Rund einen Monat vor der Landtagswahl bildet der "BR24 Wahl - Der Talk" den Auftakt in die heiße Phase des Wahlkampfs. Politiker aller sechs im Landtag vertretenen Parteien stellen sich den Fragen von Ursula Heller und  Christian Nitsche.
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Die Runde von "BR24 Wahl - Der Talk".

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Landtagswahl: Die Alternativ-Partner bringen sich in Stellung

In der BR-Talkrunde grenzen sich die Vertreter der Ampelparteien vor allem von den Freien Wählern ab – und heben jeweils Gemeinsamkeiten mit der CSU hervor. Zur Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger ist der Ton auffällig zurückhaltend. Eine Analyse.

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Den Start der Talkrunde hätte man durchaus anders erwarten können. Seit die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger publik wurde, hatten sich Spitzenpolitiker der bayerischen Opposition mit lautstarker Kritik am Freie-Wähler-Chef nicht zurückgehalten. SPD, Grüne und zwischenzeitlich auch die AfD forderten den Rücktritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten. Aiwanger sei eine "Schande Bayerns" (SPD) und habe dem Ansehen des Freistaat "massiven Schaden" zugefügt (Grüne).

Auch die Sendung "BR24 Wahl - Der Talk" beschäftigte sich zu Beginn mit Aiwangers Rolle in der Affäre - gemessen an den bisherigen Vorhaltungen äußerten sich die Oppositionsvertreter aber auffällig zurückhaltend. FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen sagte, er habe einen aufrichtigen Umgang Aiwangers mit den Vorwürfen "ein bisschen vermisst", er finde aber nicht, dass jemand, der mit 16 einen Fehler gemacht habe, nie mehr politische Ämter innehaben dürfe. SPD-Chef Florian von Brunn zog eine Linie von Aiwangers Schulzeit zur Heizungsdemo in Erding im Juni, wo Aiwanger die Gesellschaft gespalten und wie Donald Trump gesprochen habe. "Das finde ich eben nicht richtig, Herr Aiwanger", sagte von Brunn. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Katharina Schulze, hält die deutsche Erinnerungskultur durch das Verhalten der FW-Chefs für beschädigt. Schärfer wurde es im Ton aber nicht: keine weiteren Rücktrittsforderungen, kein Frontalangriff auf den Wirtschaftsminister.

Aiwanger zur Entschuldigung: "Wie man es macht, ist es falsch"

Aiwanger selbst sagte zu möglichen judenfeindlichen Witzen in seiner Schulzeit, er wisse nicht mehr, wer wann welchen Witz gemacht habe, ob er mitgelacht oder selber einen erzählt habe. "Sollte ich irgendwo Fehler gemacht haben, entschuldige ich mich in jeder Form dafür", so Aiwanger. Manche hätten jedoch auch gefragt, wofür er sich überhaupt entschuldige. Zu viel entschuldigen, zu wenig entschuldigen - "wie man es macht, ist es falsch", sagte Aiwanger.

AfD-Spitzenkandidat Martin Böhm nahm den FW-Chef in Schutz: So wichtig Demut auch sei, man dürfe nicht "inflationär" Schuld über damals Minderjährige kippen. "Das war eine ganz andere Zeit vor 35 Jahren", so Böhm. CSU-Innenminister Joachim Herrmann verteidigte die Entscheidung seiner Partei, sich frühzeitig auf die Freien Wähler als Wunschpartner für die nächste Koalition festgelegt zu haben: "Wir stehen dazu."

Machen aktuelle Umfragen die Opposition zahmer?

Was die Reaktionen der Bevölkerung zur Causa Aiwanger angeht, sagte von Brunn: "Es gibt auch viele Leute, die das noch nicht so bewerten können." Vielleicht ist das so. Vielleicht treibt Sozialdemokraten, Grüne und Liberale aber auch die Sorge um, dass viele Leute die Affäre durchaus bewerten - nur eben nicht zu ihren Gunsten. Aktuelle Umfragen aus dieser Woche sehen die Freien Wähler leicht verbessert – Aiwangers Strategie, sich als Opfer einer Kampagne zu stilisieren, könnte also aufgehen. Gut möglich, dass die Opposition am Mittwochabend auch ein wenig zahmer daherkam, um dieser Erzählung kein weiteres Futter zu geben. In der kommenden Woche könnte der neue BR-BayernTrend mehr Aufschluss bringen.

Vorher beschäftigt sich noch der bayerische Landtag mit der Affäre. Auf Antrag der Ampelparteien kommt am heutigen Donnerstag der Zwischenausschuss zusammen und um über Aiwangers Rolle zu debattieren. Es wird auch um die Entscheidung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gehen, seinen Stellvertreter im Amt zu belassen. SPD und Grüne haben bereits angekündigt, dass sie die Entlassung des Wirtschaftsministers beantragen wollen.

Ampelvertreter arbeiten Gemeinsamkeiten mit der CSU heraus

In der TV-Debatte rüstete die Opposition Aiwanger gegenüber verbal also ein wenig ab - inhaltlich positionierten sich Grüne, SPD und FDP dafür ziemlich deutlich gegen die Freien Wähler und ihren Spitzenkandidaten. Außerdem wirkten die Vertreter der Ampelparteien bestrebt, jeweils eigene Gemeinsamkeiten mit der CSU herauszuarbeiten. "Ich gebe Herrn Herrmann recht", sagte der SPD-Chef von Brunn, als es darum ging, die Wirtschaft für eine klimaneutrale Zukunft umzustellen.

Bei der Frage, wie viele neue Polizisten es im Freistaat brauche, nannte Schulze (auch innenpolitische Sprecherin der bayerischen Grünen) die Zahl 500 pro Jahr und sagte, sie und Joachim Herrmann dürften schon seit zehn Jahren die Innenpolitik im Freistaat machen: "Wir sind in diesen Diskussionen regelmäßig und gemeinsam", so Schulze mit Blick auf den Austausch im Innenausschuss. Und als FDP-Chef Hagen sagte, er wolle Klimaschutz "nicht gegen die Menschen, sondern mit den Menschen, mit Außenmaß, mit Innovation und nicht durch Verzicht und Deindustrialisierung", da antwortete wiederum CSU-Mann Herrmann: "Da sind wir uns ja einig." Angesprochen auf die Überschneidungen mit der Opposition, sagte Herrmann, auch das müssten Demokraten untereinander ansprechen können: "Man muss jetzt auch nicht kunstvoll um alles streiten."

Söders rote Linie könnte Grünen, SPD oder FDP eine Chance bieten

Tatsächlich muss man nicht jedes zustimmende Kopfnicken als Koalitionsangebot interpretieren, es drängte sich aber der Eindruck auf, dass sich Grüne, SPD und FDP schonmal als mögliche Alternative zu den Freien Wählern in Stellung bringen. Die CSU hat sich zwar klar dafür ausgesprochen, die schwarz-orange Koalition fortzusetzen. Im Zuge der Flugblatt-Affäre hatte Ministerpräsident Markus Söder aber auch eine rote Linie gezogen: "Es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen", hatte er mit Blick auf die Vorwürfe gegen Aiwanger gesagt. Bis zur Landtagswahl am 8. Oktober sind es noch mehr als vier Wochen, völlig auszuschließen sind weitere Enthüllungen rund den FW-Chef nicht. Grüne, Sozialdemokraten und Liberale, so scheint es, stünden jedenfalls bereit.

AfD-Vertreter Böhm verbringt einen eher ruhigen Abend

Wie auch immer die nächste Staatsregierung aussehen wird, die AfD dürfte dabei keine Rolle spielen. Ihr Vertreter Martin Böhm verbrachte insgesamt einen eher ruhigen Abend. Als sich Regierung und Opposition über Windkraftausbau und Migration stritten und sich gegenseitig immer wieder ins Wort fielen (ein harmonisches Kaffeekränzchen war diese TV-Debatte auch nicht), saß Böhm häufig still daneben, bis er von den Moderatoren zu einem Redebeitrag aufgefordert wurde. Das mag auch an Böhms Naturell liegen, stand aber auch ein Stück weit symbolisch für Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit: Während sich die Ampelparteien im Bund untereinander keilen und die bayerische Staatskanzlei in Richtung Berlin schimpft, klettert die AfD in deutschlandweiten Umfragen, ohne selbst viel dafür zu tun.

Auf Inhalte seiner Partei angesprochen, sagte Böhm beim Thema Migration, dass sogenannte Pull-Faktoren (also Anreize, um nach Deutschland einzuwandern) abgeschafft werden müssten. Die Idee, für den Klimaschutz auf E-Mobilität umzustellen, nannte er "abstrus". Temperaturänderungen habe es über die Jahrtausende immer gegeben, Bayern und Deutschland hätten darauf global betrachtet keinen Einfluss.

Aiwanger zu Schwarz-Grün: "Ich wünsch' viel Spaß"

Nicht ganz so hart, aber mit einer ähnlichen Stoßrichtung formulierte es Freie-Wähler-Chef Aiwanger. Tempolimit, nur noch Elektroautos statt Verbrennern, weniger Fleischkonsum – selbst mit all diesen Maßnahmen "bin ich nun mal der Meinung, dass das Weltklima nicht spürbar anders wäre", sagte Aiwanger. Beim Koalitionspartner CSU klang das anders. Alle müssten dazu beitragen, den Klimawandel zu bremsen, sagte Herrmann, und weiter: "Gerade aufgrund unserer wirtschaftlichen Stärke in Europa müssen wir sicherlich auch ein Stück weit mit gutem Beispiel vorangehen." Auf die Frage, ob es ihn nicht misstrauisch mache, dass sich CSU und Grüne in diesem Punkt sehr einig seien, lehnte sich Aiwanger in seinem Stuhl zurück und sagte mit süffisantem Grinsen: "Ich wünsch' viel Spaß."

In den kommenden drei Wochen stehen jeweils am Mittwochabend weitere TV-Debatten mit Spitzenvertretern der bayerischen Parteien zur Landtagswahl an.

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