Schild mit Aufschrift "Überwachungsstaat und Polizeistaat? Demokratie".
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Schild bei Demonstration gegen das Polizeiaufgabengesetz

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"Polizeistaat"? Verfassungsgerichtshof verhandelt über PAG

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof muss sich erneut mit dem Polizeiaufgabengesetz befassen. Der Bund für Geistesfreiheit befürchtet einen Überwachungsstaat und klagt unter anderem gegen die "drohende Gefahr" und die Dauer des Präventivgewahrsams.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Das mehrfach geänderte bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) mache die Türe zu einem "autoritären Polizei- und Überwachungsstaat weit auf", sagt die Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München, Assunta Tammelleo. "Wir wollen sie wieder schließen."

Bereits im Sommer 2018 haben der Bund für Geistesfreiheit Bayern (BfG) und der Bund für Geistesfreiheit München gegen die Novelle des bayerischen PAG Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Jetzt wird verhandelt. Für den Bund für Geistesfreiheit steht fest: Die vom Landtag beschlossenen Neuerungen im PAG sind mit der Bayerischen Verfassung nicht vereinbar.

"Drohende Gefahr" biete "Möglichkeit staatlicher Willkür"

So sei der 2017 neu eingeführte Begriff der "drohenden Gefahr" zu "schwammig". Ein Polizeibeamter dürfe bei einer nicht näher definierten Gefahrenlage "meine Post lesen, mein Telefon abhören und meinen PC durchsuchen", kritisiert Tammelleo. Und nicht immer müsse ein Richter dazu gerufen werden. Das biete die Möglichkeit, "staatliche Willkür walten zu lassen" und sei eines Rechtsstaats unwürdig.

Nach massiver Kritik der Opposition im Bayerischen Landtag und einer vom Kabinett eingesetzten Expertenkommission hatte die Staatsregierung 2021 mit Zustimmung des Landtags die allgemeinen Befugnisse der Polizei bei "drohender Gefahr" beschränkt. Die Beamten dürfen nur noch tätig werden, wenn "überragend wichtige Rechtsgüter" wie Leben, Freiheit oder die kritische Infrastruktur betroffen sind. Doch der Protest wurde nicht leiser.

Die Münchner BfG-Vorsitzende, Tammelleo, sieht nach wie vor richterlichen Klärungsbedarf. Der Begriff sei immer noch zu "unbestimmt", begünstige Fehleinschätzungen und biete eine "viel zu große Eingriffsmacht in Grundrechte".

Ein Monat Präventivgewahrsam: "völlig unverhältnismäßig"

Geklagt hat der Bund für Geistesfreiheit auch gegen die Dauer, für die die Polizei Menschen präventiv in Gewahrsam nehmen kann. Laut Art. 20 II PAG kann diese vorbeugende Freiheitsentziehung – wenn sie ein Richter anordnet – bis zu einem Monat betragen und insgesamt bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten verlängert werden. Diese "überlange Ausdehnung" des Gewahrsams mache "diese Präventivhaft zu einer Strafe auf Verdacht", sagt Tammelleo.

Rechtsanwalt Rudolf P.B. Riechwald, der den Bund für Geistesfreiheit im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vertritt, hält die Dauer von einem, maximal zwei Monaten Präventivgewahrsam "ohne konkreten Tatverdacht, ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft und ohne Durchführung eines öffentlichen Verfahrens" für "völlig unverhältnismäßig und grob verfassungswidrig". In einer Mitteilung schreibt Riechwald von der "eklatantesten" Verletzung des Grundrechts auf Freiheit der Person seit dem Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung im Jahr 1946.

Zuverlässigkeitsüberprüfung als "Einschüchterungsmittel"

Auch die in Art. 60a PAG geregelte "Zuverlässigkeitsüberprüfung" hält der Bund für Geistesfreiheit für nicht verfassungskonform. BfG-Anwalt Riechwald kritisiert sie als "rechtsstaatlich verbotenes potenzielles polizeiliches Einschüchterungsmittel".

Laut Gesetz darf die Polizei "bei Anlässen, die mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden sind", insbesondere bei Großevents, Personen vorab genauer überprüfen. Davon betroffen sind laut Innenministerium allerdings nur Mitarbeiter der Veranstaltung, keine Besucher oder Zuschauer.

Gegen diese besondere Personenüberprüfung ist bereits DIE LINKE Bayern vor den Verfassungsgerichtshof gezogen – ohne Erfolg. Vergangenen Mai wiesen die Richter die Klage ab. Zwar greife die "Zuverlässigkeitsüberprüfung" beispielsweise gleich "in mehrfacher Hinsicht" in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, allerdings nur "mittelschwer". Und weil es bei der Vorschrift um "die Prävention vor erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit" gehe, seien etwaige Eingriffe "verfassungsrechtlich gerechtfertigt".

Staatsregierung hält Klage für unbegründet

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) begrüßte die damalige Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs und nannte die Kritik an Art. 60a PAG eine "billige Stimmungsmache". Zum laufenden Verfahren will sich das Innenministerium nicht äußern.

Die Staatsregierung und die Landtagsmehrheit aus den Regierungsfraktionen halten die Klage des Bundes für Geistesfreiheit für unbegründet. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof will seine Entscheidung am 14. Juni verkünden.

Gegen PAG zahlreiche weitere Verfahren anhängig

Das PAG sorgt seit der ersten Novelle 2017 für Streit. Vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof laufen derzeit mehrere Verfahren von verschiedenen Parteien, Abgeordneten, Professoren und Studierenden.

Auch die Fraktionen von Grünen und SPD im Bayerischen Landtag haben gegen die verschiedenen Neufassungen des PAG vor dem Verfassungsgerichtshof geklagt. Verhandlungstermine diesbezüglich stehen noch nicht fest.

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