An der Eingangstür einer Apotheke hängt ein Schild "Apotheke heute geschlossen" (Archivbild)
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Aus Protest unter anderem gegen gesetzliche Einsparungen haben viele Apotheken in Bayern nächste Woche für einen Tag schließen

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Viele Apotheken blieben aus Protest geschlossen

Die Apotheker sind unzufrieden und hatten für Mittwoch einen bundesweiten Protesttag ausgerufen. Bayerns Gesundheitsminister Holetschek warf der Bundesregierung vor, die Cannabis-Legalisierung sei ihr wichtiger, als das Apothekensterben aufzuhalten.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung sind am Mittwoch die meisten der knapp 18.000 Apotheken in Deutschland geschlossen geblieben. Die Apothekerinnen und Apotheker protestierten gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung und warfen ihr einen "Sparwahn" bei der Arzneimittelversorgung vor.

Holetschek fordert Bundesregierung zum Handeln auf

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) zeigte Verständnis für den Protest der Apotheker. Die Apotheken würden sehr viel leisten. Deswegen müssten jetzt die politischen Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden. "Die Apotheken sind mehr als nur ein Laden für irgendwelche Medikamente", sagte Holetschek. Sie würden beraten - im ländlichen Raum seien sie oft die einzige Anlaufstation, wenn keine Ärzte da sind. Man müsse alles tun, damit die Apotheken erhalten blieben.

Was Bayern tun könne, würde die Staatsregierung machen. Aber es gebe auch Zuständigkeiten des Bundes, und dort müsse gehandelt werden. Cannabis-Legalisierung scheine wichtiger, als das Apothekensterben zu verhindern, so Holetschek. Bundesgesundheitsminister Lauterbach müsse jetzt endlich etwas tun und nicht einfach nur einen Klassenkampf schüren über die Vergütung der Apotheken.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, CSU
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Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, CSU

Apothekerverband: Medikamentenmangel ist hausgemacht

Bernward Unger, Vorsitzender des unterfränkischen Apothekerverbandes, sagte auf einer Protestveranstaltung in Würzburg, Gründe für den Engpass bei vielen Medikamenten seien hausgemacht. Im Moment würden besonders verschiedene Antibiotika in Saftform für Kinder fehlen. Lieferengpässe seien dafür jedoch nicht der Hauptgrund. Der Hauptgrund sei das Spardiktat, das System sei "ausgepresst", so Unger in einem BR24live.

Viele der Medikamente seien in den Nachbarländern relativ problemlos zu bekommen. Die Krankenkassen hierzulande würden einfach zu wenig für die Medikamente bezahlen. Die Firmen wiederum gäben die Herstellung auf, wenn einfach kein Ertrag mehr zu erzielen sei.

Apotheken dürfen bei Mangel nicht helfen

Es gebe aber auch bürokratische Hindernisse. Die Apotheken hätten das Fachwissen, um bei Medikamentenmangel unbürokratisch zu helfen. Aber man werde gezwungen, aus eigentlich unfassbaren formalen Bedingungen Rücksprache mit dem Arzt zu halten oder gar ein neues Rezept anzufordern. Denn, wenn die Apotheken nur einen winzigen Fehler machten bei der Dokumentation, sei die Krankenkasse berechtigt, die Bezahlung des Medikaments komplett zu verweigern. Das ließe sich leicht ändern, so Unger.

Viele Apotheken bleiben am Mittwoch geschlossen

"Die Bundesregierung hat diesen Protesttag provoziert", erklärte auch die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Overwiening. Seit zehn Jahren sei das Honorar nicht angepasst worden, trotz Inflation, steigender Energiekosten und Medikamentenengpässen, die in Apotheken zu immer mehr Aufwand führten.

"Die Bereitschaft zum Dialog und die Bereitschaft zu wirklich konstruktiven Lösungen sehen wir mit dieser Bundesregierung nicht mehr. Deswegen müssen wir jetzt protestieren, um wirklich mal auf unsere Probleme hinzuweisen, damit sich was ändert." Hans-Peter Hubmann, Bayerischer Apothekerverband

Im Audio: Interview mit dem Vorsitzenden des Bayerischen Apothekerverbandes, Hans-Peter Hubmann

Apotheken-Protesttag.
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Apotheken-Protesttag.

Bundesweit wollen Apotheker am Mittwoch unter dem Motto "Apotheken kaputtsparen? Mit uns nicht!" auf ihre Probleme aufmerksam machen. Nach einer Mitgliederbefragung werden auch 89 Prozent der Apotheken in Bayern an diesem Tag nicht öffnen. Die Arzneimittelversorgung bleibe zwar aufrechterhalten, allerdings nur über die Notdienstapotheken, teilt der Bayerische Apothekerverband (BAV) mit.

Eine Übersicht über alle Notdienstapotheken gibt es hier.

Größere Kundgebungen sind in München, Fürth, Bamberg, Kulmbach, Augsburg, Landberg und Würzburg geplant. Weitere Aktionen werde es vor Notdienstapotheken im ganzen Freistaat geben, so der BAV.

Im Audio: Was bedeutet der Protesttag der Apotheker in Bayern?

Protesttag der Apotheken in Bayern.
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Protesttag der Apotheken in Bayern.

Kosten sind hoch - Um was es genau geht

Der Bundesgesundheitsminister muss die Kosten im Gesundheitssektor drücken. Die sind unbestreitbar hoch und das Defizit im Staatshaushalt ist jedes Jahr groß. Mittlerweile gibt der Bund fast 500 Milliarden Euro jährlich für das Gesundheitsressort aus. Jeder Bereich, ob Versicherte, Krankenhäuser oder Ärzte, müsse einen Beitrag leisten, um das Defizit der Krankenkassen zu reduzieren, erklärte deshalb Minister Karl Lauterbach.

Das betreffe auch die Apotheken. Ihr Honorar ist bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten weitgehend pauschaliert und seit mehr als zehn Jahren gleichgeblieben. Pro abgegebenem rezeptpflichtigem Arzneimittel erhalten sie drei Prozent vom Einkaufspreis und fix 8,35 Euro. Davon geht aber ein Abschlag an die Krankenkassen ab. Der ist im Februar von 1,77 Euro auf zwei Euro gestiegen, was zu Mindereinnahmen der Apotheken führt. Die ABDA fordert eine Erhöhung und bekommt dabei Unterstützung vom bayerischen Gesundheitsministerium.

"Die Vergütung muss erhöht werden von 8,35 auf rund 12 Euro. Wir müssen diese unsägliche Bürokratie endlich abbauen. Die Apotheker und Apothekerinnen beweisen gerade jetzt, wo dieser Arzneimangel ist, dass sie es können. Dann vertrauen wir ihnen doch. Ich finde, da gibt es genügend zu tun und da sollte jetzt auch vom Bund ein wuchtiges Signal kommen." Klaus Holetschek, bayerischer Gesundheitsminister

Immer mehr Ärger mit den Krankenkassen

Immer mehr Auflagen und Vorschriften, immer mehr Aufwand, um für Patienten Medikamente zur Verfügung stellen zu können, das seien die Probleme der Apotheker. Gleichzeitig fehlen der Nachwuchs und das Personal in den Betrieben. Und wie alle klagen auch Apotheker über hohe Energiekosten und die Inflation. Zudem komme es zunehmend zu Diskussionen mit den Krankenkassen über die Erstattung von Rezepten. Fehlt ein Vermerk, bekommt der Apotheker weniger Geld bis hin zur vollständigen Verweigerung der Erstattung. Retaxation nennt sich das.

"Vor allem die sogenannten Nullretaxationen sind ein echtes Ärgernis, denn hier verweigert die Krankenkasse aus formalen Gründen die Bezahlung, weil entweder eine Arztnummer nicht richtig eingetragen ist oder weil die Angabe der Dosierung fehlt. Das heißt, nicht nur die Vergütung des Apothekers wird nicht gezahlt, sondern auch der gesamte Einkaufspreis des Arzneimittels wird nicht erstattet." Hans-Peter Hubmann, Bayerischer Apothekenverband

Im Audio: Die Apotheker wollen auf ihre angespannte wirtschaftliche Lage aufmerksam machen

Plakat zum bundesweiten Protesttag am 14.06.23.
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Plakat zum bundesweiten Protesttag am 14.06.23.

Auflagen führen zu viel Bürokratie

Mit Sorge blicken die Apotheker auf das geplante neue Gesetz gegen den Medikamentenengpass, ALBVVG. Dort soll beispielsweise die "Austauschfreiheit" generell festgeschrieben werden. Das heißt: Apotheken dürfen bei einem Medikamentenengpass von der Packungsgröße und der Wirkstoffstärke nun auf Dauer abweichen, wenn der Patient einverstanden ist.

Gibt es beispielsweise die Packung mit 100 Tabletten nicht, dann darf der Apotheker auch zwei Packungen mit 50 Tabletten abgeben, ohne dass dafür ein neues Rezept durch den Arzt ausgeschrieben werden muss. Doch diese Austauschfreiheit ist mit einer Auflage im neuen Gesetz verbunden. Apotheken dürfen sie anwenden, wenn bei zwei Großhändlern telefonisch in "angemessenem Zeitabstand" die Lieferbarkeit überprüft und dies auch nachvollziehbar dokumentiert wird. Bei Nachfrage muss diese Dokumentation den Krankenkassen vorgelegt werden können. Für den Aufwand soll dann der Apotheker einen Aufschlag von 50 Cent erhalten (Engpass-Prämie). Das sei viel zu wenig, kritisiert die ABDA, und zudem ein bürokratisches Monster.

"Der vom BMG angeführte 'neue Zuschlag' ist nicht mehr als ein Witz. Unsere Teams kämpfen täglich stundenlang dafür, dass die Patientinnen und Patienten überhaupt noch versorgt werden können." Gabriele Overwiening, Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände

Apotheken beklagen Konkurrenz aus dem Internet

Die Annahme, Apotheker seien Bestverdiener, sei eine Mär, erklären die Verbände. Genau mit diesem Vorurteil müssten die Apotheker seit Langem kämpfen. Allein für das Management von Lieferengpässen seien selbst bei zurückhaltenden Schätzungen mindestens sechs Stunden pro Woche pro Apotheke nötig. Der Gesamtstundenaufwand pro Jahr in allen 18.000 Apotheken bundesweit betrage nach den Berechnungen der ABDA 5,62 Mio. Stunden und damit 425 Millionen Euro, die derzeit nicht vergütet werden.

Zudem seien Internetapotheken die große Konkurrenz. Sie seien aber nicht da, um bei Lieferengpässen Patienten zu helfen, doch noch an ihr Präparat zu kommen. Auch sei eine Vor-Ort-Beratung nicht möglich, die bei einer immer älter werdenden Bevölkerung immer wichtiger werde.

Bundesgesundheitsministerium veröffentlicht Faktenblatt

Mit dem Faktenblatt "Situation der Apotheken 2023 – Auf einen Blick" reagierte das Bundesgesundheitsministerium im Vorfeld auf den Apothekerprotest. Darin wird eine Umsatzsteigerung der Apotheker angeführt. Allein 2021 hätten sie einen Mehrumsatz von ca. 2,5 Mrd. Euro (vier Prozent) des Gesamtumsatzes aufzuweisen, heißt es in dem Schreiben. Vor allem der Verkauf von Schutzmasken, Impfstoffen und die Ausstellung von Covid-Zertifikaten hätten den Apotheken in Deutschland einen kräftigen Umsatzschub beschert. Aber auch die apothekenpflichtigen, rezeptfreien Arzneimittel hätten zu einer Umsatzsteigerung geführt. Weitere Maßnahmen, wie beispielsweise die Einführung einer Nacht- und Notdienstpauschale, seien Grund für Mehreinnahmen.

Die Bundesvereinigung der Apothekenverbände, ABDA, hat scharf auf dieses Factsheet reagiert. "In den Argumenten des BMG wird wieder sehr gut deutlich, dass die Bundesregierung Umsatz mit Erträgen verwechselt", heißt es in einer Reaktion der ABDA. Zudem sei die Pandemie vorbei und damit die Sondereffekte. Nicht zu vergessen seien dafür aber die gestiegenen Tariflöhne.

Weiter heißt es im Faktenblatt des Bundesgesundheitsministeriums: Ein in Auftrag gegebenes Gutachten zum Apothekenmarkt kam im Jahr 2020 zu dem Schluss, dass die Erreichbarkeit von Apotheken in Deutschland grundsätzlich gut sei. Das sieht die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ebenfalls anders. Mit 23 Apotheken pro 100.000 Einwohner liege Deutschland im unteren Drittel des europäischen Vergleichfelds, heißt es in einer Untersuchung. "Die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union weisen eine durchschnittliche Apothekendichte von 32 Apotheken pro 100.000 Einwohner auf."

Zahl der Apotheken in Bayern sinkt weiter

Die Zahl der Apotheken in Bayern ist derzeit auf dem niedrigsten Stand seit mehr als 40 Jahren. Nach Angaben des Bayerischen Apothekerverbandes gab es Ende Mai noch 2.841 Apotheken im Freistaat. Allein in den letzten zehn Jahren haben damit rund 450 Betriebe aufgegeben. Als einen der Gründe für den Rückgang nennt der Vorsitzende des BAV, Hans-Peter Hubmann, die derzeitige Vergütungssituation.

Im Audio: Bundesweiter Protesttag: Heute bleiben die Apotheken zu

Plakat zum bundesweiten Protest an einer Apotheke
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