Der "Verein für Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern aus Krisengebieten" bietet schulische Betreuung für ukrainische Kinder.
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Der "Verein für Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern aus Krisengebieten" bietet schulische Betreuung für ukrainische Kinder.

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Initiative statt Bürokratie: Unterricht für ukrainische Kinder

Geflüchtete Kinder aus der Ukraine sollen schnell integriert werden. Die Regierung will deshalb an Schulen Willkommensgruppen einrichten. Während es vielerorts noch an der Bürokratie hakt, hat ein Münchner Verein schon mit der Betreuung begonnen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Sie sollen in die Schule gehen können, Deutsch lernen - und so auch ein Stück Normalität erfahren: Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) will geflüchtete Kinder aus der Ukraine schnell integrieren - mithilfe spezieller pädagogischer Angebote. Nach drei Monaten Aufenthalt greift in Deutschland die Schulpflicht, so lange will die Regierung aber nicht warten. An bayerischen Schulen sollen sogenannte Willkommensgruppen eingerichtet werden - eigene Klassen für ukrainische Kinder. Doch noch hakt es vielerorts an der Umsetzung.

Nicht genug Personal für Willkommensgruppen

Almut Wahl sitzt in ihrem Büro vor einem 20-seitigen Schreiben des Kultusministeriums und schüttelt verärgert den Kopf. Sie ist Leiterin der Mittelschule an der Feldbergstraße in München. Die Schulen in Bayern sollen Willkommensgruppen für geflüchtete Kinder aus der Ukraine einrichten und dafür Personal finden - etwa ukrainische Lehrkräfte. "Das klingt wahnsinnig toll und durchdacht", meint Wahl. In der Praxis sei das aber nicht so einfach. "Wir versuchen natürlich zu tun, was wir tun können und zu helfen. Aber für so eine Willkommensgruppe haben wir schlicht kein Personal", meint die Schulleiterin. Der Lehrermangel sei ohnehin schon enorm. Corona habe die Lage zusätzlich verschärft.

Als Leiterin der Fachgruppe Schulleitung im Münchner Lehrer- und Lehrerinnen-Verband ist Wahl auch im engen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Schulen. Viele seien an der Belastungsgrenze. "Die Lehrkräfte können irgendwann nicht mehr, die brechen zusammen", warnt Wahl. In dem Konzept des Kultusministeriums vermisst sie vor allem konkrete Vorschläge zur Umsetzung. "Einfach zu sagen: Sie machen es irgendwie möglich, weil Sie an den Schulen ja immer alles möglich machen, das ist ein bisschen dünn." Das Ministerium müsse auch mal anerkennen, dass die Situation nicht einfach sei, und nicht nur Schönfärberei betreiben, so Wahl.

Bildrechte: Almut Wahl / Mittelschule an der Feldbergstraße München
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Almut Wahl, Leiterin einer Münchner Mittelschule, ist verärgert über das Konzept des Kultusministeriums.

Ukrainische Kinder im regulären Unterricht - Sprachhürde bleibt

13 Kinder aus der Ukraine hat die Mittelschule jetzt aufgenommen. Sie wurden in die sechsten bis achten Klassen verteilt und nehmen am regulären Unterricht teil. In Kunst, Musik und Sport funktioniere das gut, meint die Schulleiterin. Schwierig werde es bei Fächern wie Deutsch. Zufällig sei ein Lehrer an der Schule, der Russisch spricht und die Kinder sprachlich unterstützen kann.

"Wir haben darauf geachtet, dass in jeder Klasse mindestens zwei ukrainische Kinder sitzen", erklärt Wahl. "Denn die Kinder können die Sprache nicht, haben Angst, was sie da erwartet und sind dann froh, wenn sie wenigstens ein anderes ukrainisches Kind neben sich haben."

Bürokratische Hürden für Lehrkräfte aus Ukraine

Was den Aufbau der Willkommensgruppen zusätzlich erschwert, sind bürokratische Hürden - etwa für Lehrinnen und Lehrer aus der Ukraine. Wer an einer Schule unterrichten will, braucht ein polizeiliches Führungszeugnis und einen Masernschutznachweis, sagt Bettina Betz, die das staatliche Schulamt in München leitet. "Die Schule muss ein geschützter Raum für alle Schülerinnen und Schüler sein, und diesen Schutz wollen wir natürlich auch den ukrainischen Kindern bieten", so Betz.

Da jedoch viele ukrainische Lehrkräfte auf der Flucht ihre Unterlagen zurückgelassen haben, habe man nun Anfang der Woche eine Lösung für das bürokratische Problem gefunden. Ab sofort reicht für ukrainische Geflüchtete statt polizeilichem Führungszeugnis eine Selbstauskunft. Der Nachweis über den Masernschutz kann später nachgereicht werden. Trotzdem müssen Schulen erst einmal Formulare ans staatliche Schulamt schicken, bevor die Regierung von Oberbayern eine ukrainische Lehrkraft einstellen kann. Der Prüfvorgang dauere in der Regel etwa eine Woche, sagt Betz.

Münchner Verein trommelt zusammen

Während es mit den Willkommensgruppen also noch an vielen Schulen hakt, ist ein neu gegründeter Münchner Verein schon weiter. Der "Verein für Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen aus Krisengebieten" hat seit Kriegsbeginn ein breites Netzwerk aufgebaut, Ehrenamtliche und Pädagogen zusammengetrommelt und zur Unterstützung auch Unternehmen mit ins Boot geholt.

Rechtsanwalt Christian Steinpichler, einer der Mitbegründer des Vereins, erklärt, alles habe mit der Anfrage einer Mandantin angefangen: Ob er die Möglichkeiten sehe, Räume für geflüchtete Kinder zur Verfügung zu stellen. Aus der Anfangsidee einer Spielgruppe wurde schnell ein umfassendes Betreuungskonzept - mit sowohl schulischer als auch therapeutischer Betreuung, um ukrainische Kinder aufzufangen.

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Anke Martens-Merk (links) und Christian Steinpichler (rechts) sind Mitgründer des Vereins, Anastasiia Amosova (Mitte) betreut und unterrichtet.

"Enorme Hilfsbereitschaft von allen"

Einige von Steinpichlers Mandanten, gastronomische Unternehmen, lieferten Essen und Trinken. Mitbegründerin Anke Martens-Merk, die vor einigen Jahren auch bereits die Waldorfschule München Südwest mit aufgebaut hatte, konnte Räumlichkeiten organisieren: In ebenjener Waldorfschule waren zufällig fünf ehemalige Klassenzimmer frei.

Innerhalb von zwei Tagen wurden die Räume wieder funktionstüchtig gemacht. Eltern der Schule haben mitgeholfen, die Fluchttreppe wieder aufgebaut, Tafeln montiert, Möbel und Stühle geliefert. "Das war eine enorme Hilfsbereitschaft von allen", freut sich Martens-Merk. Selbst der Schulkoch habe sich sofort bereit erklärt, auch für die ukrainischen Kinder zu kochen.

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Der "Verein für Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern aus Krisengebieten" bietet schulische Betreuung für ukrainische Kinder.

Betreuung von rund 200 Kindern

Seit Mitte März wuseln die ukrainischen Kinder nun durch die Räume in der Waldorfschule - inzwischen sind es rund 200. Zwölf Lehrkräfte und Ehrenamtliche - viele selbst aus der Ukraine - geben Unterricht aufgeteilt nach Altersgruppen. Ärzte betreuen die Kinder therapeutisch. "Die Kinder waren in einer Schocksituation, als sie hier ankamen. Das löst sich nach rund einer Woche, dann steigen die Traumata auf", erklärt Martens-Merk.

Der Verein habe nun ein ganzes Ärzteteam zusammen, das den Kindern zur Seite stehe. Anfangs hätten sich die Kinder noch sehr vorsichtig in den Räumlichkeiten bewegt, erinnert sich Oliver Altehage, Geschäftsführer der Waldorfschule, der die Räume zur Verfügung gestellt hat. "Gestern bin ich auf dem Schulhof aber von einer Gruppe ukrainischer Kinder fast über den Haufen gerannt worden. Es ist schön zu sehen, dass sie jetzt doch Zutrauen haben und genau so frech sind wie unsere Schüler", sagt Altehage.

Weniger Bürokratie dank Notfallbetreuung

Die Finanzierung des Vereins sei derzeit noch etwas fraglich, sagt Christian Steinpichler. Er hofft, mit steigenden Spendengeldern bald auch Lehrkräfte beschäftigen zu können. Die Bürokratie fällt im Verein weitgehend weg. Denn eine Lizenz zum offiziellen Schulbetrieb hat der Verein nicht. Das Ganze läuft als Notfallbetreuung.

Ziel sei es, die Kinder an den bayerischen Lehrplan heranzuführen, ohne dass sie dabei den Kontakt zu ihrer Kultur verlieren. Mittelfristig sollen die Schülerinnen und Schüler daher zweisprachig unterrichtet werden, erklärt Steinpichler. Bald will der Verein in größere Räumlichkeiten umziehen, um künftig bis zu 800 geflüchteten Kindern aus der Ukraine zu helfen.

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