Drohnenaufnahme eines großen Industriegeländes
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Die Firma Kelheim Fibres verbraucht rund 900 Gigawattstunden pro Jahr, etwa so viel wie die Privatkunden in einer Stadt der Größe Regensburgs.

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Unternehmen mit sehr hohem Energiebedarf: Wie klappt der Umbau?

Einige Unternehmen in Bayern brauchen für ihre Produktion so viel Energie wie eine ganze Stadt. Dennoch wollen sie in Zukunft klimaneutral produzieren. Der Umbau ist aufwendig und teuer – und ohne staatliche Hilfen kaum zu schaffen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Bei Kelheim Fibres wollen sie weg vom Erdgas. Doch im Moment brauchen sie davon noch enorme Mengen. In der Chemie-Fabrik stellen 580 Mitarbeiter aus pflanzlicher Zellulose chemisch veränderte Fasern her – zum Beispiel Viskose für Binden, Tampons oder feuchte Wischtücher. Nach Firmenangaben befinden sich in etwa 80 Prozent der weltweit verkauften Damenhygiene-Produkte Fasern aus Kelheim. Für die Prozesse braucht das Unternehmen im Jahr rund 900 Gigawattstunden Energie. Das entspricht in etwa dem Gasverbrauch der Privatkunden in einer Stadt der Größe Regensburgs. Damit ist Kelheim Fibres nach eigenen Angaben einer der größten Energieverbraucher Bayerns.

Prozesse brauchen 200 Grad Celsius

Diese enorme Energiemenge zu ersetzen, ist alles andere als einfach. Die für die Prozesse benötigte Wärme von bis zu 200 Grad Celsius könne derzeit noch nicht allein mit Strom und Wärmepumpen erreicht werden, sagen die Verantwortlichen. Auch in Zukunft werden sie in den eigenen Kraftwerkskesseln irgendetwas verbrennen müssen, um die benötigten Wärme- und Strommengen zu erreichen. Die naheliegende Alternative: Wasserstoff. Doch der muss erst einmal nach Kelheim kommen.

Wasserstoffnetze zeitnah notwendig

Noch spielen Niederbayern und die Oberpfalz keine Rolle bei den Planungen für ein Wasserstoffnetz, kritisiert die Firma. Geschäftsführer Craig Barker sieht aber durchaus Potenzial. Die nahegelegene Raffinerie in Neustadt an der Donau könnte einmal grünen Wasserstoff herstellen. Auch die Anlieferung in Form von Ammoniak über die Donau und den Kelheimer Hafen sei denkbar.

Ein Wasserstoffnetz könnte hier den Chemie-Standort Kelheim versorgen - und auch nördlich den Raum Regensburg, wo viele große Unternehmen angesiedelt sind. Die Pläne müssten aber schleunigst angegangen werden, fordert Barker. "Wir brauchen die Bereitstellung des Netzes nicht in zehn Jahren, sondern wir brauchen das Netz so schnell wie möglich, damit wir den Wasserstoff hierher transportieren können."

Wasserstoffversorgung wird Standortfrage der Zukunft

In der Region versuchen sie gerade viel, um beim Thema Wasserstoff voranzukommen: Ein Technologie-Transfer-Zentrum wurde gegründet. In Zukunft könnte die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff auch eine Standortfrage sein, sagt Landrat Martin Neumeyer. "Es ist wichtig für alle Beteiligten aus regionaler Politik und Wirtschaft, aktiv zu sein und zu handeln, um den Chemie-Standort in Kelheim zu erhalten und somit auch eine hohe Anzahl an Arbeitsplätzen zu sichern", sagt der CSU-Landrat.

Hohe Kosten für Klimaneutralität

Die Transformation wird aber viel Geld kosten. Für die kommenden 15 Jahre rechnet Kelheim Fibres mit Mehrkosten von 800 Millionen Euro, wenn sie auf Wasserstoff umsteigen. Mit einberechnet sind dabei nicht nur die Kosten für den Umbau des eigenen Kraftwerks, sondern die zusätzlichen Kosten beim Einkauf. Denn Wasserstoff ist im Vergleich zu Erdgas derzeit noch deutlich teurer. Aktuell bemüht sich das Unternehmen um die Aufnahme in ein Programm der Bundesregierung, das die Kosten übernehmen würde. Ohne eine staatliche Übernahme der Ausgaben sei ein Umstieg für das Unternehmen wohl nicht finanzierbar, so Barker.

Zehntausende arbeiten in energieintensiven Branchen

Ähnlich geht es in Bayern vielen Unternehmen. Das bayerische Wirtschaftsministerium zählt in den energieintensiven Branchen im Freistaat knapp 2.500 Unternehmen mit rund 277.000 Mitarbeitenden. Da Energiepreise in anderen Weltregionen – zum Beispiel in den USA – deutlich niedriger sind, gebe es in den Unternehmen zunehmend Standortdiskussionen, teilen die bayerischen Industrie- und Handelskammern mit. Es herrsche ein "enormer Kostendruck bis hin zu Existenzproblemen" durch die Energiepreissteigerungen der letzten Zeit.

Glasindustrie ebenfalls betroffen

Unter den hohen Energiepreisen leidet auch Zwiesel Kristallglas, die größte Glashütte im Bayerischen Wald. Sie stellt pro Jahr bis zu 65 Millionen Wein- und Trinkgläser her. Die riesigen Glasöfen müssen 365 Tage im Jahr rund um die Uhr bei Temperaturen zwischen 1.200 und 1.500 Grad Celsius laufen. Aus technischen Gründen dürfen Glasöfen nie abkühlen. 120 Gigawattstunden Gas, so viel wie eine Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern, braucht Zwiesel Kristallglas dafür jährlich. Das Gas zu ersetzen, ist nicht einfach. "Würden wir die Glasfertigung auf regenerativ erzeugten Strom umstellen, bräuchten wir ungefähr 24 Windräder und würden wir versuchen, das Ganze auch noch mit Wasserstoff zu betreiben, brauchen wir 56 große Windräder", sagt Firmenchef Andreas Buske. Doch Glasöfen, die mit Wasserstoff betrieben werden, gibt es noch gar nicht serienreif. Derzeit werde nur daran geforscht, heißt es bei Zwiesel Kristallglas.

Industriestrompreis gefordert

Bei der Gas-Alternative Strom bräuchte es aber neue Leitungen in den Bayerischen Wald, so Firmenchef Andreas Buske. Die bisherigen Leitungen wären bei diesen Strommengen überlastet. Ohne staatliche Hilfe sei die Energiewende für die Firmen aber nicht zu schaffen. "Wir brauchen eine Unterstützung der Politik, um den Transformationsprozess überhaupt in die Wege zu leiten. Und wir brauchen einen Industriestrompreis, etwas, was uns aktuell konkurrenzfähig hält. Denn auf Dauer kann man mit diesen Preisen nicht überleben." Gas und Strom sind in vielen anderen Ländern schon jetzt günstiger und der Preiskampf in der Glasbranche ist hart.

Standort Deutschland steht immer öfter infrage

Weltweit konkurrenzfähig wollen sie auch bei Kelheim Fibres bleiben. Von einem Industriestrompreis hätte das Unternehmen aber nichts, da es den Strom im eigenen Kraftwerk selbst herstellt. Um mit internationalen Konkurrenten weiter mithalten zu können, bräuchten sie vielmehr einen niedrigeren Industrie-Gaspreis und den Erhalt eines Rabatts bei der Stromsteuer für Großverbraucher, der möglicherweise gestrichen werden soll, heißt es aus dem Unternehmen.

Dass der Standort für die Chemie-Industrie nicht mehr selbstverständlich ist, zeigte jüngst erst ein Beispiel: Dolan, eine Nachbarfirma von Kelheim Fibres, machte Ende Juni endgültig dicht – vor allem wegen gestiegener Energiepreise und weggebrochener Aufträge. Sanierungsversuche für das Chemie-Unternehmen waren gescheitert. Rund hundert Mitarbeitende müssen sich eine neue Arbeitsstelle suchen.

Bildrechte: BR/Renate Roßberger
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Mehrere Gasleitungen speisen einen Ofen von Zwiesel Kristallglas. 120 Gigawattsunden Gas, so viel wie eine Kleinstadt, braucht die Firma im Jahr.

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