Jesiden flüchten vor dem IS (Archivbild).
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Jesiden flüchten vor dem IS (Archivbild).

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Fünf verdeckte Ermittlungen wegen IS-Verbrechen an Jesiden

Wegen Verbrechen gegen Jesiden müssen sich bereits vereinzelt IS-Rückkehrerinnen in Deutschland vor Gericht verantworten. Nun könnten es noch mehr Prozesse werden, wie aus einer Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, die dem BR exklusiv vorliegt.

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Anhänger der Terrorgruppe Islamischer Staat sollen vor allem Jesiden versklavt, gefoltert oder gar getötet haben. Aktuell führt die Bundesanwaltschaft fünf verdeckte Ermittlungsverfahren. Das ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion, die dem Bayerischen Rundfunk exklusiv vorliegt. Zu Details äußert sich die Bundesregierung aus ermittlungstaktischen Gründen nicht.

Vorwürfe: Missbrauch und Sklaverei

Jedoch haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung "aus Deutschland und Europa stammende Angehörige des IS dahingehend am Sklavenhandel beteiligt, dass sie selbst jesidische Gefangene erwarben, sie sexuell missbrauchten, im Haushalt einsetzten und an andere IS-Angehörige weitergaben".

In welche Richtung die verdeckten Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gehen könnten, zeigen bereits laufende Prozesse. In diesen Fällen sollen Jesiden die Opfer und Frauen die Täterinnen gewesen sein – Frauen, die einst Deutschland verließen, um sich dem IS in Syrien und im Irak anzuschließen.

Ließ Jennifer W. jesidisches Kind verdursten?

In München muss sich etwa seit über einem Jahr Jennifer W. vor dem Oberlandesgericht verantworten. Sie soll gemeinsam mit ihrem Ehemann ein fünfjähriges Mädchen und dessen Mutter auf einem Sklavenmarkt gekauft haben. Mädchen und Mutter wurden laut Anklage von dem Ehemann geschlagen. Weil das Kind ins Bett machte, soll es der Ehemann bei sengender Sonne draußen angekettet haben. Das Kind sei dann verdurstet, heißt es von der Bundesanwaltschaft. Jennifer W. habe nichts zur Rettung des Kindes unternommen.

Weitere Verfahren finden in Hamburg und Düsseldorf statt. Bei der in Hamburg Angeklagten handelt es sich um die Witwe von Deso Dogg, dem wohl bekanntesten deutschen Dschihadisten, der für den IS kämpfte. Auch Deso Doggs Witwe soll ein jesidisches Kind, ein 13-jähriges Mädchen, als Sklavin gehalten haben.

Pädophile beim IS?

Zudem hatte die Linksfraktion nach pädophilen Neigungen unter IS-Anhängern gefragt. Sie verwies auf ein Zeitungsinterview aus dem Jahr 2017. Damals hatte ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in der Schweiz darauf hingewiesen, dass der IS nicht nur eine bewaffnete Dschihadistengruppe sondern auch ein Netzwerk von Pädophilen sei. So lägen ihm diesbezügliche Auszüge der IS-Kommunikation vor: "Jesidinnen wurden für einen Kaufpreis zwischen 5 800 und 50 000 US-Dollar angeboten. Über ein siebenjähriges Mädchen hieß es, dass es gut zuhören könne und den Koran kenne. Dazu gab es Fotos, auf denen das Mädchen wie eine Prostituierte geschminkt und zu obszönen Stellungen gezwungen war."

Zu derartigen Vorfällen hat die Bundesregierung zwar "keine systematisch erhobenen Erkenntnisse". Jedoch ist ihr bekannt, dass der IS Vergewaltigungen junger Frauen, von Mädchen und Jungen bewusst als Strategie der Kriegsführung eingesetzt hat. Auch seien Kinder über IS-Chat-Gruppen im Internet zum Verkauf angeboten worden.

Jelpke: IS-Frauen spielten eine Schlüsselrolle

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, begrüßt das Vorgehen der Justiz: "Ich bin froh, dass diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit von deutschen Justizbehörden verfolgt und die Täterinnen dafür hoffentlich bald zur Rechenschaft gezogen werden."

Insbesondere IS-Frauen hätten bei Versklavung jesidischer Mädchen und Frauen eine "Schlüsselrolle" gespielt:

"Frauen aus Deutschland, die sich dem IS in Syrien angeschlossen haben, geben sich nach ihrer Rückkehr nach Europa gerne naiv. Sie behaupten, nur im Haus gearbeitet und von den Verbrechen nichts mitbekommen zu haben. Doch weibliche IS-Mitglieder sind genauso Täterinnen wie die Männer. Sie haben selbst Sklavinnen ausgebeutet, gequält und zum Teil ermordet." Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion

Jelpke fordert Rückholung von IS-Anhängern aus Lagerhaft

Aktuell befinden sich zahlreiche ehemalige IS-Angehörige in kurdischer Gefangenschaft in Nordsyrien. Laut Antwort der Bundesregierung sind es derzeit 62 Frauen und 47 Männer, die dort mit ihren Kindern festsitzen. Sie versuchen über den Gerichtsweg eine Rückkehr nach Deutschland zu erstreiten. Obwohl sie deutsche Staatsbürger sind, warten sie seit teilweise mehr als zwei Jahren vergeblich in den Lagern. Auf BR-Anfrage teilt das Auswärtige Amt mit, dass "keine konsularische Präsenz in Syrien sei und damit auch kein konsularischer Zugang in Nordost-Syrien".

Ulla Jelpke jedoch fordert, dass "deutsche IS-Mitglieder zur Entlastung der nordsyrischen Autonomiebehörden schleunigst aus den dortigen Gefangenenlagern geholt und in Deutschland vor Gericht gestellt werden". Die Autonomiebehörden würden das schon seit langem fordern: "Die jahrelange Verzögerungstaktik der Bundesregierung ist unhaltbar. Viele IS-Angehörige aus Deutschland haben sich hier radikalisiert, bevor sie nach Syrien gingen und Verbrechen begingen. Daher ist es auch richtig, sie hier vor Gericht zu stellen."

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Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, fordert Rückholung der IS-Anhänger aus syrischer Lagerhaft.

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