14.09.2023, Thüringen, Erfurt: Abgeordnete von CDU und AfD stimmen gemeinsam über die Grunderwerbssteuer im Plenarsaal des Thüringer Landtags ab. Die Opposition will eine Steuersenkung gegen die rot-rot-grüne Minderheitskoalition durchsetzen. Foto: Martin Schutt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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14.09.2023, Thüringen, Erfurt: Abgeordnete von CDU und AfD stimmen gemeinsam über die Grunderwerbssteuer im Plenarsaal des Thüringer Landtags ab.

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Mit Stimmen der AfD: CDU beschließt Steuersenkung in Thüringen

Die CDU setzt in Thüringen eine Steuersenkung durch und nimmt dazu Stimmen der AfD in Kauf. Die Regierungskoalition von Linken, SPD und Grünen ist empört. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder befürwortet das Vorgehen der Schwesterpartei-Kollegen.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Die Opposition hat in Thüringen erstmals gegen den Willen der rot-rot-grünen Regierung eine Steuersenkung durchgesetzt. Ein Gesetzentwurf der CDU für eine niedrigere Grunderwerbsteuer bekam am Donnerstag im Landtag in Erfurt eine Mehrheit, weil neben der FDP die AfD die entscheidenden Stimmen beisteuerte.

Die CDU-Initiative sorgt für Wirbel und für Fragen bei der politischen Konkurrenz, wie es die größte Oppositionsfraktion im Thüringer Landtag mit der sonst immer wieder zitierten "Brandmauer" zur AfD hält. Erst recht, weil der AfD-Landesverband in Thüringen vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft ist.

Fragen zur "Brandmauer" kommen erneut auf

Beschlossen wurde mit 46 zu 42 Stimmen eine Senkung der Grunderwerbsteuer. Bauherren und Immobilienkäufer müssen danach nur 5 statt 6,5 Prozent Steuer zahlen. Der Einnahmeverlust liegt nach Prognosen bei 48 Millionen Euro jährlich.

Vertreter der Regierungskoalition von Linken, SPD und Grünen kritisierten die Steuersenkung als "einzigartigen Vorgang" und "Pakt mit dem Teufel". Die CDU gebe der AfD einen Gestaltungsspielraum und Einfluss auf den Landeshaushalt, sagte Linke-Fraktionschef Steffen Dittes. Die CDU fange an, "eine kleine Regierungskoalition in der Opposition unter Einschluss der AfD tatsächlich in Gang zu setzen".

Faeser warnt vor "Normalisierung von Rechtsextremen"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnet den Umgang der CDU mit der AfD als "irrlichternd". "Die CDU reißt die Brandmauer nach rechts außen immer weiter ein", sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Der gemeinsame Beschluss mit der Thüringer AfD sei "ein gefährlicher Beitrag zur Normalisierung von Rechtsextremen".

Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert findet den Vorgang bedenklich. "Wenn das in der CDU Schule macht, dann wird der Parlamentarismus nach dem heutigen Tag ein anderer sein. Demokraten dürfen die AfD niemals zum parlamentarischen Zünglein an der Waage machen", sagte Kühnert in der ARD.

Merz verteidigt Vorgehen – Zuspruch auch von Söder

Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz hatte das Agieren der Thüringer CDU-Fraktion vor der Abstimmung verteidigt. "Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig", sagte Merz. Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es auf Bundes- und Landesebene nicht geben. "Dabei bleibt es auch." Die CDU bringe in mehreren Landtagen eine Senkung der beim Immobilienkauf fälligen Grunderwerbssteuer ein und mache sich dabei nicht von anderen Fraktionen abhängig.

Zuspruch erhielt er von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): "Ich glaube, da hat er recht", sagte dieser im RTL-"Nachtjournal Spezial". "Im Übrigen läge es an den anderen demokratischen Parteien, diese gute Idee einer Steuersenkung zu unterstützen, denn Entlastung für Bürger ist ja nichts Extremes, sondern sinnvoll." Die Bundesregierung belaste die Bürger nur. "Insofern könnten die Ampel-Parteien in Thüringen ein gutes Signal setzen für den politischen Anstand und für die Entlastung der Bürger."

Linke tobt, FDP weist Schuld von sich

Auch Thüringens CDU-Landespartei- und Fraktionschef Mario Voigt verteidigte das Vorgehen: "Ich kann nicht gute, wichtige Entscheidungen für den Freistaat, die Entlastung für Familien und der Wirtschaft, davon abhängig machen, dass die Falschen zustimmen könnten", sagte Voigt nach der Verabschiedung des Gesetzes. Für ihn sei wichtig, dass man mit Inhalten überzeuge.

Im Video: Der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt

Der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt
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Der Thüringer CDU-Vorsitzende Voigt sieht die Durchsetzung der Steuersenkung als Maßnahme, um unzufriedene Wähler von der AfD zurückzugewinnen.

Der saarländische CDU-Politiker Tobias Hans hingegen richtete Kritik in Richtung seiner Partei: "Es bleibt falsch, mit der AfD politische Mehrheiten durchzusetzen", schrieb er auf der Online-Plattform X.

Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien weist jeden Verdacht auf eine Nähe der CDU zur AfD als "fast infam" zurück. Im Deutschlandfunk verwies Prien auf den Unvereinbarkeitsbeschluss ihrer Partei: "Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab."

Thüringens Linke-Fraktionschef Steffen Dittes warf der CDU vor, "Gestaltungsmehrheiten" mit der AfD zu bilden. "Es geht hier nicht um ein zufällig zustande gekommenes Abstimmverhalten", sagte Dittes im Thüringer Landtag. Vielmehr sehe er den Weg der Opposition, eine "Gestaltungsmehrheit" mit der AfD zu bilden. Das sei der Versuch, "aus der Opposition heraus mit einer rechtsextremen Partei das Land zu gestalten oder zu regieren".

Der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner machte indessen die CDU für die gemeinsame Abstimmung beider Parteien mit der AfD verantwortlich. "Es war ein Antrag der CDU-Landtagsfraktion", sagte Lindner der "Augsburger Allgemeinen". Insgesamt kritisierte er jedoch, dass der Antrag mit den Stimmen der AfD beschlossen worden sei. "Das halte ich für kein gutes Signal", sagte er. "Dem guten Anliegen, die Grunderwerbsteuer zu senken, damit Menschen leichter Eigentum erwerben können, ist kein Gefallen getan worden."

AfD zufrieden mit Abstimmung

Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke zeigte sich zufrieden. "Das ist einfach ein guter Tag für Thüringen, das ist pragmatische Politik", sagte Höcke nach der Abstimmung. "Es gibt eine Mehrheit in diesem Landtag seit Oktober 2019 – und diese Mehrheit besteht theoretischerweise aus den bürgerlichen Fraktionen." Er sei froh, so Höcke, dass die "CDU heute den Mut aufgebracht hat", den Gesetzentwurf "durchzuhalten". AfD-Bundesfraktionschefin Alice Weidel triumphierte angesichts des Vorgangs. "Merz' Brandmauer ist Geschichte - und Thüringen erst der Anfang", schrieb die Parteichefin auf der Plattform (vormals Twitter).

Die Mehrheitsverhältnisse im Thüringer Landtag sind schwierig: Die rot-rot-grüne Koalition von Ramelow hat seit Amtsantritt 2020 keine eigene Mehrheit – ihr fehlen vier Stimmen im Parlament. Sie ist bei Entscheidungen stets auf Kompromisse angewiesen – bisher vor allem mit der CDU. 2024 wird ein neuer Landtag in Thüringen gewählt.

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