Die Polizei hat eine Autowaschanlage in den Riemer Arcaden hochgenommen.
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Mafia in Bayern: Wie die 'Ndrangheta in den Freistaat kam

Geldwäsche, Steuerhinterziehung und der Handel mit Kokain: Die süditalienische Mafiaorganisation 'Ndrangheta ist seit den 1970er Jahren in Bayern ansässig. Vor allem München und Augsburg gehören zu wichtigen Standorten für die Mitglieder.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es ist eine der spektakulärsten Fahndungserfolge für die bayerischen Ermittler. Am 29. März 2010 durchsuchen mehr als 400 Beamte gleichzeitig 71 italienische Restaurants und Bistros, unter anderem in München und Augsburg. Der Grund: Drogenhandel. Die Ermittler nehmen bei der Razzia elf Personen fest. Sie gehören zur 'Ndrangheta-Gruppierung, einer süditalienischen Mafiaorganisation.

Am Mittwoch gelang den Ermittlern erneut ein großer Schlag. Allein im Raum München wurden zehn Objekte durchsucht. Bundesweit waren mehr als 1.000 Beamtinnen und Beamte beteiligt.

Anfänge der 'Ndrangheta in Bayern

In den 1950er Jahren herrscht in Italien eine hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger sind in dem südeuropäischen Land weit verbreitet. Im Wirtschaftswunderland Deutschland dagegen fehlen Arbeitskräfte. Schon bald unterzeichnen beide Länder einen Vertrag, der italienische Gastarbeiter nach Deutschland holt, auch nach Bayern. In Kempten beispielsweise sucht eine große Spinnerei dringend Arbeitskräfte.

In derselben Stadt zerschlägt das Bayerische Landeskriminalamt in den 1980er Jahren eine italienische Bande von Drogenhändlern und Schutzgelderpressern. Es ist das erste Mal, dass die Mafia stärker ins Blickfeld bayerischer Polizeiermittlungen rückt.

In Italien sind die Gesetze zu der Zeit schärfer als in Deutschland. Gerade Bayern ist laut Ermittlern ein beliebtes Durchgangsland für Drogenkuriere. Grenznahe Orte wie Kempten oder Traunstein sind vor allem in der Zeit vor dem Schengener Abkommen interessant. Die Grenze lässt sich leicht beobachten, sodass schnell klar wird, wann weniger kontrolliert wird.

Mafia verdient in München auch am Kokainhandel

Für den Verein "Mafia Nein Danke" gilt die in Kalabrien beheimatete 'Ndrangheta mit Abstand als die bedeutendste der Mafia-Organisationen, erst danach folgen die bekannteren Gruppierungen 'Camorra' oder 'Cosa Nostra'. Die kalabrischen Clans beherrschen die klassischen Gewerbe wie Drogen- oder Waffenhandel. Ihre Umsätze werden auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt, damit ist die Organisation eines der mächtigsten Verbrechersyndikate in Europa.

Das Landesamt für Verfassungsschutz rechnet derzeit mit etwa 80 im Freistaat lebenden Personen der 'Ndrangheta. Sicherheitsbehörden gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vermutet über einhundert Personen in Bayern, die der Mafia-Organisation zuzurechnen sind. Sie sollen unter anderem Restaurants betreiben, die flüchtigen Clan-Mitgliedern eine Zuflucht bieten oder der Geldwäsche dienen. Weitere Geschäftsfelder sind der Immobilienmarkt, das Baugewerbe und die Prostitution.

Herrmann: "Ein kräftiger Schlag"

"Wir müssen immer davon ausgehen, dass es auch eine ganze Menge Dunkelfelder gibt. Dass es Mafiosi in Bayern, in Deutschland gibt, die wir noch nicht erkannt haben, von denen wir noch gar nicht wissen", erklärte Herrmann am Mittwoch. "Aber der Schlag heute, das war schon ein kräftiger Schlag."

Gelungen sei dieser gerade auch dank Hilfe aus Bayern. "Das bayerische Landeskriminalamt hat sicherlich dadurch, dass es hier ein Krypto-Handy auslesen und den Inhalt dann den italienischen Behörden zur Verfügung stellen konnte, sicherlich einen nicht unerheblichen Anteil an diesem großen Schlag. Denn das ist mit die Grundlage dafür gewesen, dass die italienische Justiz jetzt eine Reihe von Haftbefehlen ausgestellt hat, die heute auch in Bayern vollzogen worden sind."

"Deutschland ist ein Geldwäscheparadies"

LKA-Kriminalhauptkommissar Ludwig Waldinger sprach im Interview mit BR24 über das "schlagartige Eindringen" der Spezialeinsatzkräfte in der Früh. "Die Männer, die wir festgenommen haben, konnten im Schlaf überrascht und festgenommen werden." Bayern und Deutschland insgesamt sei ein Geldwäscheparadies, so Waldinger. Die Straftaten würden andernorts begangen, doch hier könne Geld gewaschen werden. Hinweise dazu gab es demnach. "Hier ging es um Geldwäsche im großen Stil."

Zumindest ein Clan konnte nun nach Einschätzung von Waldinger zerschlagen werden. "Das ist aber nur ein kleiner Teil von Leuten, von denen wir glauben, dass sie zur 'Ndrangheta gehören und sich in Bayern aufhalten." Andere Gruppen würden weitermachen.

Im Video: Ermittlungen haben sich über mehrere Jahre erstreckt

Die Ermittlungen im Vorfeld hätten sich über mehrere Jahre erstreckt, so Ludwig Waldinger vom LKA.
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Die Ermittlungen im Vorfeld hätten sich über mehrere Jahre erstreckt, so Ludwig Waldinger vom LKA.

Mafia-Expertin attackiert bayerischen Innenminister

Die Journalistin und Mafia-Expertin Petra Reski relativiert im BR24 "Thema des Tages" den jüngsten Fahndungserfolg. Ihrer Ansicht nach ist es skandalös, wenn der Minister davon spricht, dass Bayern nur ein "Ruheraum" für die Mafia sei. Die Mafia und speziell die 'Ndrangheta investiere hierzulande und begehe die gleichen Verbrechen wie in Italien, so Reski. Zur Bekämpfung von Geldwäsche fehle der politische Wille. Die Mafia sei nie ein Fremdkörper in einer Gesellschaft, sondern immer Teil davon.

Verschiedene Polizeiaktionen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass München und die Region um die bayerische Landeshauptstadt ein Schwerpunktgebiet der 'Ndrangheta sind. Sandro Mattioli, Vorsitzender des Vereins "Mafia Nein Danke", sagt, dass München als Industriestandort italienische Arbeitskräfte stark anzieht, auch wegen der Nähe zu Italien. Hinzu kommt, dass München wegen des gehobenen Bürgertums und dem geeigneten Klientel als Standort für den Kokainhandel sehr interessant sei. Kokain sei für die Organisation die Haupteinnahmequelle in Bayern.

Hohe Mafiadichte auch in Augsburg

Auch Augsburg hat eine relativ hohe Mafiadichte, sagt Mattioli. Dort gehe es vor allem um Geldwäsche und um Machtdemonstration. Das Bundeskriminalamt weiß seit 2008 von mehreren Familien in der schwäbischen Stadt, die einem 'Ndrangheta-Clan angehören sollen, einige von ihnen sind in der Gastronomie tätig. Die italienische Szene ist überschaubar. Doch es zeigt sich, dass die Clans hierzulande genauso strategisch agieren wie in ihrer Heimat Italien. Vor allem während der Corona-Pandemie sollen vermehrt mutmaßliche Mafiosi Gastwirten, die wegen der Pandemie in Schwierigkeiten geraten sind, Kredite angeboten haben.

Bei einer internationalen Razzia im Januar 2018 wurde laut Ermittlungsakte ein Boss eines 'Ndrangheta-Clans in Augsburg lokalisiert. Die italienische Mafia nutzt Städte wie Augsburg häufig auch als Rückzugsort für Mafiosi, die in Italien von der Polizei gesucht werden.

Immer wieder Razzien gegen die Mafia in Bayern

In Bayern kommt es immer wieder zu einzelnen Festnahmen von Clanmitgliedern, zum Teil auch im Rahmen von europaweiten Razzien. Im Oktober 2021 werden im Raum Ingolstadt vier Mitglieder festgenommen. Sie sollen zum Schein Luxusautos mehrfach über Ländergrenzen hinweg und wieder zurückgekauft haben, ohne dass das Fahrzeug jemals bewegt wurde. Dennoch haben die Beschuldigten laut Polizeipräsidium Oberbayern Umsatzsteuererstattungen in Höhe von 13 Millionen Euro kassiert.

Am Mittwochmorgen gelang der Polizei ein großangelegter Schlag gegen Italiens mächtige Mafia-Organisation, der zum Teil jahrelange Ermittlungen vorausgegangen sind. Insgesamt zehn Objekte wurden in Stadt und Landkreis München durchsucht, darunter Wohnungen und eine Auto-Waschanlage. Die Ermittler fanden unter anderem mehrere Kilo Marihuana und nahmen vier verdächtige Männer fest. "Die heutigen Razzien sind eine der größten bislang durchgeführten Operationen im Kampf gegen die italienische organisierte Kriminalität", hielt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dazu fest. In ganz Europa kam es insgesamt zu mehr als150 Festnahmen.

Im Video: Spezial-Einsatzkräfte der Polizei bei der Großrazzia in München

Spezial-Einsatzkräfte der Polizei am Morgen bei der Großrazzia in München
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Spezial-Einsatzkräfte der Polizei am Morgen bei der Großrazzia in München

Dieser Artikel ist erstmals am 3. Mai 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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