Symbolbild: Halbmond auf dem Minarett einer Moschee
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Warum legalistische Islamisten die Demokratie bedrohen

Verfassungsschützer warnen verstärkt vor einem politischen Islam und vor legalistischen Islamisten: Sie wollten gewaltfrei eine islamische Gesellschaft errichten. SWR und BR haben Menschen getroffen, die sich dennoch bedroht fühlen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Den Münchner Imam Ahmad Popal erreicht wieder einmal eine Hass-Botschaft. Ein "Höllenhund" sei er, "Abschaum". Sogar Morddrohungen hat er bekommen, weil er sich stark macht für Integration.

"Ich bin sehr vorsichtig. Wenn ich eingeladen werde, gehe ich sehr selten alleine hin. Ich gebe den Leuten in meinem Umfeld immer Bescheid", sagt Popal. "Ich muss vorsichtig sein, weil ich diese Drohungen sehr ernst nehme." Oft lässt er sich deshalb von Freunden begleiten. Seine Gegner: Salafisten und auch Anhänger des sogenannten legalistischen Islamismus.

Legalistischer Islamismus hat rund 13.000 Anhänger deutschlandweit

Verfassungsschützer sagen, dass legalistische Islamisten im Gegensatz zu dschihadistischen Organisationen wie dem IS gewaltfrei agieren, um dauerhaft unsere Gesellschaft zu unterwandern und islamische Staaten zu errichten. Laut einer Umfrage von SWR und BR bei Landesämtern für Verfassungsschutz hat der "legalistische Islamismus" mehr als 13.000 Anhänger. In fast allen Bundesländern gibt es demnach Moscheegemeinden mit Bezügen in das legalistische Islamismus-Milieu.

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz achten legalistische Islamisten darauf, weder durch Handlungen noch durch öffentliche Äußerungen einen justiziablen Fehler zu begehen:

"In internen Zirkeln, Schulungsmaßnahmen und Fortbildungsveranstaltungen wird jedoch eine islamische Rechts-, Gesellschafts- und schließlich auch Staatsordnung propagiert, die mit wesentlichen Aspekten des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren ist." Bundesamt für Verfassungsschutz

Kein Problem mit vorzeitlichen Strafen?

Ein Beispiel: die Furkan-Gemeinschaft. Sie wurde in den 90er Jahren in der Türkei von ihrem Anführer Alparslan Kuytul ins Leben gerufen. In Deutschland hat die Gemeinschaft in den vergangenen Jahren in mehreren Städten Ableger gegründet: in Hamburg, Dortmund oder München. Schon im Mai können SWR und BR mit einem Vertreter dieser Bewegung sprechen. Furkan-Sprecher Cenk Göncü betont im Interview, dass seine Organisation keine Gewalt ausübe. Eine pluralistische Demokratie schwebt der Furkan-Gemeinschaft aber nicht vor. Göncü zufolge sind Islam und Säkularismus "nicht miteinander kompatibel".

Cenk Göncü verteidigt die Regeln der Scharia:

"Im Islam ist es so, dass einige Gesetze, wie das Abschneiden der Hand, hart sind, weil es bestimmte Gesetze gibt, die dem Einzelnen schaden, um das Allgemeinwohl nicht zu gefährden." Cenk Göncü, Sprecher Furkan-Gemeinschaft

Die Furkan-Gemeinschaft hat nach Veröffentlichung auf das Interview reagiert und eine Stellungnahme im Internet abgegeben. Furkan-Sprecher Cenk Göncü sagt, sein Zitat sei aus dem Kontext gerissen, die Behauptungen der Verfassungsschützer dagegen kritiklos hingenommen worden: "Man möchte also, dass die Muslime den Islam von der Politik trennen. Dabei glauben wir an einen Allah, der sich sehr wohl über die Gesellschaft, über die Politik geäußert hat."

Imam Popal bekommt Anrufe

Der Münchner Imam Ahmad Popal hat mit solchen legalistischen Bewegungen wie der Furkan-Gemeinschaft schon seine Erfahrungen gemacht:

"Die Leute rufen mich an. Sie fragen mich, ob das in Ordnung ist, dass vor einem Vortrag Handys abgenommen werden, dass Dinge im Unterricht erwähnt werden, die man in der Öffentlichkeit so von Imamen nicht hört." Ahmad Popal, Imam in München

In Vorträgen würden rechtsstaatliche Prinzipien verteufelt, berichtet Popal: "Feindbilder werden gesucht, damit man dann die Leute populistisch versammeln kann."

Der Erlanger Rechts- und Islamwissenschaftler Professor Mathias Rohe sieht in solchen Ereignissen erste Erfolge der Prediger des legalistischen Islam.

Aus Rohes Sicht beginnen die Probleme "schon da, wo Menschen eine extreme Abgrenzung von ihrer Umgebung propagieren - eine ganz klare gut-böse Welt und damit eben auch einen letztlich politischen staatlichen Machtanspruch verbinden".

Auch andere Vorfälle in München

Abgrenzungstendenzen beobachten auch Bewohner im Münchner Stadtviertel Hasenbergl. Eine Sozialarbeiterin, die aus Angst vor Repressionen nicht erkannt werden will, berichtet:

"Tja, also wir machen Mittagstisch. Die Praktikantin sitzt auch mit am Tisch. Sagt ein Kind zur Praktikantin: Was hast Du überhaupt für eine Religion? Sagt die Praktikantin: Ich bin Christin. Daraufhin nimmt das Kind einen Stuhl und rückt einen halben Meter von der Praktikantin weg." Sozialarbeiterin Hasenbergl

Im Migrationsbeirat der Stadt München sind Islamisten bereits vertreten. Auf BR-Anfrage bestätigt die Stadt, es gäbe dort Personen, die der "... islamistischen Szene zugeordnet werden können und zum Teil auch vom Verfassungsschutz beobachtet werden". Dies erschwere die Arbeit der demokratischen Vertreterinnen und Vertreter im Migrationsbeirat ganz erheblich.

Verfassungsschützer warnen vor Internet-Kampagnen

Mit großer Sorge beobachten Verfassungsschützer auch Bewegungen, die im Internet unterwegs sind und dort großflächig Kampagnen starten. Zum Beispiel die "Realität Islam". Sie ist aus Sicht der Verfassungsschützer demokratiefeindlich. Die Organisation ist im Rhein-Main-Gebiet ansässig. Mehr als 35.000 Nutzer haben die Facebook-Seite von "Realität Islam" gelikt.

Als in Nordrhein-Westfalen nur darüber nachgedacht wurde, ob es sinnvoll sei, dass schon junge Schülerinnen das Kopftuch tragen, initiierte "Realität Islam" eine bundesweite Online Petition gegen ein Kopftuchverbot. Mehr als 160.000 Menschen unterschrieben.

Bayerischer Verfassungsschutzbericht: "Realität Islam" bezieht Stellung

"Realität Islam" hat im Mai auf die Erwähnung im Bayerischen Verfassungsschutzbericht mit einem eigenen Video reagiert. Darin wird von einer homogenisierenden, totalitären Gesellschaft gewarnt, "in der divergierende Lebensentwürfe kriminalisiert und konsequent verfolgt werden".

Kein Interview mit "Realität Islam"

Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen spricht in seinem aktuellen Jahresbericht davon, "Realität Islam" schüre "Ängste und Misstrauen gegenüber dem Rechtsstaat", fördere eine Abwendung von demokratischen Werten. Zudem zeige sie eine ideologische Nähe zu einer 2003 in Deutschland verbotenen Gruppierung: der "Hizb-ut-Tahrir", der Befreiungspartei. Diese propagiere den Aufbau eines Kalifatsstaats.

Schwere Vorwürfe, über die SWR und BR selbst mit Vertretern von "Realität Islam" sprechen wollen. Doch ein Interview knüpfen sie an die Bedingung, die sie betreffenden Passagen vor Ausstrahlung überprüfen zu wollen. Eine Forderung, auf die SWR und BR nicht eingehen. Auch eine angefragte schriftliche Stellungnahme bleibt aus.

Die "Furkan-Gemeinschaft" und "Realität Islam": zwei Organisationen im Fokus der Verfassungsschützer. Verboten sind sie allerdings nicht.

"Es ist so, dass es nicht strafbar ist, auch extremistischen Thesen zu folgen und auch entsprechende Bestrebungen zu unterstützen", sagt der bayerische Verfassungsschutz-Präsident Burkhard Körner. Laut Körner lässt sich aber mit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz etwas erreichen:

"Zum einen wird die Öffentlichkeit über diese Bestrebungen informiert. Es wird sensibilisiert. Auch die Politik wird entsprechend sensibilisiert." Burkhard Körner, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz

Aber die Aktivitäten seien grundsätzlich nicht strafbar, sagt Körner. Dabei regelt Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz: "Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit … sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten…, sind verboten."

Doch das zuständige Bundesinnenministerium verbietet legalistische Organisationen nur, wenn diese "eine aggressiv-kämpferische Haltung zur Verwirklichung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele", einnehmen.

Bei dieser Recherche handelt es sich um eine Kooperation mit dem SWR. Ein Feature zum Thema finden Sie hier.

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