die beiden Spitzenkandidaten der Landtags-Grünen: Ludwig Hartmann und Katharina Schulze
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die beiden Spitzenkandidaten der Landtags-Grünen: Ludwig Hartmann und Katharina Schulze

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Grünes Duo für die Landtagswahl: Hartmann und Schulze

Die bayerischen Grünen setzen auf ein bewährtes Team: Ludwig Hartmann und Katharina Schulze sollen auch heuer die Partei zum Erfolg führen. Wer sind die beiden? Was treibt sie an? Ein Porträt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

München Hauptbahnhof – zwei Minuten bevor der Zug abfährt, kommt Ludwig Hartmann auf den Bahnsteig. Mit schnellen Schritten, Rucksack auf dem Rücken, eine Tüte mit Gebäck in der Hand. Ein bisschen müde sieht der Grünen-Politiker aus, der Abend davor war lang, Wahlkampf-Tour durch Franken. Jetzt ist Hartmann auf dem Weg nach Miesbach zu einem Besuch bei der Regionalentwicklung Oberland – einem kommunalen Unternehmen, das sich um Wirtschafts- und Tourismusförderung kümmert. "Ein typischer kleiner Vormittags-Wahlkampf-Termin", sagt Hartmann auf der Zugfahrt.

Das Gespräch in Miesbach findet in einer kleinen Runde statt, der Landrat ist da, der örtliche Bundestagsabgeordnete, einige Mitarbeiter. Während der Unterhaltung beugt Hartmann sich immer wieder nach vorne, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Er fragt nach, will mehr wissen. Eine Gesprächssituation, wie Hartmann sie schätzt. Der Grüne gilt bei Kollegen als einer, der tief in Themen eindringen will. Der oft nicht die große Bühne sucht, lieber in Ruhe rede. Diesen Ruf hat er auch in der Grünen-Fraktion im Landtag. Sein Steckenpferd: Energie- und Landwirtschaftsthemen. Stellt jemand eine Frage, beispielsweise bei einem der Bürgerdialoge, zu denen Hartmann immer wieder lädt, kann er mit seinem Wissen punkten, Zahlen referiert er aus dem Kopf. Seit 2008 sitzt der 45-Jährige im Landtag, seit 2013 ist er einer der beiden Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen. Kurz davor wäre er beinahe der erste grüne Oberbürgermeister Bayerns geworden. In seiner Heimatstadt Landsberg am Lech unterlag er dem CSU-Kandidaten nur knapp. Hartmann bekam in der Stichwahl 49 Prozent.

"Wollte mich einmischen"

Als Hartmann 16 Jahre alt war, sollte eine kurdische Familie abgeschoben werden. Um das zu verhindern, organisierte er eine spontane Demo vor dem Innenministerium. Als Strafe, weil er damit gegen das Versammlungsrecht verstoßen hatte, musste der jugendliche Hartmann 16 Sozialstunden leisten. Ab da, so erzählt es Hartmann, "wollte ich mich einmischen, auf allen Ebenen". Hartmann wurde ein Grüner, nicht erstaunlich, auch seine Eltern waren bei der Partei und kämpften unter anderem gegen Atomkraft. Als jüngster Stadtrat in Landsberg kümmerte er sich um die Jugendkultur, stritt für unabhängige Stadtwerke und gegen die Abholzung des Stadtwalds. Damals wie heute kämpft Hartmann für den Erhalt der Lebensgrundlagen. "Erfolge wie NOlympia, das Volksbegehren zum Artenschutz, die haben mir die Energie gegeben, immer weiterzumachen."

"Wind bläst uns ins Gesicht"

Fragt man Hartmann nach den Unterschieden zwischen dem Wahlkampf 2018 und dem aktuellen, muss er nicht lange nachdenken: "2018 hatte uns keiner auf dem Schirm, da waren wir nicht der politische Hauptgegner der CSU. Die Leute hatten nicht so große Erwartungen an uns." Mit dem Wahlerfolg der Grünen vor fünf Jahren erlebt die Partei einen enormen Aufschwung. Viele Menschen traten in die Partei ein, wollten mitmischen und ließen sich von der Euphorie der Grünen mitreißen. Für diese Neumitglieder, sagt Hartmann, sei es jetzt besonders hart. Zum ersten Mal "bläst uns der Wind so richtig ins Gesicht". Für Hartmann liegt das auch an der Ampel-Regierung in Berlin. Er empfindet es als Herausforderung, mit den Menschen bei Veranstaltungen nicht nur über Bundespolitik zu sprechen, sondern das Gespräch auf bayerische Themen zu lenken. Noch im Januar hatte Hartmann ein ehrgeiziges Wahlziel "20 Prozent plus ein großes X" ausgegeben. Jetzt, kurz vor der Wahl, will er das nicht mehr wiederholen. Er wirkt ein bisschen resigniert, fast demütiger.

"Kann meinen Kurs korrigieren"

Hartmann ist sichtlich stolz auf die Erfolge der Grünen aus der Opposition heraus. Vieles habe man erreicht, sagt er. Einiges sei aber auch nicht gut gelaufen – Fehler zugeben, das gehört für ihn dazu. "Ich bin ein Typ, der seinen Kurs korrigieren kann", sagt Hartmann. Beispiel: die Corona-Pandemie. Da hätte er sich früher anders positionieren sollen, nicht den Kurs der Staatsregierung so bedingungslos mitttragen, sagt Hartmann nachdenklich. "Das würde ich heute anders machen – das Wohl der Kinder stärker beachten." Ein Punkt, der den zweifachen Familienvater sichtlich noch beschäftigt, das sieht man ihm an, wenn er davon spricht.

Zwei Spitzenkandidaten, die sich ergänzen

Auch bei der kommenden Wahl tritt Hartmann wieder als Spitzenkandidat an – zusammen mit Katharina Schulze. Mit Schulze führt er gemeinsam die Fraktion, teilt sich ein Büro und arbeitet eng mit ihr zusammen. Die beiden ergänzen sich aus Sicht der Fraktion hervorragend: Mann und Frau, Hartmann mit seinen Schwerpunkten Energie- und Landwirtschaft, Schulze dagegen mit ihrem Fokus auf innere Sicherheit, Migration. Sie extrem lebhaft, sehr wortgewandt, Hartmann eher leise, nachdenklich.

Hartmanns Co: Katharina Schulze

Ein Bierzelt im Landkreis Traunstein. Katharina Schulze tritt hier auf, an ihrer Seite Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Im Zelt sind rund 2.500 Menschen. In der vorderen Hälfte viele Grünen-Anhänger, hinten wird es laut, als Schulze ans Mikrofon tritt. Viele haben Trillerpfeifen im Mund, andere buhen oder rufen "Hau ab". Schulze aber lässt sich davon nicht beeindrucken, und wenn, dann zeigt sie es nicht. Sie lächelt, prostet dem gesamten Zelt zu und redet weiter von Gleichberechtigung, der Aufwertung sozialer Berufe und vom Klimaschutz.

Dagegenhalten – kein Opfer sein

Dass so laut und in so aggressiver Form Protest geäußert wird, ist für die 38 Jahre alte Politikerin allerdings neu. Am Tag danach zeigt sie sich im BR noch schockiert. "So eine Stimmung und so einen massiven Polizeischutz hab ich noch nie erlebt." Kein Grund für Schulze einzuknicken, sie will dagegenhalten. Eine typische Reaktion für die Grünen-Politikerin. Wenn ihr Wind ins Gesicht bläst, legt sie noch einen drauf. Nur kein Opfer sein – das ist einer von Schulzes Leitgedanken.

Wie wichtig es ist, jeden Tag unsere Demokratie zu schützen, das sei ihr in Fleisch und Blut übergegangen, erzählt sie. Das habe sie an ihrer Schule, benannt nach dem Widerstandskämpfer Christoph Probst von der Weißen Rose, gelernt. "Diese Haltung ist mein innerer Kompass", sagt Schulze.

Regelmäßig wird sie auf Instagram beleidigt, bekommt viel Hass ab über die Sozialen Medien. "Für mich ist das krass anstrengend", sagt sie. Und trotzdem will sie genau so weitermachen. Andere haben in dieser Hinsicht längst aufgegeben. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beispielsweise hat Twitter längst verlassen, weil ihn die Hater nervten.

Über Eis ins Gespräch kommen

Die ehemalige Handballerin ist für ihren Fraktions-Kollegen Jürgen Mistol eine "absolute Teamplayerin". "Eine, die Menschen begeistern und die Fraktion zusammenhalten kann, wie niemand anders“, sagt er fast ein bisschen bewundernd. Mit den beiden Vorsitzenden Hartmann und Schulze sei man wirklich zum "Team Bayern" geworden und das "praktizieren wir täglich. Das unterscheidet uns von der CSU mit ihrer One-Man-Show." Journalisten haben es deshalb oft schwer, Interna aus der Fraktion zu erfahren. Klassisches "Durchstechen" gibt es praktisch nie.

Mistol und Schulze sitzen in Regensburg in einer Eisdiele. Ihre Termine, die sie quer durch Bayern führen, verbindet Schulze wann immer es geht, mit einem Besuch in der Lieblingseisdiele der örtlichen Abgeordneten. Eis - das ist die große Leidenschaft der Grünen-Politikerin. Regelmäßig postet sie in sozialen Netzwerken Bilder von sich mit einer Eiswaffel oder einem Eisbecher. Auch jetzt im Wahlkampf lädt sie Bürger ein zu einem Gespräch mit Eis. Oder zu einem Eis mit Gespräch. Eiscreme sei ein Eisbrecher, hat Schulze im vergangenen Wahlkampf mal gesagt.

Wenn Schulze vor die Kamera oder im Landtag ans Rednerpult tritt, tut sie das mit viel Power. Meistens lächelt sie, fuchtelt mit den Händen, will ihr Engagement zeigen. Vor allem, wenn es um innere Sicherheit geht. Eines ihrer Schwerpunktthemen. Politiker anderer Fraktionen lästern gern über Schulzes Eifer. Sie sei "gerne mal eines drüber", sagt ein CSU-Politiker. Und ein anderer bezeichnet sie als "Duracell-Hase, dem nie die Energie ausgeht". Für Schulze vermutlich ein Kompliment.

Regierungsanspruch, trotz Söder Nein

Auch wenn die Umfragewerte für die Grünen derzeit nicht mehr an das Ergebnis von 2018 herankommen, gibt sich Schulze optimistisch. "Wir Grüne wollen mitregieren. Wir wollen Regierungsverantwortung", sagt sie immer wieder. Aber schließt Ministerpräsident Markus Söder nicht eine Koalition mit den Grünen ebenso häufig aus? Spricht gar von den Grünen als dem Hauptgegner, wundert sich mancher. "Das entscheiden die Wähler", antwortet Schulze mit großem Zweckoptimismus. Der ist zur Zeit bitter nötig, denn im aktuellen BR Bayerntrend haben die Grünen leicht verloren, sind derzeit drittstärkste Kraft hinter der CSU und den Freien Wählern.

Schulze selbst ist noch zu jung, um als mögliche Ministerpräsidentin ins Rennen zu gehen. In Bayern muss man dafür 40 Jahre alt sein. Deshalb ist sie zwar eine der beiden Spitzenkandidaten – im Fall der Fälle kommt aber nur Ludwig Hartmann infrage. Bei der nächsten Landtagswahl dürften die Rollen dann andersrum verteilt sein, sollten sie dann nochmal die Spitzenkandidaten sein.

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