Ein großer Bizeps
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Ein großer Bizeps ist ein Schönheitsideal im Netz.

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Fitnesssucht: Falsche Schönheitsideale bei Jugendlichen

Kraftsport ist ein Trend unter Jugendlichen. Ein Grund sind Muskelspiele im Netz. In den sozialen Medien trainieren Influencer rund um die Uhr ihre Körper. Unrealistische Vorbilder verleiten jedoch zu Übertraining und können Essstörungen begünstigen.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Rund zehn Prozent der Nachwuchssportler laufen Gefahr, eine Sportsucht zu entwickeln, erklärt Sportwissenschaftler und Fitnesscoach Dr. Daniel Gärtner von der Technischen Universität München. Das betreffe Jugendliche im Leistungsbereich, aber auch Freizeitathleten. Der Forscher hat selbst Fitnessvideos zum Thema Traumkörper ins Netz gestellt, die dem Wunsch nach Fettabbau und definierten Muskeln entsprechen. Aber er warnt vor falschen Schönheitsidealen.

Rund zwölf Wochen regelmäßiges und ausgewogenes Training reichten aus, um abzunehmen und eine gute Grundfitness zu erreichen. Aber bis Sixpacks oder ein Bizeps wie bei muskulösen Influencern hervortreten, dauere es Jahre. Der perfekt inszenierte Body sei ein Vollzeitjob und unrealistisch für junge Freizeitsportler.

Muskeln prägen das Idealbild

Sport sei gesund und der Fitnessboom für Menschen jeden Alters positiv zu sehen, betont der Sportwissenschaftler. Immerhin waren in Deutschland 2020 laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation 18 Prozent der Mädchen und 14 Prozent der Jungen im Alter zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig, die Hauptursachen dafür sind Ernährung und Bewegungsmangel.

Aber Gärtner warnt: Ein unausgewogenes Training berge Risiken. Jugendliche überschätzten sich oft. So würden beispielsweise zu hohe Gewichte beim Bankdrücken gestemmt, um rasch Muskeln aufzubauen. Dabei sind hohe Gewichte für das Muskelwachstum unnötig, zeigen aktuelle Studien. Sie führten allerdings häufiger zur Überbelastung. Wird zu einseitig trainiert, kann sich beispielsweise ein Rundrücken entwickeln. Dazu kommt: Die falsche Ausführung von Übungen schädigt Schultern, Knie oder Handgelenke.

Sportwissenschaftler wie Daniel Gärtner sehen deshalb unkontrolliertes Training mit Influencer-Videos kritisch. Bei extra günstigen Fitness-Centern, die rund um die Uhr geöffnet haben, fehle häufig die Anleitung durch gut ausbildete Trainer.

Fitness-Poser fördern Adonis-Komplex

Die mediale Inszenierung vermeintlich schnell erreichbarer Muskelberge kann bei Jugendlichen eine Muskelsucht auslösen. Sie wird auch als Adonis-Komplex bezeichnet. Psychologe Oliver Eberle betreut Betroffene in der Fachambulanz für Muskeldysmorphie der Caritas München. Er erklärt, das Phänomen könne zwar auch weibliche Jugendliche betreffen, doch meist entwickelten junge Männer eine verzerrte Selbstwahrnehmung. Trotz sichtbarem Muskelaufbau erscheine Betroffenen ihr Körper als untrainiert, im Vergleich zum virtuellen Idealbild im Netz. Die Folge: Betroffene ziehen sich sozial zurück und intensiveren ihr Training.

Warnsignale für eine Muskelsucht

Bei jugendlichen Freizeitsportlern ohne Wettkampfziele bleibt eine Muskelsucht meist lange unbehandelt. Betroffene werden anfangs von ihrem sozialen Umfeld bestätigt, betont Psychologe Oliver Eberle, Freunde und Familie unterstützten, dass sie sportlich aktiv seien. Wer womöglich zuvor noch Außenseiter war und wegen seiner Figur gemobbt wurde, erlebe durch das Training die ersehnte Anerkennung. Aber gerade für unsichere jungen Menschen sei das mediale Ideal vom muskulös definierten Körper gefährlich. Nach Anfangserfolgen können Jugendliche mit fehlendem Selbstbewusstsein eine Sucht nach idealen Körpermaßen entwickeln.

Oft schon suchten besorgte Eltern bei der Caritas Rat, wenn ihre Kinder zwanghaft trainieren, selbst bei starken Schmerzen oder Verletzungen, und dafür ihren sozialen Alltag mit Schule, Ausbildung, Freundschaften oder Hobbys vernachlässigen. Andere Alarmzeichen sind laut Experte Eberle, dass Jugendliche ständig ihr Aussehen kritisieren oder gemeinsame Mahlzeiten vermeiden.

Sportdiät kann in die Essstörung führen

Viele Influencer auf Instagram, Youtube und TikTok geben sinnvolle Tipps zum Training, so Sportwissenschaftler Gärtner. Aber grundsätzlich sei mit den Videoauftritten ein kommerzielles Interesse verbunden. Neben Bekleidung und Sportequipment werden vor allem Nahrungsergänzungsmittel beworben, etwa Proteinshakes und Kreatinpulver.

Eine spezielle Ernährung ist im Leistungssport unter ärztlicher Kontrolle besonders in kurzen Phasen vor Wettkämpfen durchaus üblich. Jugendliche Fans sollten Empfehlungen von Influencern aber nicht unkontrolliert folgen, indem sie etwa eine strikte proteinreiche und kalorienreduzierte Diät einhalten. Denn daraus kann sich langfristig eine Essstörung oder eine Magersucht entwickeln.

Muskelsüchtige greifen auch zu Anabolika

User geben sich im Netz vermeintliche Tipps für das Muskelwachstum, etwa zu Hormonen und Beta-2-Agonisten, die für die Behandlung von Lungenerkrankungen und Asthma entwickelt wurden. In Internet-Chats wird die Einnahme solcher muskelfördernder Medikamente diskutiert. Anabolika fördern beispielsweise den Aufbau von Muskelmasse. Weil anabole Steroide chemisch dem männlichen Sexualhormon Testosteron ähneln, droht Männern langfristig ein abnormales Brustwachstum, Frauen eine Störung des Menstruationszyklus. Jugendliche können durch Muskeldoping ihr Herz schädigen und erhöhen ihr Risiko für Thrombosen oder Schlaganfälle. Ihr Körperwachstum stoppt.

Beratung bei Trainings- und Ernährungsfragen

Wer sich unsicher ist, ob das Training altersgerecht und ausgewogen ist, findet Rat bei geschulten Fitness-Trainern. Ernährungsempfehlungen geben auch zertifizierte Sportcoachs oder Sportmediziner.

Bei Verdacht auf eine Fitness- oder Muskelsucht finden Betroffene und Angehörige Hilfe in Fachambulanzen für Essstörungen, in Bayern etwa bei der Caritas München.

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