Ein Stahlarbeiter und ein Strommast sind in einer Collage zusammengefasst.
Bildrechte: Rolf Vennenbernd, Silas Stein / Collage BR24

Ein gedeckelter Strompreis soll die Industrie entlasten, doch wie sinnvoll ist er? Wir fassen die Pro- und Kontra-Argumente zusammen.

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Industriestrompreis: Was spricht dafür und was dagegen?

Deutsche Industrieunternehmen sollen zeitlich begrenzt von einem gedeckelten Strompreis profitieren. Doch die staatliche Subvention ist umstritten. Was man über den Industriestrompreis wissen muss und wie ihn die Ampel finanzieren will.

Über dieses Thema berichtet: Wirtschaft kompakt am .

Die energieintensive Industrie ist der größte Stromverbraucher in Deutschland. Fast die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms geht auf ihr Konto – das waren im Jahr 2022 rund 216 Terawattstunden, so der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW). Konkret geht es hierbei im Wesentlichen um Stahl, Aluminium, Chemie, Kupfer, Glas, Papier und Zement. Für die grüne Transformation sind diese Bereiche der Industrie unerlässlich, weil sie am Beginn ganzer Wertschöpfungsketten stehen. Um die Abwanderung von Industrieunternehmen aufgrund der hohen Strompreise in Deutschland zu verhindern und Neuansiedlungen zu ermöglichen, hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den staatlich subventionierten Strompreis für Industrieunternehmen vorgeschlagen.

Was ist der Industriestrompreis? 

Mit dem Begriff "Industriestrompreis" ist ein gedeckelter Preis für Industriebetriebe gemeint. Für eine begrenzte Zeit sollen gewisse Unternehmen damit einen niedrigeren Strompreis zahlen. In der politischen Debatte wird auch von einem Brückenstrompreis gesprochen und damit die zeitliche Begrenzung betont. Es geht also darum, eine Übergangszeit zu überbrücken, bis genug grüne Energie zur Verfügung steht.

Wer soll den Industriestrompreis finanzieren?

Die Ampel-Regierung könnte den Industriestrompreis über den Klima- und Transformationsfonds (KTF) mit einem Umfang von 15 Milliarden Euro finanzieren, doch noch ist das nicht final geklärt. Der grundsätzliche Mechanismus dahinter: Liegt der Preis an der Strombörse in Leipzig über einem bestimmten Betrag, der noch nicht feststeht, dann könnte mit Geld aus diesem Fonds der Rest bezahlt werden. Für die Differenz aus gedeckeltem Strompreis für Industrieunternehmen und tatsächlichem Strompreis würden also die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aufkommen.

Welche Unternehmen sollen profitieren?

Vor allem Unternehmen mit einem hohen Energieverbrauch sollen vom Industriestrompreis profitieren. Das sind zum Beispiel die besonders energieintensiven Industriezweige Chemie, Baustoffe, Aluminium oder Stahl. Ab welchem Verbrauch der Industriestrompreis genau greifen soll und welche Kritikerin noch erfüllt sein müssen, ist noch nicht fertig ausgearbeitet.

Ein Vorschlag, der auch von Gewerkschaftsseite unterstützt wird: Nur Unternehmen sollen vom subventionierten Preis profitieren, die die sogenannten Leitlinien der EU-Kommission für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (KUEBLL) erfüllen. Das wären dann auch Unternehmen aus der Lebensmittel- und Textilindustrie. Im Konzept des Wirtschaftsministeriums vom Mai 2023 stehen außerdem Tarif- und Standorttreue als Voraussetzungen für den Industriestrompreis.

Was kostet Gewerbestrom im Vergleich zu Privatstrom? 

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass bis zu einem Verbrauch von 30.000 kWh pro Jahr und Zähler der Preis für Privat- und Gewerbekunden fast identisch ist. Doch der Arbeitspreis für Gewerbestrom ist im Schnitt günstiger, weil große Unternehmen mehr Strom abnehmen. Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) lag der durchschnittliche Strompreis für Industriestrom Anfang 2023 bei 40,11 ct/kWh. Stromsteuer, Abgaben und Umlagen inklusive.

Die Energieversorger berechnen die Stromkosten für energieintensive Unternehmen allerdings sehr individuell. Einflussfaktoren auf den Preis sind unter anderem: Der Produktionsstandort aufgrund regional unterschiedlicher Netzentgelte, der Verbrauch und Tarifbestandteile. Darüber hinaus gibt es gesetzliche Entlastungsregelungen. Je nach Branche und Verbrauch variieren diese sehr stark.

Was spricht gegen den Industriestrompreis?

Der subventionierte Strompreis könnte einige Konzerne bevorteilen, während kleine und mittlere Unternehmen das Nachsehen haben. Das befürchtet Ingolf Brauner, politischer Sprecher und Ehrenpräsident der Vereinigung Mittelstand in Bayern e.V. (mib), im Interview mit BR24. "Anstatt eines kurzfristig niedrigen Strompreises für ausgesuchte Unternehmen sollten die Strompreise und Sonderkosten wie Umlagen und Steuern für alle sinken." In Europa müssen die großen Energieanbieter ihre Energie weiterhin an der Strombörse in Leipzig einkaufen. Kritiker wie Ingolf Brauner bemängeln eine intransparente Preisbildung einiger großer Energieanbieter und fordern mehr Wettbewerb: Die Unternehmerinnen und Unternehmer in Bayern sollten direkt bei den Erzeugern europaweit einkaufen dürfen. Der geplante Industriestrompreis bekämpfe nur die Symptome und gehe nicht an die Wurzeln des von der Börse getriebenen Preismechanismus.

Der Industriestrompreis könnte außerdem den Ausbau erneuerbarer Energien deutlich bremsen, fürchten Kritiker. Denn schon allein die Debatte über einen subventionierten Strompreis könnte dazu führen, dass sich Industrieunternehmen beim Abschluss langfristiger Stromverträge mit grünen Anbietern eher zurückhalten. Sie könnten lieber abwarten, bis ein staatlich gedeckelter Preis feststeht. Denn dann könnten sie billiger wegkommen. Diese Zurückhaltung wiederum hätte zur Folge, dass Betreiber von Wind- und Solaranlagen schwieriger an Industriekunden kommen und Projekte zumindest vorübergehend einstellen müssen.

Was spricht für den Industriestrompreis?

Der Strompreis für die Industrie und auch die Stromsteuer haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugelegt und das wird in einer globalisierten Welt zunehmend zum Wettbewerbsnachteil. Die Folge: Statt in Deutschland wird anderswo produziert – absehbar auf Kosten von Arbeitsplätzen, so die Befürchtung.

Die in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine rasant gestiegenen Energiepreise sind nach wie vor eine große Hürde für die Konjunktur. Die subventionierten Strompreise könnten der Industrie helfen, diese zu überwinden, meinen Befürworter.

Außerdem soll der Industriestrompreis, auch von der Politik Brückenstrompreis genannt, die besonders energieintensiven Branchen bei der Energiewende unterstützen. Die Idee dahinter: Die Energiewende soll gelingen, ohne die deutsche Wirtschaft abzuwürgen. Besonders energieintensive Industriezweige wie Chemie-, Stahl-, Aluminium-, Glas- oder Zementhersteller müssen eine Übergangszeit überbrücken, bis genügend Strom aus erneuerbaren Energiequellen zur Verfügung steht. Denn Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein. Damit die Industrieproduktion mit grünem Strom funktioniert, sind große Investitionen nötig. Und dafür brauchen die Unternehmen vor allem eines: Planungssicherheit. Auch deshalb sei es sinnvoll, den Strompreis für die Industrie staatlich abzusichern, sagen die Befürworter.

Kommt der Industriestrompreis und wenn ja, wann?

Ob der Industriestrompreis überhaupt kommt, ist weiterhin unklar. Bis Ende September soll im Idealfall eine Entscheidung stehen, heißt es aus Regierungskreisen. Am vergangenen Freitag hat das Bundeswirtschaftsministerium den Klima- und Transformationsfonds (KTF) als Finanzierungsart akzeptiert. Doch das Bundesfinanzministerium lehnt den Industriestrompreis noch ab. Derzeit wird der Industriestrompreis aber von den Bundestagsfraktionen von Grünen und SPD unterstützt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte am Samstag seine Vorbehalte gegen einen Industriestrompreis. "Sie merken, ich bin da etwas zurückhaltend", sagte er in einem Interview mit der "Welt am Sonntag". Es sei "schwer zu rechtfertigen", dass Unternehmen mit ihren großen Gewinnen aus Steuergeldern subventioniert würden und sich Deutschland dafür stark verschulde. Scholz warnte außerdem vor ungewollten Folgen eines Industriestrompreises – etwa, dass der Ausbau von Wind- und Solarenergie ins Stocken geraten könnte.

Für die finale Entscheidung über einen staatlich subventionierten Industriestrompreis hat die Ampel-Regierung nicht mehr lange Zeit, denn spätestens im Dezember entscheidet der Bundestag über den Haushalt 2024.

Im Audio: Industriestrompreis - Scholz bleibt zurückhaltend

Industriestrompreis - Scholz bleibt zurückhaltend
Bildrechte: picture alliance / Flashpic | Jens Krick
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Industriestrompreis - Scholz bleibt zurückhaltend

Dieser Artikel ist erstmals am 16.09.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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