Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gemeinsam mit Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne))
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Schwächelt die deutsche Wirtschaft? Die europäischen Partner machen sich große Sorgen.

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Wie andere Länder auf Deutschlands Wirtschaft blicken

Großbritannien, Italien und Frankreich sehen die Entwicklung der deutschen Wirtschaft kritisch. Ist Deutschland tatsächlich der "kranke Mann Europas"? Die Partner im Ausland machen sich jedenfalls große Sorgen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Auf dem Titelblatt der englischen Wochenzeitung "The Economist" ist ein Ampelmännchen zu sehen – doch die wohlbekannte Figur schiebt einen Tropf vor sich her. "Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?", steht auf dem Titel. Der Leitartikel fasst viele Punkte zusammen, die aus Sicht der Redaktion darauf hindeuten, dass es der deutschen Wirtschaft nicht sonderlich gut geht.

Großbritannien: Kritik an Fachkräftemangel, Bürokratie, Bahn

Da sind die eingetrübten Prognosen des Internationalen Währungsfonds. Das Blatt analysiert außerdem, dass der Fachkräftemangel sich verschärfen wird, weil so viele gut Ausgebildete in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Dagegen kommen weniger junge Menschen nach.

Das Blatt kritisiert aber auch, dass die Deutsche Bahn immer zu spät kommt, was wohl irgendwie nicht ins Bild der Briten von Deutschland passt. Auch die Bürokratie wird bemängelt und das schwindende Vertrauen in den Staat. Doch diese Aufzählung bleibt sehr an der Oberfläche, ohne Ursachen tiefer zu beleuchten. Dazu kommt: So wie 1999 – als der Economist schon einmal Deutschland als den kranken Mann Europas ausrief – sei es dann doch nicht. Deutschland habe vor allem gezeigt, dass das Land gut auf Krisen reagieren könne. Vielleicht auch deshalb ist das Ampelmännchen auf dem Titel grün und nicht rot.

Italien: Schwächelndes Deutschland zieht Volkswirtschaften runter

Für die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist Deutschland schuld daran, dass Italiens Wirtschaft nach dem recht starken Wachstum der letzten Zeit wieder schwächelt. Ihre Argumentation: Weil Deutschland in einer Rezession steckt und die beiden Volkswirtschaften so eng verbunden sind, wird auch Italien mit nach unten gezogen. Ob das jetzt der ausschlaggebende Grund für Italiens schwächelnde Wirtschaft ist, ist umstritten, aber die ganze Sache zeigt eins: Dass die deutsche Wirtschaft für Italien ein wichtiger Orientierungspunkt ist.

Nicht umsonst wird in Italiens Wirtschaftsnachrichten und Tageszeitungen ständig vom sogenannten Spread gesprochen. Das ist die Differenz zwischen der Rendite für italienische und deutsche Staatsanleihen. In Italien ist das ein wichtiger Maßstab dafür, wie das Land finanziell dasteht. In Deutschland dürfte kaum jemand wissen, was der Spread genau ist.

Die Italiener beobachten also Deutschland ganz genau, freuen sich vielleicht, wenn das Wirtschaftswachstum mal größer ist als bei der großen Volkswirtschaft im Norden. Oder regen sich auf über die wirtschaftliche Übermacht der Deutschen. Aber Italien ist auch klar: Deutschland ist das wichtigste Exportland – die Abhängigkeit ist also groß.

Frankreich: Wirtschaftslokomotive Deutschland ist müde

Frankreich: plus 0,5. Deutschland: null. Es gehe nicht um das Ergebnis "eines Sportwettkampfs, in dem wir unseren Nachbarn und heutigen Freund besiegt haben", schreibt die Wirtschaftszeitung Les Echos Ende Juli, sondern um die Wachstumszahlen des zweiten Quartals. Überschrift: Die deutsche Wirtschaft kommt nicht voran. Die Aussichten für die Industrie seien düster. Die Exportabhängigkeit wiege schwer, denn E-Autos würden heute eher in China bestellt. Deutschland sei die rote Laterne in der EURO-Zone. Der Stabilitätsanker nun Sorgenkind.

Andere Überschriften: "Absturz der deutschen Ausnahmestellung" oder "Deutsche Wirtschaft könnte dauerhaft geschwächt bleiben". Le Monde schreibt, Deutschland, lange Europas Wirtschaftslokomotive, sei müde. Dazu Diagramme, deren Kurven nicht mehr erfolgsverwöhnt nach oben zeigen, sondern bestenfalls stagnieren.

Immerhin widerstehe die Beschäftigung, die Produktivität aber sinke. Frankreichs Presse illustriert die deutsche Misere beispielsweise mit einem Foto von Kanzler Scholz' Rücken in Schwarz-Weiß, allein auf weiter Flur, man weiß nicht, wohin er blickt. Frankreich sieht seine komplizierte Koalition als Bremsfaktor. Rechnet Covid-Folgen, fehlendes russisches Gas, Inflation und steigende Zinsen dazu.

Paris investiert, Berlin zieht Sparschraube an

Die Internetzeitung Mediapart findet aber auch hausgemachte Gründe: Der technologische Vorsprung werde verspielt, der Binnenkonsum wenig gefördert, statt über ein neues Wirtschaftsmodell nachzudenken, sei die Haushaltspolitik orthodox. Wo Frankreich zum Investitionsparadies Europas wird und hochverschuldet weiter investiert, ziehe Berlin die Sparschraube an. Auch im sozialen Bereich, wo die Reallöhne sinken, aber nicht beim Militärbudget. Bedenklich, findet Mediapart, ausgerechnet jetzt, wo rechte und rechtsextreme Kräfte in Umfragen vorn lägen. Die Bundesregierung scheine die Botschaften nicht zu hören.

Zusammenbrechen werde die deutsche Wirtschaft nicht, glaubt das Internetportal. Doch wie in den 1990er-Jahren sei Deutschland wieder "der kranke Mann Europas". Wie weit komme die EU damit, fragt man sich in Frankreich. Und hat zuletzt aufgehorcht, dass die Bundesrepublik Cannabis legalisieren wird. Kann ja euphorisch und gelassen machen, aber auch müde.

Dieser Artikel ist erstmals am 21.08.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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