Eschenscheckenfalter (Euphydryas maturna)
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Der Eschenscheckenfalter gehört zu den Insekten, für die außergewöhnliche Wetterlagen zur Bedrohung werden können.

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Insektensterben: Welche Rolle das Wetter spielt

Eine zentrale Rolle für den Rückgang der Insekten spielen Wetteranomalien. Diese treten im Zuge des Klimawandels immer häufiger auf und verstärken andere negative Einflüsse wie Pestizide oder zu wenig Lebensraum.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Insektensterben – dieses Schlagwort kam ziemlich genau vor sechs Jahren in die öffentliche Diskussion, als im Oktober 2017 die sogenannte Krefeld-Studie veröffentlicht wurde. Insektenforscher aus Nordrhein-Westfalen hatten von 1989 bis 2016 jeden Sommer in Naturschutzgebieten spezielle Fallen für fliegende Insekten aufgestellt. Sie wogen die gefangenen Insekten und ermittelten so die Biomasse, nicht aber die einzelnen Arten. Das Ergebnis war niederschmetternd: ein Rückgang der Insektenbestände um 76 Prozent, im Hochsommer sogar bis zu 82 Prozent.

Es wurden auch Daten zum Wetter und zur Landschaft um die Fallen herum gesammelt. Trotzdem konnten die Autoren der Studie keinen statistisch sicheren Zusammenhang herstellen zu einer oder mehreren Ursachen für den drastischen Rückgang: Pestizide, zu kleine Biotope, eingeklemmt zwischen Straßen und Siedlungen, oder der Klimawandel?

Eine Studie hat nun mithilfe der Krefelder Daten ein Computermodell entwickelt und getestet, mit welchen Einflussfaktoren sie den Rückgang der Insekten-Biomasse am besten erklären können. Hauptautor der Studie ist Professor Jörg Müller, Tierökologe an der Universität Würzburg und stellvertretender Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald. Auch Forschende der Technischen Universität München (TUM) waren an der Studie beteiligt.

Welches Wetter ist wann im Leben der Insekten ein Problem?

Als besonders interessant erwiesen sich zwei Faktoren: Zum einen die Landnutzung, also ob zum Beispiel Äcker in der Nähe sind oder die Falle mitten im Wald steht. Zum anderen das Wetter. Allerdings nicht das Wetter, das herrschte, während die Falle aufgestellt war und für die Krefeld-Studie aufgezeichnet wurde.

Das Team der Studie hat lange in der Fachliteratur recherchiert, in welcher Lebensphase der Insekten das Wetter den größten Einfluss hat. Es zeigte sich, dass der Winter, bevor die Falle aufgestellt wurden, also die Zeit von November bis März, einen großen Einfluss hatte. Nach warmen Wintern gibt es weniger Insekten, denn sie sind eigentlich auf eine Art Kälteschlaf eingestellt. Bei milden Temperaturen, wie sie in den letzten Jahrzehnten immer häufiger vorkommen, sind viele Tiere aktiv und manche Insekten werden schlicht aufgefressen. Fällt wenig Niederschlag, können sie vertrocknen. Und es fehlt die schützende Schneedecke, wenn es doch einmal sehr kalt wird. Eine zweite wichtige Phase im Lebenszyklus der Insekten ist das Frühjahr, vor allem der April: Ist er ungewöhnlich warm, gibt es in den folgenden Monaten mehr Insekten.

Das Computermodell der Studie kann rund 75 Prozent des beobachteten Rückgangs von Insekten mit dem Einfluss von Wetter-Anomalien oder Extremwetter erklären. Weil diese Wetter-Anomalien häufiger werden, ist die Erklärung letztlich: der Klimawandel. Die Krefeld-Studie ist teilweise in einer Zeit entstanden, als der Klimawandel noch nicht so deutlich war. Das Computermodell auf der Basis dieser Daten und des Wetters in den entscheidenden Lebensphasen der Insekten hat aber auch gut funktioniert für neue Fallen, die 2016 bis 2022 in Süddeutschland standen. Das bedeutet, mithilfe des Computermodells ließ sich gut vorhersagen, ob es in einem Jahr viele oder wenige Insekten gab.

Zahl der Insekten oder Zahl der Arten?

Spielen also der Verlust von Lebensraum und Pestizide keine große Rolle? Auch einige Fachleute zeigten sich verwundert. Es kommt jedoch darauf an, was man mit "Insektensterben" oder "Rückgang der Insekten" genau meint: die schiere Menge an Insekten oder die Artenvielfalt.

Es gibt robuste Arten, sogenannte Generalisten, die mit den unterschiedlichsten Umweltbedingungen zurechtkommen und die deshalb überall häufig sind. Unter den Schmetterlingen ist das zum Beispiel der Kohlweißling. Die weniger robusten Spezialisten hingegen brauchen ganz bestimmte Umweltbedingungen. Spezialisten wie der Eschen-Scheckenfalter oder Maivogel sind deshalb selten.

Ungünstiges Wetter wirkt erstmal auf alle Insekten gleichermaßen. Aber wenn im Extremfall von einer Art 80 Prozent weniger überleben als sonst, dann ist das für die Generalisten kein Problem: Es sind noch genug übrig, der Bestand kann sich wieder erholen. Die Spezialisten haben aber von Haus aus viel kleinere Bestände. Ein Rückgang von 80 Prozent kann für sie heißen, dass nur noch ein Tier übrig ist. Dann ist die Art an diesem Ort ausgestorben.

Insgesamt verändert sich die Zahl der Insekten an diesem Ort vielleicht nicht, weil Generalisten die Lücke füllen. Aber die Artenvielfalt geht zurück, weil Spezialisten fehlen. Wie die Kombination dieser verschiedenen Einflussfaktoren – Klimawandel, Pestizide, zu wenig Lebensraum – sich einerseits auf die Biomasse, also die Zahl der Insekten, und andererseits auf die Artenvielfalt der Insekten auswirkt, zeigt die Studie.

Insekten-Vielfalt schützen - trotz Klimawandel

Den Klimawandel können wir nur langfristig bremsen. Das ist zu langsam, um den Rückgang der Insekten-Artenvielfalt aufzuhalten. Aber Wetter-Anomalien wirken sich auf die Arten besonders stark aus, die schon selten sind, weil ihnen geeigneter Lebensraum fehlt. Eben die anspruchsvollen Spezialisten, die viel mehr als die Generalisten unter Insektiziden leiden oder darunter, dass ihre Biotope durch Siedlungen und Straßen zerstückelt werden. Das können wir beeinflussen, sogar kurzfristig: Weniger Insektizide, mehr und größere Schutzgebiete – dann können auch die Spezialisten größere Bestände entwickeln, denen ungünstiges Wetter weniger anhaben kann. Damit die Zahl und auch die Artenvielfalt der Insekten nicht weiter zurück geht, und damit nicht nur Kohlweißlinge, sondern auch wieder mehr Eschen-Scheckenfalter durch die Landschaft flattern.

Dieser Artikel ist erstmals am 6. Oktober 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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