Der Gerichtssaal des Landgerichts Hof. Vorne am Richterpult stehen zwei Männer und eine Frau.
Bildrechte: BR/Anne Axmann

Vor dem Landgericht Hof soll heute das Urteil im Fall des getöteten Mädchens in einem Wunsiedler Kinderheim fallen.

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Tod im Kinderheim Wunsiedel: Urteil für heute Mittag erwartet

Am Landgericht Hof fällt heute das Urteil im Fall des in einem Wunsiedler Kinderheim missbrauchten und getöteten Mädchens aus Waldsassen. Der Vergewaltigung angeklagt ist ein 26 Jahre alter Müllwerker. Getötet haben soll das Mädchen jedoch ein Junge.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten Franken am .

Knapp ein Jahr, nachdem die zehnjährige Lena aus Waldsassen im Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef in Wunsiedel sexuell missbraucht und getötet wurde, wird das Urteil erwartet. Vor Gericht steht der 26-jährige Daniel T. Verantwortlich für den Tod des Kindes soll aber ein Zwölfjähriger sein.

Angeklagter: "Ich bereue die Taten zutiefst!"

"Es tut mir leid": Mit diesen Worten des 26-jährigen Angeklagten ging der Prozess vor dem Landgericht am 6. März zu Ende, nachdem Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehalten hatten. Zwei Wochen später soll jetzt das Urteil über einen Mann fallen, der ein zehnjähriges Mädchen sexuell missbraucht hat.

Dass es im Anschluss von einem anderen Kind getötet wurde, soll er zu keinem Zeitpunkt gewollt haben, sagte er in seiner Einlassung am ersten Prozesstag: "Ich weiß, dass es keine Entschuldigung gibt, ich bereue die Taten aber zutiefst."

Zehnjährige tot aufgefunden: Was war geschehen?

Im April des vergangenen Jahres wurde die zehnjährige Lena aus Waldsassen tot in einem Bett des Wunsiedler Kinderheims St. Josef gefunden. Die Ermittlungen der Sonderkommission "Park" ergaben: Das Mädchen war sexuell missbraucht und anschließend getötet worden. Die Auswertung zahlreicher Spuren – darunter ein gestohlener TV-Stick zum Empfang von Filmen und Bezahlsendern – führte die Ermittler letztlich zu einem Müllwerker aus dem Landkreis Wunsiedel. Seit Februar muss sich der heute 26 Jahre alte Daniel T. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und zahlreichen Einbruchsdiebstählen vor dem Landgericht Hof verantworten.

Auf der Suche nach Diebesgut soll er in das Kinderheim durch ein offen stehendes Badezimmerfenster eingestiegen und auf einen damals noch elfjährigen Heimbewohner getroffen sein. Zwischen den beiden habe sich ein Gespräch mit sexuellen Inhalten entwickelt, so die Ermittlungen. Die Folge: Der Angeklagte befriedigte sich vor dem Jungen und missbrauchte die zehnjährige Lena. Im Anschluss habe er das Heim verlassen, so seine Aussage während des Prozesses. Die beiden Kinder gerieten anschließend offenbar so in Streit, dass der Junge das Mädchen erdrosselt haben soll.

Während des Prozesses wird klar: Eine Beteiligung an der Tötung des Mädchens kann dem 26-Jährigen nicht nachgewiesen werden. Dass hingegen der Zwölfjährige das Mädchen getötet hat, scheint unbestritten. Er ist jedoch strafunmündig.

Was die Staatsanwaltschaft fordert

Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren, wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung. Zudem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt. Auch ein Wohnungseinbruchsdiebstahl und vier Diebstähle werden Daniel T. zur Last gelegt.

Eine Beteiligung an der Tötung der zehnjährigen Lena könne ihm allerdings nicht nachgewiesen werden, so die Staatsanwaltschaft. Die Aussagen des heute Zwölfjährigen seien nicht ausreichend, um eine Tatbeteiligung des Angeklagten zu beweisen.

Was die Verteidigung fordert

Der Verteidiger des angeklagten 26-jährigen Mannes plädierte auf sechs Jahre und schloss sich im Wesentlichen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an. Das bestätigte ein Gerichtssprecher im Anschluss an die Plädoyers, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehalten wurden.

Auch der Verteidiger soll betont haben, dass die Aussagen des Jungen unglaubwürdig seien. Dieser soll – ebenfalls nicht-öffentlich – den Angeklagten beschuldigt haben, ihn zur Tötung von Lena gedrängt zu haben.

Was das Kinderheim sagt

"Laut" – mit diesem Adjektiv wurde der Junge immer wieder von Menschen charakterisiert, die ihn kannten. Aber auch als sozial, neugierig, ehrlich und Erwachsenen gegenüber kontaktfreudig, so der Heimleiter. Das Wunsiedler Kinderheim St. Josef und der Betreiber aus Regensburg hielten sich während der Ermittlungen und des Prozesses allerdings mit Aussagen zurück. Sie betonten vielmehr, wie belastend die gesamte Situation für alle Heimkinder sei.

Lediglich am ersten Prozesstag wurden Heimleiter und Betreuerinnen als Zeugen gehört und vermittelten so zumindest einen Eindruck vom zum Tatzeitpunkt Elfjährigen. Der Heimleiter bezeichnete den Zustand des Jungen, als dieser von der Kinder- und Jugendpsychiatrie Bayreuth ins Kinderheim St. Josef kam, als stark traumatisiert. Er habe erhöhten therapeutischen Bedarf gehabt, eine Fremd- oder Selbstgefährdung habe allerdings nicht vorgelegen, betonte er.

Was ein Gutachter über den Angeklagten sagt

Das Kinderheim in Wunsiedel kannte der Angeklagte Daniel T. aus seiner eigenen Kindheit. Mit drei Jahren war er das erste Mal selbst dort. Insgesamt sei die Kindheit des heute 26-Jährigen von einem häufigen Wechsel zwischen Heimen, Pflegefamilien und Psychiatrien geprägt gewesen, so ein sachverständiger Gutachter vor Gericht.

Als Erwachsener habe Daniel T. dann aber "die Kurve gekriegt" und sich ein eigenständiges Leben aufgebaut. Der Kauf und Ausbau eines Hauses hätten ihn und seine Lebensgefährtin dann aber finanziell überfordert: Eigenen Schätzungen zufolge betragen die Schulden des Angeklagten etwa 210.000 Euro. Eine Neigung zu Pädophilie sei ebenfalls erkennbar, so der Gutachter. Der 26-Jährige gilt als voll schuldfähig.

Was ein Gutachter über den Jungen sagt

Manipulativ und suggestiv sei die Frageweise der Ermittler gewesen, so ein Sachverständiger vor Gericht. Er kritisierte die Art und Weise, wie der Junge befragt wurde, massiv. Eine Kriminalpsychologin hatte mehr als 50 Stunden mit dem Jungen gearbeitet, um ein Gutachten über seine Gefährlichkeit und Rückfälligkeit anzufertigen. Der Sachverständige betonte, wie unterschiedlich die Aussagen des Jungen seien.

Sein Fazit: Er könne die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Jungen nicht beurteilen, weil diese zu stark von dem beeinflusst seien, was die Ermittler durch ihre Frageweise vorgegeben hatten. Die Aussage des heute Zwölfjährigen fand während des Verfahrens unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auch Videoaufnahmen seiner Befragung wurden hinter verschlossenen Türen gezeigt.

Was der Anwalt des Jungen sagt

Während des gesamten Prozesses wurde der heute Zwölfjährige durch einen Anwalt als Nebenkläger vertreten. Ihm geht es dabei um die Zukunft des Jungen mit der drängenden Frage: Wo und wie wird der Zwölfjährige künftig betreut?

Mit mehreren Beweisanträgen hatte der Anwalt des Jungen immer wieder versucht, darauf hinzuwirken, dass das Gericht dessen Aussage folgt, er sei unter Druck gesetzt worden und zur Tötung von Lena angestiftet worden. Der Zwölfjährige habe demnach gesagt: "Wenn der Einbrecher nicht gekommen wäre, dann wäre das alles gar nicht passiert", so sein Anwalt Michael Hasslacher.

Was die Anwälte der Eltern sagen

Ein gerechtes Urteil fordern die Anwälte der Eltern des missbrauchten und getöteten Mädchens. Die getrennt lebenden Eltern waren beide als Nebenkläger aufgetreten. Allerdings waren sie nie selbst im Landgericht Hof vor Ort anwesend. "Das wäre psychisch viel zu belastend, zumal das Medieninteresse auch so groß ist", erklärte die Anwältin des Vaters, Martina Fuchs-Andonie, beim Prozessauftakt. Ihr Mandant werde allerdings ihrer Meinung nach kein Urteil zu hören bekommen, das sein Rechtsempfinden befriedigen werde.

Die Eltern hatten beide auf eine eindeutige Täterbenennung gehofft. Sie richteten einen Appell an das Gericht, dass dafür gesorgt werde, dass nie wieder ein Täter einem Kind so einen Schaden zufügen könne und den Boden dafür bereiten könne, dass das Kind am Ende tot sei, so Anwältin Martina Andonie-Fuchs nach den Plädoyers im Gespräch mit BR24.

Lena war nur vorübergehend im Wunsiedler Kinderheim untergebracht. Sie sollte wenige Tage später wieder zu einem Elternteil zurückkehren. Dass sie in dieser Zeit starb, sei für alle sehr schwer zu verkraften, so der Anwalt der Mutter.

  • Zum Artikel: Kinderheime: "Es gibt Situationen, da ist keiner vorbereitet"

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