IS-Anhängerin in einem Lager in Nordirak
Bildrechte: pa / dpa / Maya Alleruzzo

Auch viele deutsche IS-Anhängerinnen sitzen in Lagern fest

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IS-Rückkehrerinnen: Wie gefährlich sind sie?

Seit drei Jahren gilt die Terrorgruppe IS in Syrien und im Irak militärisch als besiegt. Seitdem sind viele Ex-Angehörige der Terrorgruppe gefangen in kurdischen Lagern. Wie BR-Recherchen zeigen, auch Frauen aus Bayern.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Anfragen des Bayerischen Rundfunks und der Bayern SPD an das Innenministerium zeigen: Auch fünf IS-Anhängerinnen aus dem Freistaat sollen sich in Lagern in Syrien befinden. Zudem haben vier von ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie sind Mütter von insgesamt neun Kindern im Alter zwischen zwei und 16 Jahren.

Frauen aus Bayern in kurdischer Lagerhaft

Zu den Deutschen in kurdischer Lagerhaft zählt eine Frau aus München, die wir Susanne nennen. Sie war gemeinsam mit ihren drei Kindern schon 2015 zum IS ausgereist, ein viertes Kind wurde in Syrien geboren. Seit mehr als zwei Jahren hofft sie auf eine Rückkehr nach Deutschland. Eigentlich hat das Verwaltungsgericht Berlin festgestellt, dass Erkenntnisse zu einer konkreten Gefährlichkeit Susannes nicht ersichtlich seien. Außerdem drohe im Lager, in dem sie lebt, ein Ausbruch des Coronavirus.

Das Auswärtige Amt wurde, "verpflichtet (…) Reisedokumente auszustellen" und Susannes "Verbringung nach Deutschland herbeizuführen". Doch das Amt hat Beschwerde eingelegt. Susanne muss weiter warten - wie auch andere Lagerhäftlinge, deren Fälle inzwischen beim Oberverwaltungsgericht Berlin liegen.

Islamwissenschaftler fordert: Holt die Familien zurück

Als deutsche Staatsbürger haben die Frauen eigentlich das Recht zurückzukehren. Das Auswärtige Amt teilt dazu aber auf BR-Anfrage mit, dass keine konsularische Präsenz in Syrien sei und damit auch kein konsularischer Zugang in Nordost-Syrien. Insgesamt sind es allein aus Deutschland laut Bundesregierung 62 Frauen und 47 Männer plus Kinder, die in den Lagern festsitzen. Viele von ihnen haben einen deutschen Pass.

Experten fordern eine baldige Rückholung der IS-Familien. Zu ihnen gehört der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der erfahrene Gutachter bei Dschihadisten-Prozessen ist überzeugt, wenn die Politik wollte, könnte sie die Menschen zurück nach Deutschland holen.

"Es hat in der Zeit davor, als es politisch opportun war, durchaus Rückführungen von IS-Kämpfern sogar aus Syrien gegeben. Das ist also möglich mithilfe der Polizei und der Nachrichtendienste, wenn das politisch gewollt ist. Insgesamt halte ich es deshalb für geboten, die Deutschen zurückzunehmen." Guido Steinberg, Islamwissenschaftler

Dass sich Steinberg so vehement für eine baldige Rückholung stark macht hat auch den Hintergrund, dass IS-Familien aus den Lagern flüchten und unerkannt nach Deutschland kommen könnten.

Salafisten-Szene sammelt Geld für Flucht

Zum Beispiel mithilfe von Geld, das aktuell in der Salafisten-Szene für die IS-Familien über soziale Netzwerke gesammelt wird. Die Botschaften mit denen sich solche Spendenaktionen paaren sind durchaus militant. "Das Befreien der muslimischen Kriegsgefangenen ist vorgeschrieben, entweder durch kämpfen oder durch Lösegeld", heißt es etwa in einem salafistischen Propagandakanal.

Insbesondere der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen hat diese selbsternannten Gefangenenhelfer im Blick. Die Behörde bestätigt, dass die Unterstützungsleisten für Syrien unter anderem von NRW aus organisiert würden. Begünstigte seien mutmaßlich salafistische Frauen und ihre Kinder.

Wie gefährlich sind IS-Rückkehrerinnen?

Jedenfalls posten weibliche Lagerhäftlinge Fotos von Geldbündeln in sozialen Medien und bedanken sich dafür auch auf Deutsch. Es ist Geld, das ihnen ausdrücklich auch zur Flucht dienen soll.

Wie gefährlich sind die Frauen aus Lagern, wenn sie von der Salafisten-Szene unterstützt werden, aber sich ignoriert fühlen von den deutschen Behörden? Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg befürchtet, dass der IS wieder erstarken könnte und er warnt vor Massen-Ausbrüchen aus den Lagern: "Es kann also durchaus sein, dass in einigen Monaten die Bundesregierung vor den Scherben ihrer missglückten Syrien-Politik steht."

Münchner Imam: Rückkehrer haben eine Chance verdient

Auch aus muslimischen Kreisen in Bayern kommen Signale, dass es besser wäre die Frauen und Männer zurückzuholen. Der Münchner Imam Ahmad Popal etwa hat selbst Dschihadisten kennen gelernt, die später zu Terrorgruppen ausgereist sind. "Ich tue mich persönlich sehr schwer, solchen Leuten zu vertrauen - gerade diesen gefährlichen Menschen", sagt er. Popal erinnert aber an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hätten wir Deutsche das Vertrauen von der Welt geschenkt bekommen: "Und wir haben bewiesen, dass wir es anders können. Diese Chance sollten wir denen auch geben."

NRW-Verfassungsschutz: Rückkehrer eine Gefahr für Deutschland

Wie aus der Anfrage der SPD im Landtag hervorgeht, sind sechs Frauen, die sich beim IS und anderen dschihadistischen Gruppen aufgehalten haben, wieder nach Bayern zurückgekehrt. Deutschlandweit sind es laut Bundeskriminalamt rund 300 Personen von insgesamt 1.070 Ausgereisten. 15 Prozent seien zurückgekehrte Frauen. Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen geht davon aus, dass auch von Rückkehrerinnen weiterhin eine Gefahr ausgehen kann.

NRW ist ein Bundesland mit einer sehr aktiven Salafisten-Szene mit 3.200 Szeneangehörigen insgesamt. Zudem zählt NRW 90 Rückkehrer, 23 stehen mit dem NRW-Aussteigerprogramm in Kontakt. Der dortige Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier stellt fest, dass Frauen mit IS-Erfahrung aussteigen, aber eben auch in die Salafisten-Szene zurückkehren: "Wir gehen davon aus, dass diejenigen, die nicht inhaftiert sind und auch nicht in einem Aussteigerprogramm sind, zu einem ganz großen Teil zurückkehren in die eigenen Szenen. Wenn Rückkehrer hier nicht zurückgeholt werden in die Gesellschaft, dann sind sie nach wie vor für die innere Sicherheit eine Gefahr."

In Deutschland wurde Susanne das Sorgerecht entzogen

Zurück zum Fall Susanne: Noch ist offen, ob und wann Susanne mit ihren Kindern zurückkommt. 2016 hat ihr das Familiengericht München vorsorglich das Sorgerecht für ihre Kinder im Alter zwischen vier und 16 Jahren entzogen. Das heißt: Sollte sie nach Deutschland zurückkehren, könnte man ihr die Kinder wegnehmen. Aber das ist nur eine mögliche Variante. Vollkommen unklar ist, wie es nach Susannes Rückkehr weitergehen würde – auch weil gegen sie die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelt. Zu Details schweigt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage.

In München ist die Vormundschaftsstelle beim Sozialdienst Katholischer Frauen für Susannes Kinder zuständig. Auf Anfrage heißt es vom Sozialdienst, es bestehe ein guter Kontakt mit dem Jugendamt, um nach einer Rückkehr der Familie schnellstmöglich aktiv zu werden. Weitere Maßnahmen seien auch vom psychischen Zustand der Kinder und der Kooperationsbereitschaft der Mutter abhängig.

Sollen IS-Frauen die Kinder weggenommen werden?

Der Psychologe Ahmad Mansour, der auch sogenannte IS-Rückkehrerinnen betreut, fordert ein hartes Vorgehen. Es sei absolut naiv, die Kinder mit ihren Müttern und Vätern nach Deutschland zu holen und in den gleichen Familienstrukturen zu lassen.

Anders sieht das Thomas Mücke vom Violence Prevention Network – eine deutschlandweit aktive Nichtregierungsorganisation, die sich auch in Bayern um zurückgekehrte IS-Anhänger und deren Kinder kümmert. Viele würden, so Mücke, an ihren Müttern hängen. Deshalb sei es der falsche Weg, die Kinder von den Müttern zu trennen: "Die Mutter-Kind-Beziehung ist nun mal sehr zentral, und wenn man sie einfach so abrupt unterbricht oder trennt, kann das ganz fatale Auswirkungen haben."

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