Ein leeres Klassenzimmer
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Jan Woitas

Die Covid-19-Pandemie hat aufgrund von monatelangen Schulschließungen das Bildungssystem in Deutschland ins Wanken gebracht.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Corona: Grundschulen könnten laut Forschern wieder öffnen

Seit Mitte Dezember sind die Schulen in Bayern geschlossen. Ist diese Corona-Maßnahme gerechtfertigt? Haben Schulschließungen tatsächlich einen signifikanten Effekt auf das Pandemie-Geschehen? Forscher sagen: Grundschulen könnten wieder öffnen.

Schulschließungen sollten immer das letzte Mittel sein - dieser Satz war von Politikern im vergangenen Jahr häufiger zu hören. Nur geholfen hat es nichts. Seit 18. Dezember 2020 waren die Schulen in Bayern zwei Monate lang geschlossen. Doch ist diese Maßnahme gerechtfertigt? Bewirken Schulschließungen tatsächlich einen signifikanten Rückgang des Inzidenzwerts?

Die Position des Robert Koch-Instituts (RKI) ist nicht eindeutig: "Die Rolle von Kindern und Jugendlichen für die Übertragung von SARS-CoV-2 ist nicht abschließend geklärt. Ob sie dadurch, dass sie häufiger asymptomatisch sind und ein geringeres Ausatemvolumen haben, weniger infektiös als Erwachsene sind, lässt sich aktuell nicht sagen." Soll heißen: Kinder und Jugendliche können sich anstecken und die Infektion weitergeben. Jüngere Kinder (bis 10, 12 oder 14 Jahre, je nach Datensatz) zeigen, wenn sie sich infizieren, häufig keine oder wenige Symptome und atmen weniger Aerosole aus. Hier ist eine Übertragung weniger häufig als bei Erwachsenen. Bei Jugendlichen nähert sie sich den Erwachsenen an.

"Nach Einschätzung der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) besteht bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen eine geringere Prävalenz (das heißt: Fallzahl, Anm. d. Red.) von SARS-CoV-2-Infektionen. Zumindest jüngere Kinder (<14 Jahren) übertragen das Virus seltener als Erwachsene auf andere Personen." Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts 2/2021 vom 14. Januar 2021

Notbetreuung für Kinder - durchmischte Gruppen

Dennoch wurden Mitte Dezember Kitas und Schulen in Bayern und Deutschland geschlossen, da der Inzidenzwert generell stark angestiegen war. Anders als im Frühjahr 2020 wird die Notbetreuung dieses Mal nicht nur für Kinder angeboten, deren Eltern bestimmten Berufsgruppen angehören - sondern für alle, die sie benötigen. Das Problem dabei: Die Gruppen wurden – weil kleiner – in der Regel durchmischt.

Maßnahmen im Lockdown - welche wirkt?

Da gleichzeitig mit Kitas und Schulen auch viele Geschäfte geschlossen wurden, Kontaktbeschränkungen verschärft und in Bayern zudem Ausgangsbeschränkungen und -sperren eingeführt wurden, lässt sich die Wirkung der einzelnen Maßnahmen nur schwer auseinanderdividieren.

Das RKI ist sich aber sicher: "Das Infektionsgeschehen in Schulen bei Kindern bis zu einem Alter von ca. 14 Jahren folgt der Infektionsdynamik in der Allgemeinbevölkerung und geht dieser nicht voraus." Im Herbst stiegen die Covid-19-Infektionszahlen auch bei den 6- bis 19-Jährigen stark an. Mit Beginn des Teil-Lockdowns Anfang November konnte der Anstieg gestoppt werden. Erst mit den härteren Maßnahmen und den Schulschließungen Mitte Dezember sanken die Infektionszahlen.

"Insgesamt ist der Anteil von Covid-19-Schulausbrüchen an allen Covid-19-Ausbrüchen klein, und größere Ausbrüche im Schulsetting sind nach wie vor die Ausnahme." RKI vom 2. Februar 2021

Rückgang der Mobilität von Schülern

Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) unterstreicht die Tatsache, dass der genaue Effekt einzelner Corona-Maßnahmen im Lockdown nicht zu beziffern sei. Es hebt aber hervor, dass die Schließung der Schulen zu einem allgemeinen Rückgang der Mobilität geführt habe. Schließlich fahren Schülerinnen und Schüler, die zu Hause im Distanzunterricht sind, nicht mit Bussen und Bahnen zur Schule. Das entlaste den öffentlichen Personennahverkehr und damit möglicherweise das Infektionsgeschehen, argumentiert das LGL. Ob sich Personen in U-Bahnen und Bussen allerdings anstecken, ist wissenschaftlich noch nicht gesichert.

Mangelnder Präsenzunterricht mit Folgen

Doch nicht nur Kinder, sondern auch Eltern bleiben vermehrt zu Hause, um die Kinderbetreuung sicherzustellen. Gerade diese indirekten Auswirkungen von Schulschließungen, so sagt Eva Rehfuess, Leiterin des Lehrstuhls für Public Health und Versorgungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, könnten vermutlich einen Beitrag zur Kontrolle des Infektionsgeschehens leisten.

Man dürfe allerdings nicht die hohen "Kollateralschäden" vergessen, die der Wegfall des Präsenzunterrichts verursache. Besonders Grundschülerinnen und Grundschüler, die noch nicht alt genug sind, eigenverantwortlich zu arbeiten, und Schülerinnen und Schüler, die zu Hause nicht die notwendige Unterstützung erfahren, hätten hier schwer zu kämpfen, warnt beispielsweise auch der Bayerische Elternverband.

Wo erfolgt die Ansteckung mit SARS-CoV-2?

Und es gibt noch einen weiteren Aspekt, der bei der Beurteilung der Frage, ob Schülerinnen und Schüler sich während des Präsenzunterrichts anstecken, wichtig ist. Dem LGL wird bei den erfassten Fällen nur mitgeteilt, ob ein Kind in einer Kita oder Schule betreut wird. So sieht es das Infektionsschutzgesetz (IfSG) vor.

Das heißt konkret, dass die direkten Infektionsketten auf Basis der IfSG-Meldedaten derzeit nicht nachzuvollziehen sind. Ob also eine Ansteckung innerhalb einer Schule oder außerhalb erfolgt ist, lässt sich auf dieser Grundlage nicht analysieren. Festgehalten wird nur, dass sich das Kind in Betreuung befindet. Ob es sich aber vielleicht nachmittags bei einem Treffen mit seinem Schulfreund oder der Schulfreundin angesteckt hat, darüber geben die Daten keine Auskunft.

Ansteckendere Virus-Mutanten aufgetaucht

Anhand der vorliegenden Ergebnisse könnte also für einen Teil der Schüler eine Rückkehr in die Schule unter Umständen durchaus wieder möglich sein - bei klaren Schutzkonzepten und Maßnahmenpaketen, die an allen Schulen umgesetzt werden.

Doch es gibt noch ein weiteres Problem: In jüngster Vergangenheit sind Infektionen mit ansteckenderen Corona-Varianten aufgetaucht, auch wenn in Deutschland bisher kaum verlässliche Daten zu Infektionen bei Kindern mit den neuen Virusvarianten vorliegen. Allerdings gibt es bestätigte Fälle in einer Freiburger Kita in Baden-Württemberg und in Köln.

Besonderer Fall: Die britische Variante B.1.1.7

Neuere Daten aus England zur Altersverteilung der neuen britischen Virusvariante gegenüber den anderen Virusvarianten zeigen, dass die Übertragungsfähigkeit der neuen Variante B.1.1.7 unabhängig vom Alter um etwa 30 bis 50 Prozent erhöht ist.

Bei Reihentestungen in England fiel auf, dass die Verbreitung der Variante B.1.1.7 im November und Dezember 2020 unter den 11- bis 18-Jährigen zunächst verstärkt war. Zu der Zeit gab es relativ harte Maßnahmen für die Allgemeinbevölkerung, aber die Schulen im Land blieben offen. Das hatte zur Folge, dass die Verbreitung der britischen Variante relativ gesehen stärker in dieser Altersgruppe vertreten war.

Nach den Schulschließungen gingen die Zahlen unter den Jugendlichen zurück. Eva Rehfuess weist in diesem Zusammenhang aber darauf hin, dass die damaligen nationalen Maßnahmen in englischen Schulen eher untauglich gewesen seien, um Übertragungen zu verhindern: So habe es beispielsweise keine umfassenden Empfehlungen zum Umgang mit Verdachtsfällen oder zum Maskentragen gegeben. Die Lage lasse sich nicht ohne Weiteres mit Deutschland vergleichen. Das Fazit der Expertin: In Deutschland sei eine erhöhte Wachsamkeit geboten angesichts der ansteckenderen Corona-Varianten – insbesondere an weiterführenden Schulen.

Schulen könnten unter strengen Hygieneauflagen öffnen

Was bedeutet die aktuelle Sachlage nun im Hinblick auf mögliche Schulöffnungen ab Mitte Februar? Einerseits gab es unter Schülern der Abschlussjahrgänge, die seit Montag wieder Wechselunterricht haben, zum Teil Proteste gegen die Rückkehr an die Schulen - auch wegen der Infektionsgefahr. Und der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, zeigte dafür Verständnis. Andererseits wiederum sehnt ein anderer Teil der Schüler, aber auch der Eltern und Lehrkräfte die Öffnung von Kitas und Schulen herbei.

  • Kinderärzte: Kein erhöhtes Infektionsrisiko durch Grundschulen und Kitas

Unter strengen Hygieneauflagen und bei einem niedrigen Inzidenzwert stünde dem aus wissenschaftlicher Sicht wohl auch nichts im Weg - insbesondere für Grundschulklassen. Denn anknüpfend an die Regensburger Ad-hoc-Analyse vom 23. November 2020 und die aktuellen Ergebnisse der Münchner Virenwächter-Studie sehen Kinder- und Jugendmediziner den Schulbesuch nicht als Hauptrisiko für Übertragungen von Infektionen. Wie heute bekannt wurde, kommen die Autoren der Münchner Studie zum Schluss, dass gesunde, asymptomatische Kinder, die die jeweiligen Einrichtungen besuchen, nicht signifikant zur Ausbreitung der Pandemie" beitragen, "wenn geeignete Maßnahmen zur Infektionskontrolle getroffen werden".

Kinder können sich genauso gut außerhalb der Schule infizieren. Doch ob und in welchem Maß sie die Infektion an andere weitergeben, dazu fehlen letztlich die Studien, so das RKI.

Eva Rehfuess gibt zu bedenken, dass eine rege Nutzung der Notbetreuung die Idee einer Schulschließung konterkariere. Dadurch komme es zu einer kaum kontrollierbaren Durchmischung der Kinder- oder Schülergruppen. Dies spreche eher für eine kontrollierte Öffnung der Schulen, vor allem der Grundschulen. Vorausgesetzt, die schrittweisen Schulöffnungen gingen einher mit einem strengen Maßnahmenpaket, das gut umgesetzt werde, könne man ihrer Meinung nach zumindest den Jüngeren eine Rückkehr in den Unterricht ermöglichen.

"Darüber spricht Bayern": Der BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!