ARCHIV - 01.06.2023, Bayern, Nürnberg: Ein Plakat zum Evangelischen Kirchentag mit dem Slogan «Jetzt ist die Zeit» hängt an der Außenfassade des Rathauses am Hauptmarkt. Im Vordergrund ist der «Schöne Brunnen» zu erkennen. Der Kirchentag findet vom 7. bis 11. Juni 2023 in Nürnberg statt. (zu dpa «Vorfreude auf den Evangelischen Kirchentag in Franken») Foto: Daniel Karmann/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Vor dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag

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Kirchentag in Nürnberg: Kommt Neuauflage von 1979?

In Nürnberg beginnt am Mittwoch der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag. Bei dem Christentreffen werden gesellschaftspolitische Fragen diskutiert. Wie 1979, als der Kirchentag auch in Nürnberg war. Die Themen damals und heute haben Gemeinsamkeiten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es waren aufwühlende Zeiten 1979 als die Ost- und Westmächte im Kalten Krieg neue Aufrüstungspläne verfolgten. Nachdem die Sowjets mehr Atomraketen gegen Europa richteten, drohte der Westen mit der Aufstockung seiner atomaren Sprengköpfe. Ein Wettrüsten zeichnete sich ab. Vielen Menschen jagte das Furcht und Schrecken ein. Das war ein großes Diskussionsthema beim 18. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg, erinnert sich SPD-Politikerin Renate Schmidt. Sie besuchte das Großevent in ihrer Heimatstadt 1979 privat. Sie weiß noch:

"Es war eine starke Friedensbewegung, auch innerhalb der Kirche. Es war damals der Beginn der Diskussion des Nachrüstungsbeschlusses." Renate Schmidt, Bundesfamilienministerin a.D.

Ein halbes Jahr später kam es zum NATO-Doppelbeschluss, der die Grundlage für die Stationierung weiterer Atomraketen in den 1980er-Jahren bildete. Das Hochrüsten nahm seinen Lauf bis der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow im Kalten Krieg auf Entspannung setzte und 1989/90 zwischen Ost und West der Eiserne Vorhang fiel.

Gegen Krieg: Frieden schaffen mit oder ohne Waffen?

Heute gehört in Europa militärische Aufrüstung wieder zum Tagesgeschäft, seit im Februar 2022 Russland in die Ukraine eingefallen ist. So wird sich auch der anstehende Kirchentag aufs Neue mit Krieg und Frieden beschäftigen. Eines der zahlreichen Podien widmet sich der Frage "Welchen Frieden wollen wir?".

An der Diskussion beteiligen sich unter anderem der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, und der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Friedrich Kramer. Kramer hat sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs wiederholt gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen.

Umweltschutz: Mahnung zum Handeln gegen den Klimawandel?

Ein bedeutendes und zugleich neues Thema auf dem Kirchentag von 1979 war der Umweltschutz. Denn mit der damals noch jungen Ökobewegung sympathisierten auch viele Evangelische. Auch diesmal wird der Umweltschutz wieder Thema des Kirchentags sein. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels und des politischen Streits über die richtigen Gegenmaßnahmen, dürften Mahnungen laut werden, entschlossen zu handeln. Darauf deutet auch hier eine größere Zahl an Podien, von denen eines den Titel trägt "Wer hat's verbockt? Und was machen wir jetzt?".

Zu den Teilnehmenden dieser Diskussion gehört der Bundesklimaminister Robert Habeck (Grüne), die Klimaaktivistin Carla Hinrichs von der "Letzten Generation" und der Aufsichtsratsvorsitzende von Siemens Energy, Joe Kaeser.

Vom Kampf gegen Atom zum Treiber für die Energiewende?

Eng mit dem Klimaschutz zu tun haben auch Fragen der Energiepolitik, die sich in Deutschland derzeit stark um den Ausbau Erneuerbarer Energien und eine Heizungswende drehen. Vor 44 Jahren ging es auf dem Kirchentag in Nürnberg stattdessen um die Atomenergie. Für den Journalisten Raimund Kirch war es 1979 der erste Kirchentag, den er besuchte. Er hat noch im Gedächtnis, wie der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in Nürnberg sich mit Verve für den Ausbau der Atomenergie aussprach. Neben der Anti-AKW-Bewegung kam für dieses Thema auch der Kraftwerkshersteller KWU zum Kirchentag.

"Ich kann mich erinnern, dieser Stand der KWU auf dem Markt der Möglichkeiten ist gestört worden. Und das Hauptthema von Schmidts Rede damals war ja die Atomkraft. Er war Befürworter der Atomkraft und er hat damals Zunder bekommen bei seiner Rede." Raimund Kirch, ehem. Chefredakteur Nürnberger Zeitung

Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) wurde während seiner Kirchentagsansprache ausgepfiffen. Zur Empörung einiger Zuhörenden hatte er die Gegner der Atomkraft der Ängstlichkeit bezichtigt. Schmidt erklärte, Ängstlichkeit gehöre nicht zu den christlichen Tugenden, auch nicht bei der Atomkraft. Doch ließen sich die Atomkraftgegner ihre Kritik nicht ausreden. Sie hielten diese Energieform für zu gefährlich. Nun hat Deutschland vor ein paar Wochen den letzten Atommeiler abgeschaltet. Für den jetzigen Kirchentag ist der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt. Er soll eine einstündige Rede halten. Es wird erwartet, dass auch er auf Energiefragen zu sprechen kommt.

Wie knüpft Kirchentag an Auseinandersetzung mit NS-Zeit an?

Der anstehende Kirchentag scheint zudem ein weiteres Thema von damals aufgreifen zu wollen: Es sind die Lehren aus der Nazi-Geschichte. In Nürnberg gibt es bekanntlich viele Spuren der Hitlerzeit – leider auch von Neonazi-Taten. Führungen des Vereins "Geschichte für Alle" erinnern während des fünftägigen Christentreffens daran. Ging es 1979 um die Aufarbeitung kirchlicher Nähe zum NS-Regime, sollen diesmal besonders die Themen Demokratie und Menschenrechte im Fokus stehen, sagt Kirchentagssprecherin Milena Vanini.

So werde es eine Gedenkveranstaltung zu den Gewalttaten der rechtsextremen Terrorgruppe NSU geben. Experten klären auf über Verschwörungsmythen. Einige Workshops möchten Besucherinnen und Besuchern Handlungsanleitungen bieten, zum Beispiel "Parolen praxisnah begegnen". Und eines der Hauptpodien des Kirchentags widmet sich der Frage "Ist die Demokratie krisenfähig?".

Wieder 100.000 Besucherinnen und Besucher?

Die Sprecherin und ihr Team hoffen, dass es noch eine Gemeinsamkeit mit dem Kirchentag von 1979 geben wird. Nämlich, dass wieder 100.000 Gäste kommen. Diese Marke knackte der Evangelische Kirchentag zum ersten Mal vor 44 Jahren in Nürnberg.

Angesichts zunehmender Säkularisierung, steigender Kirchenaustritte und zuletzt besonders der Corona-Pandemie waren die Besucherzahlen in den vergangenen Jahren aber deutlich zurückgegangen.

Mitarbeiter des Kirchentags bei einer Besprechung
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Mitarbeiter des Kirchentags bei einer Besprechung: Täglich werden 100.000 Menschen in der Stadt sein. Die ganze Stadt wird vorbereitet.

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