zwei Jahren noch "Startschwierigkeiten" gibt.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Es ist halb acht am Morgen und für Pflegeschülerin Bianka Lang ist es heute schon der dritte Hausbesuch. Gemeinsam mit Pflegerin Jessica Skotak besucht sie Senior Dieter Schmiedek. Blutzucker messen und Insulin spritzen stehen auf dem Programm, das kann Bianka Lang schon selbst machen.

Beim nächsten Hausbesuch bei Irmgard Weber braucht sie dann wieder Hilfe. Jessica Skotak zeigt ihr, wie man Kompressionsstrümpfe faltenfrei anzieht. Sie nimmt sich Zeit dafür, erklärt viel, sogar für ein Schwätzchen mit der Seniorin bleiben noch ein paar Minuten. Die lobt die beiden - sie ist zufrieden. So mache die ambulante Pflege Spaß, meint Pflegeschülerin Bianka Lang.

Ausbildung in allen Pflegebereichen

Die neue Ausbildung sieht vor, dass alle Pflegeschülerinnen und -schüler Praktika in den drei Bereichen Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege machen und sich nicht wie bisher im Vorfeld auf einen Bereich festlegen. Dadurch hofft man, dass mehr Schüler Interesse an der Altenpflege bekommen, weil in diesem Bereich besonders viele Pflegekräfte fehlen.

Außerdem sind die Schülerinnen und Schüler dann später flexibler einsetzbar. Wer etwa nach einigen Jahren im Krankenhaus lieber Teilzeit arbeiten möchte, geht der Pflege möglicherweise nicht ganz verloren, sondern sucht sich eine neue Stelle in der ambulanten Pflege.

Neue Ausbildung kostet Betriebe Geld und Zeit

Allerdings läuft auch zwei Jahre nach Einführung der neuen Ausbildung noch nicht alles rund. Der Grund: Noch gibt es zu wenig Praxisanleiter und -anleiterinnen. Pflegefachkräfte müssten dafür eine Zusatzausbildung und jährliche Fortbildungen machen. Ihre Betriebe kostet das Geld und Zeit, auch nachdem sie die Ausbildung absolviert haben.

Denn wenn die Praxisanleiter Zeit brauchen, um Pflegeschüler zu betreuen, können sie weniger Patienten versorgen. In Betrieben, in denen das Personal sowieso knapp ist, ist das schwer umsetzbar. So gibt es nach wie vor Fälle, wie den einer Pflegeschülerin: Sie musste eine Altenheimstation allein versorgen - die Stunden seien der Schule aber als Praxisanleitung gemeldet worden, berichtet sie.

Wenig Konsequenzen bei schlechten Pflegepraktika

Ein schwäbischer Schulleiter, der anonym bleiben will, sieht genau hier eines der Hauptprobleme der generalistischen Ausbildung. Für die Ausbildungsbetriebe sei es nicht einfach, genügend Einrichtungen zu finden, in denen die Pflichtpraktika absolviert werden können.

Wenn es eine Einrichtung mit den Praxisanleiterstunden nicht so genau nehme und die Auszubildenden als volle Arbeitskraft einsetze, habe das nach seiner Erfahrung deshalb oft keine Konsequenzen. Die Ausbildungsbetriebe könnten es sich schlicht nicht leisten die Praktikumsplätze zu verlieren. Es sei so schon kaum möglich, Plätze für alle Pflichtpraktika zu finden, nachdem der Praktikumsanteil so erhöht wurde.

Schlechte Erfahrungen führen zu hohen Abbruchquoten

Die Konsequenzen sind allerdings fatal: Viele Pflegeschüler fühlen sich nach wie vor überfordert, weil sie voll arbeiten sollen. Das weiß auch Nils Schmidbauer von der Gewerkschaft Verdi: "Sie sagen dann: Aber das sind doch Menschen und keine Bauteile. Was, wenn ich etwas falsch mache?" Das führe auch psychisch zu einer massiven Überlastung, so Schmidbauer weiter.

Katharina Heymann von Verdi bestätigt: Die Abbruchquote in der Pflegeausbildung sei mit etwa 30 Prozent höher als in den meisten anderen Ausbildungsberufen. Das habe sich auch mit der generalistischen Pflegeausbildung noch nicht gebessert. Anders als bei anderen Ausbildungsberufen sei aber nicht das zu niedrige Gehalt das Problem, sondern die Arbeitsbelastung. Knapp 7.000 Auszubildende hätten im Schuljahr 2020/21 die Ausbildung begonnen, heißt es von Seiten des Kultusministeriums. Aktuelle Zahlen, wie viele noch dabei seien, gebe es derzeit nicht.

Schüler empfinden hohen Druck

Denn zum Druck in den Praktika komme noch der in der Schule. Zwei Pflegeschülerinnen, die kurz vor ihrer Zwischenprüfung stehen, berichten etwa, dass sie nicht wissen, was sie genau lernen sollen. Auch die Lehrer könnten nicht weiterhelfen. Dass es ein gewisses Chaos gebe, bestätigt auch ein Schulleiter: Der Lehrplan sei bei der Einführung der Ausbildung nicht fertig gewesen.

Die Schulen hätten trotz Personalmangels selbst Konzepte aufstellen müssen. Trotz der derzeit "herausfordernden Rahmenbedingungen", so das Kultusministerium in einer Stellungnahme, arbeiteten die Schulen "mit großem Engagement und Einsatz an der Ausgestaltung der neuen Ausbildung".

Der Zeitplan ist hier sehr dicht getaktet, das setzt die Schülerinnen und Schüler eigenen Angaben zufolge unter Druck: Die Zeiten für Schule und Praktika sind vorgegeben – und damit auch der Urlaub. Wer etwas verpasst, muss selbst Zeit finden, um es nachzuholen. Schülerinnen berichten, dass sie deshalb Angst haben und teilweise krank arbeiten. Denn wer etwa bei mehr als einem Viertel der Pflichtpraktika fehlt, wird auch nicht zur Prüfung zugelassen.

Probleme werden durch persönlichen Einsatz gemildert

In der ambulanten Sozialstation in Dillingen fangen sie die noch bestehenden Mängel der Ausbildung mit persönlichem Einsatz auf, obwohl sie mehr Praktikanten betreuen als je zuvor. Praxisanleiterin Jessica Skotak bereitet für Praktikantin Bianka Lang zum Beispiel schriftliche Aufgaben zur Prüfungsvorbereitung vor - Arbeit, die nicht extra vergütet wird.

Laut Angaben des Ministeriums sollen alle anfallende Kosten über eine Pauschale für die Ausbildung gedeckt werden. Dafür, so der Geschäftsführer der Sozialstation, Philipp Schaal, sei die aber zu niedrig. Trotzdem sieht er keine andere Lösung: "Das sind unsere zukünftigen Mitarbeiter, die wir hier ausbilden. Wenn wir selber nicht dafür sorgen, dass die nachkommen, woher sollen sie dann kommen?"

Pflegeschülerin Bianka Lang auf Hausbesuch bei Senior Dieter Schmiedek.
Bildrechte: BR/Judith Zacher
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Pflegeschülerin Bianka Lang auf Hausbesuch bei Senior Dieter Schmiedek.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!