Markus Söder: Wie will die Staatsregierung die Betroffenen von sexuellem missbrauch unterstützen?
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Markus Söder: Wie will die Staatsregierung die Betroffenen von sexuellem missbrauch unterstützen?

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Söder sagt Missbrauchs-Betroffenen Hilfe zu - doch reicht das?

"Mehr Staat" bei der Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch: Das fordern Betroffene und Kinderschutzexperten. Ministerpräsident Söder hat den Opfern Unterstützung zugesagt. Was dazu bislang beschlossen ist, reicht vielen aber nicht aus.

Über dieses Thema berichtet: STATIONEN am .

"Wo bleibt der Staat, wo bleibt ein Herr Söder?", fragt Hans Dull stellvertretend für viele Betroffene von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Kontext. Hans Dull wurde als Kind misshandelt, in einer Einrichtung im Erzbistum Bamberg. Nach wie vor hat er die traumatischen Erfahrungen in seiner Kindheit nicht verarbeitet. Das wurde zuletzt deutlich während der Radpilgerreise von Missbrauchs-Betroffenen aus Bayern zum Papst nach Rom. Das Motto: "Wir brechen auf! Kirche, bist Du dabei?"

Söder zu staatlicher Anlaufstelle: "Ich bin dafür"

Auch andere Betroffene sowie Kinderschutzexperten haben in den vergangenen Jahren immer wieder auch den Staat angefragt – ob und wie er eigentlich dabei ist - bei der Aufarbeitung. Eine Antwort darauf gibt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der BR-Sendung "STATIONEN": "Wir unterstützen die Kirchen und appellieren daran, dass da auch mehr passiert. Wir haben auch eigene Beratungsstellen bewusst dafür eingerichtet, es gab ja auch eine lange Diskussion, ob und wie weit das notwendig ist. Ich bin dafür."

Kabinettsbeschluss: Lotsenstelle startet im August

Bei diesen "eigenen Beratungsstellen", von denen Söder hier spricht, handelt es sich genauer gesagt um eine einzige Lotsenstelle. Sie soll eine Art zentraler Anlaufpunkt sein für Betroffene von sexuellem Missbrauch. Bei der Stelle sollen sie sich zum Beispiel juristisch und bei der Suche nach für sie passenden Fachstellen beraten lassen können. Lange hatten die Betroffenen für so eine Stelle gekämpft, Klinken geputzt im Justiz- und im Sozialministerium. Während Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sich dafür ausgesprochen, aber als nicht zuständig gesehen hatte, zeigte sich die zuständige Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) weniger aufgeschlossen.

Vergangene Woche nun, just als die Betroffenen mit dem Rad in Rom angekommen waren, beschloss das bayerische Kabinett diese Lotsenstelle. Starten soll sie im August. Mit vier Personal-Stellen, besetzt von Experten unterschiedlicher Fachrichtungen, werde sie ausgestattet sein, teilte das Sozialministerium dem BR nun auf Anfrage mit. Die Finanzierung sei "für das Jahr 2023" gesichert, so ein Sprecher.

Grüne: Lotsenstelle ist nicht Aufarbeitung

Die zuständigen Ministerien würden sich nun "engagiert" um den Aufbau der Stelle kümmern, sagte auch Söder im BR-Interview. Auf die Nachfrage "Sie wollen da nun also voll reingehen?" antwortet der CSU-Politiker: "Ja, natürlich, klar."

Für die Landtagsgrüne Gabriele Triebel ist nichts klar. Eine Anlaufstelle für Betroffene sei nur der Anfang. Was es ihrer Ansicht nach braucht, ist eine unabhängige Aufarbeitungskommission - auch in Bayern: "Momentan ist es ja so, dass jeder Verein, jeder Verband, jedes Bistum machen kann, was er will oder Aufarbeitung gar nicht macht. Der Staat muss hier einen Rahmen setzen, Standards setzen und sagen: hier geht’s lang."

Kinderschutzexperte: Staat muss Umsetzung kontrollieren

Auch Kinderschutzexperten wie dem Jesuitenpater und Psychotherapeut Hans Zollner reicht die angekündigte bayerische Lotsenstelle für Betroffene bei weitem nicht aus. Seit Jahren wirbt er für eine Wahrheits – oder Aufarbeitungskommission. Seine Erfahrung: kaum eine politische Partei wolle sich des Themas annehmen, denn "damit ist kein Blumentopf zu gewinnen".

Bei einem Austausch mit den Missbrauchs-Betroffenen in Rom spricht er die Politik direkt an: "Wie werden die Kriterien erarbeitet, wie eingefordert, wer kümmert sich darum, dass das dann auch nachhaltig umgesetzt wird. Ist die Politik bereit sich dem zu stellen und wie zu stellen?" Eine Aufarbeitungskommission einzurichten sei das eine, Kriterien und Nachhaltigkeit zu schaffen, das andere.

Sozialpsychologe spricht von Staatsversagen

Für den Sozialpsychologen Heiner Keupp, der unter anderem den Missbrauchsskandal im Internat im Kloster Ettal wissenschaftlich untersucht und aufgearbeitet hat, ist Kirchenversagen in diesem Zusammenhang immer auch "Staatsversagen". Denn der Staat habe die Heime und Internate in kirchliche Trägerschaft mitfinanziert, aber nicht kontrolliert. Deshalb trage auch der Staat eine historische Verantwortung für die Skandale in kirchlichen Einrichtungen.

Justizministerium sieht Kirchen und Bund in der Pflicht

Auf BR-Nachfrage beim Bayerischen Justizministerium heißt es: Für die historische Aufarbeitung seien die jeweiligen Institutionen und deren Träger verantwortlich. Minister Eisenreich fordert zudem, dass alle kirchlichen Bistümer Gutachten oder Studien in Auftrag geben und, dass Standards für die Aufarbeitung erarbeitet werden. Hier sieht er den Bund in der Verantwortung.

Bayern will Akten zu Missbrauch länger aufbewahren

Aufhorchen ließ Bayerns Justizminister Anfang der Woche: Gemeinsam mit Niedersachsen hat Bayern bei der Justizministerkonferenz heute und morgen in Berlin den Antrag eingebracht, den Zugriff auf Akten aus Prozessen rund um sexuellen Missbrauch zu verlängern - von fünf auf zehn Jahre. Der Blick in ältere Akten könne die Glaubwürdigkeit von Betroffenen erhöhen, wenn die Vorwürfe den gleichen mutmaßlichen Täter betreffen, so Eisenreich.

Und Ministerpräsident Markus Söder? Er sagte Anfang Mai am Rande eines Besuchs beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZDK) mit Blick auf ein weiteres Engagement des Freistaats: "Die Hauptaufgabe liegt natürlich bei der Kirche, denn dort fand es statt, dort ist die Haupt-Herausforderung und dort muss nun wieder Frieden einkehren."

Doch Frieden finden, das können Betroffene wie Hans Dull wohl erst, wenn sie wissen, dass Aufarbeitung wirklich flächendeckend stattfindet. Und wenn der Staat diese konsequent einfordert, von den Kirchen und Ordensgemeinschaften genauso wie von Vereinen und Verbänden.

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