Schnell und unkompliziert soll das Laden der E-Autos in Ingolstadt funktionieren: Die Batterie auffüllen, während der Besitzer oder die Besitzerin um den Baggersee joggt, sich im Einkaufscenter aufhält, arbeiten geht oder schläft. Damit die Stadt ihr Klimaziel, bis 2035 CO2-neutral zu werden, erreichen kann, muss sich der Anteil der E-Autos noch vervielfachen – auf zunächst 25 Prozent, letztendlich aber sogar auf 90 Prozent.
Ingolstadt auf Platz vier im deutschen Städtevergleich
Schon heute zählt Ingolstadt mit Bonn, Wiesbaden und Wolfsburg zu den Spitzenreitern in Sachen E-Mobilität. Diesen Städten gemeinsam ist ein "Sondereffekt", wie es das Bundeswirtschaftsministerium ausdrückt: Sie alle beherbergen besondere Unternehmen. In Bonn sind fast zehn Prozent aller zugelassenen Pkws reine E-Autos, denn hier sind die Deutsche Telekom und die Deutsche Post/DHL ansässig.
Wiesbaden hat einen E-Auto-Anteil von über 6,5 Prozent, weil dort der vollelektrische Carsharing-Anbieter Miles seinen Sitz hat. Bis vor Kurzem hieß das Unternehmen WeShare und gehörte einer VW-Tochter. Der VW-Konzern selbst sitzt in Wolfsburg und sorgt dort für einen E-Auto-Anteil von gut fünf Prozent. Damit hebt er die Stadt Wolfsburg auf Platz drei bei der E-Mobilität. Die Audi-Stadt Ingolstadt liegt mit 4,7 Prozent kurz dahinter und hält damit Platz vier im E-Mobilitäts-Ranking.
Datenerfassung in Sachen E-Mobilität noch schwierig
In Deutschland haben aktuell gut zwei Prozent der insgesamt knapp 50 Millionen Autos einen batterieelektrischen Antrieb. Die Zahlen aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium für Ingolstadt liegen etwas höher, bei sechs Prozent E-Auto-Anteil. Gleichrangig genannt wird die BMW-Stadt München.
Die Stadt Ingolstadt selbst hat von einer Agentur etwas niedrigere Zahlen ermitteln lassen. Diese abweichenden Zahlen zeigen, dass die Datenerfassung in Sachen E-Mobilität noch verbesserungsfähig ist. Der Trend scheint jedoch klar. Das Bundeswirtschaftsministerium verweist darauf, dass die Neuzulassungen von E-Autos deutlich steigen: So hatten vier von zehn Neufahrzeugen im Dezember 2022 einen E-Antrieb.
Keine Angaben über Laden in heimischen Garagen
Für die wachsende Zahl an E-Autos braucht es ausreichend Lademöglichkeiten. Doch hierzu gibt es etliche Fragezeichen. Unbekannt ist zum Beispiel, wie viele nicht-öffentliche Ladepunkte es in Deutschland gibt – vor allem Wallboxen in Privatgaragen. Der Grund: Betreiber nichtöffentlicher Ladeinfrastruktur müssen ihren Ladepunkt zwar dem örtlichen Verteilnetzbetreiber melden, nicht jedoch einer übergeordneten Behörde. Laut Wirtschaftsministerium will das die Bundesregierung noch in diesem Jahr ändern.
Bis dahin kann man sich nur daran orientieren, dass Berlin bundesweit bislang rund 1,1 Millionen nicht-öffentlicher Ladepunkte gefördert hat, vor allem an privaten Wohngebäuden, in Betrieben und für kommunale Flotten.
Wie wichtig der private Lade-Bereich ist, zeigt der Blick nach Ingolstadt: Dort sind über 80 Prozent der Gebäude Ein- und Zweifamilienhäuser. Die Stadt schätzt, dass die Ingolstädter bei sich zu Hause bereits über tausend private Wallboxen installiert haben. Die meisten Bürger werden also ihre E-Autos überwiegend in der heimischen Garage laden, so Thomas Schneider, Leiter des Klimastabs im Umweltreferat der Stadt. Denn nirgendwo, so Schneider, sei der Strom und damit das Auffüllen der Batterie billiger.
Ingolstadt auch bei öffentlicher Ladeinfrastruktur vorne
Während bundes- und landesweit exakte Zahlen für die privaten Ladepunkte fehlen, gibt es gute Daten über die öffentliche Ladestruktur. Nach Angaben der Bundesnetzagentur gibt es in Deutschland derzeit rund 72.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte, davon sind 16 Prozent Schnellladepunkte. Der Freistaat verfügt gemäß Ladeatlas Bayern aktuell über gut 6.000 Ladestationen.
Auch bei der öffentlichen Ladestruktur liegt Ingolstadt vorne. Hier gibt es rund 700 öffentliche Ladepunkte, allerdings befinden sich etwa 500 davon auf Audi-Werksgelände, großteils in Parkhäusern des Autobauers. Diese Ladepunkte sind zwar öffentlich zugänglich, aber für Menschen, die nicht bei Audi arbeiten, liegen sie meist ungünstig. Dennoch stellt das Bundeswirtschaftsministerium fest, dass das öffentliche Ladeangebot "nahezu den kompletten aktuellen Bedarf" deckt. Ingolstadt selbst hält für die aktuelle E-Auto-Dichte rund 60 weitere Ladepunkte für sinnvoll.
Mehr Lademöglichkeiten auf dem Weg zur Klimaneutralität
Mit Blick auf die für 2035 angepeilte Klimaneutralität drückt die Kommune deshalb aufs Tempo: Im nächsten Jahrzehnt soll sich der Anteil der E-Autos – oder BEV (für "battery electric vehicle") – in Ingolstadt verfünffachen, auf 25 Prozent. Entsprechend will die Kommune das Lade-Angebot erhöhen. Nach Berechnungen der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur ergäbe sich dafür ein zusätzlicher Bedarf von 200 bis 800 öffentlich zugänglichen Ladepunkten in Ingolstadt.
Die Zahl hängt davon ab, welche Qualität die Ladepunkte haben, also wie schnell sich die Batterien der E-Autos dort wieder auffüllen lassen. 200 zusätzliche Ladepunkte reichen aus, wenn ausschließlich HPC-Ladeinfrastruktur verwendet wird, also Schnellladepunkte mit hohen Ladeleistungen von 150 kW und mehr. 800 zusätzliche Ladepunkte bräuchte Ingolstadt, falls ausschließlich AC-Ladeinfrastruktur installiert wird, also die bislang gängigen normalen langsamen Punkte mit bis 22 kW.
Nicht die Stadt, sondern der Markt wird entscheiden, welche Ladepunkte letztendlich kommen. Denn nicht die Stadt installiert die öffentlich zugänglichen Ladekapazitäten, sondern freie Anbieter. Dazu zählen Tankstellenbetreiber, Audi, die großen Energieunternehmer und als weiterer Spieler eine städtische Tochter, die Stadtwerke Netz GmbH. Deren Geschäftsführer Hubert Stockmeier ist davon überzeugt, dass der Trend zu immer mehr Schnellladestationen geht. So eine betreibt die Stadtwerke Netz GmbH am sogenannten Audikreisel in der Nähe eines Einkaufzentrums und registriert dort eine gute Auslastung.
Stadt entwirft "Steckbriefe" für neue Ladepunkte
Die Kommune selbst stellt nur die Flächen für die Ladepunkte. Noch in diesem Jahr sollen im Stadtgebiet möglichst viele neue dazu kommen. Aktuell erarbeiten die Planer im Ingolstädter Klimareferat "Steckbriefe" für über 120 Ladepunkte an rund 50 Standorten. Beschrieben wird darin der exakte Standort der künftigen Lademöglichkeit. Dazu gehören auch ein Luftbild und Angaben zum Netzanschluss.
Diese Angaben seien wichtig für die potenziellen Anbieter, erklärt Stefan Schratzenstaller, Klimaschutzmanager bei der Stadt Ingolstadt: "Die Stadt Ingolstadt wird die Infrastruktur nicht selber aufbauen, sondern wir werden die Steckbriefe veröffentlichen. Und dann können sich entsprechende Akteure, die auf dem Markt verfügbar sind – also Anbieter, Hersteller von Ladesäulen –, Standorte raussuchen, wo sie auch Infrastruktur aufbauen wollen und sich darauf bewerben. Dann ist es dem Markt überlassen, wie schnell das geht."
Weil ein Großteil der Ingolstädter Bürger zu Hause eine Wallbox einrichten kann, sieht die Stadt den öffentlichen Ladebedarf vor allem in den Bereichen "Arbeit", "Freizeit" und "Wohnen" für Menschen in Hochhäusern und größeren Apartment-Einheiten. Extra öffentliche Ladepunkte für den Bereich "Arbeit" haben die städtischen Planer außen vorgelassen, da sich die Arbeitgeber in der Regel selbst um Ladeinfrastruktur kümmern und nicht auf öffentliche Ladepunkte angewiesen sind. Als Paradebeispiel gilt hier Audi.
Vollelektrische Fahrzeuge – auch eine Preisfrage
Damit die ehrgeizigen Pläne in Ingolstadt aufgehen und tatsächlich möglichst bald ein Viertel aller zugelassenen Autos mit batterieelektrischem Antrieb fährt, müssen genügend E-Autos zur Verfügung stehen. Hier richten sich in Ingolstadt die Blicke vor allem auf Audi. Bislang gelangten neue Modelle vielfach über die Werksangehörigen auf den heimischen Markt, wenn auch mit leichter zeitlicher Verzögerung, wenn die Audianer ihre günstigen Werksautos nach einem Jahr als Gebrauchtwagen zum Verkauf stellten. Derzeit ist fraglich, wie gut das mit reinen E-Autos funktioniert.
Das Unternehmen verweist zwar darauf, dass Audi "bis 2033 die Produktion von Verbrennern nach und nach auslaufen" lassen wird und dass in Ingolstadt "bereits ab 2028 nur noch Elektroautos vom Band" rollen. Das, so ein Sprecher weiter, werde "sicher auch einen positiven Effekt auf den Elektroauto-Anteil in Ingolstadt haben". Doch neben der Lieferkettenproblematik stellt sich auch die Frage, wie viele Käufer sich vollelektrische Fahrzeuge leisten können. Der kleinste vollelektrische Audi ist ein Q4 etron. Er kostet weit über 50.000 Euro und hat derzeit eine Lieferzeit von rund 1,5 Jahren.
Sorgen potenzieller Käufer vor Stromabschaltung
Zu den Wartezeiten und den Kosten kommt die Frage, ob sich ein E-Auto immer laden lässt. Schlagwörter wie Netzsicherheit, mögliche Stromausfälle, Stromdimmen für Wärmepumpenbesitzer und E-Autofahrer machen täglich neue Schlagzeilen. Das erfährt auch Hubert Stockmeier, der Geschäftsführer der Stadtwerke Ingolstadt Netze GmbH. Auch ihn fragen Kunden, ob ihre Wallbox im Notfall abgeschaltet wird. "Nein", sagt Stockmeier, "ich kann den Strom gar nicht abschalten". Denn: "Der Kunde bekommt eine gewisse Leistung von mir zur Verfügung gestellt, und die steht ihm auch zum Laden zur Verfügung." Entscheidend sei jedoch, wie viele E-Autos künftig unterwegs sein werden. "Wir müssen sehen, wie ist der Markthochlauf?" Es gelte, das genau zu beobachten und rechtzeitig ins Netz zu investieren.
Stadtwerke-Geschäftsführer Stockmeier versichert, dass die Stromversorgung in Ingolstadt funktioniere. Durch Audi sei das Thema in Ingolstadt schon seit Langem präsent. "Wir haben uns schon vor zehn, 15, 20 Jahren genau diese Fragen gestellt: Was passiert, wenn jeder Elektroauto fährt? Wenn jeder Photovoltaik haben wird? Und wir können sagen: Wir sind sehr, sehr gut vorbereitet".
Aber, so Stockmeier weiter: "Wir hier in Ingolstadt haben unsere Hausaufgaben gemacht. Ich kann aber nur für mein Stadtgebiet sprechen. Für das bayernweite Netz, das deutschlandweite Netz – da bin ich natürlich nicht aussagefähig. Da brauchen wir dringend einen Netzausbau in Deutschland: die wirklich großen Versorgungstrassen, um den Strom, der oft eben im Norden der Republik erzeugt wird, auch hier in den Süden zu kriegen. Das ist dringend notwendig. Denn: Was hilft es am Schluss, wenn die Steckdose funktioniert, aber vorne nichts ankommt?"
In Ingolstadt läuft der Aufbau der Ladekapazitäten weiter nach Plan. Immer in der Zuversicht, dass auch die bundesweiten Rahmenbedingungen stimmen.
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