Der Schauspieler Thomas Prazak als Dragqueen Hedwig
Bildrechte: Jan Pieter Fuhr / Staatstheater Augsburg

In vollendeter Eleganz tänzelt Thomas Prazak nun über die Bühne, in hochhackigen Lederstiefeln oder später im flauschigen Kostüm

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Zorniger Zipfel: "Hedwig and the Angry Inch" am Theater Augsburg

Hansel verliebt sich in einen Mann, Hansel will mit ihm gehen, Hansel will eine Frau sein. Aber die Operation geht schief – und das Leben geht weiter als Dragqueen. Ist das eine gute Musicalgeschichte? Unbedingt, sagt nun das Staatstheater Augsburg.

Über dieses Thema berichtet: Kulturleben am .

Ein Rock-Musical zum Spielzeitauftakt – Vollgas und mit viel Gesang: für Theatermusiker Stefan Leibold und Schauspieler Thomas Prazak ist das natürlich erstmal eine helle Freude. Aber: "Hedwig and the Angry Inch" ist schon noch mehr als nur eine gut geölte Rockopernmaschine: Die Bekenntnisse einer Dragqueen präsentiert in Form eines Glamrock-Konzerts.

Zwischen den Beinen bleibt ein Stumpf

Hedwig heißt zuerst Hansel, wächst auf in Ostberlin, verguckt sich in einen GI und lässt sich für den in eine Frau umwandeln. Die OP wird zur Verstümmelung, zwischen den Beinen bleibt ein Stumpf, der titelgebende "Angry Inch", der zornige Zoll. Fortan kämpft Hedwig als Dragqueen um einen Platz im Showgeschäft, vor allem aber auch auf der Bühne des Lebens.

Um diese Geschichte einer Selbstfindung zu erzählen, hat sich Schauspieler Thomas Prazak erst mal selber auf die Suche begeben. Denn als Hedwig muss er nicht nur singen auf der Bühne – was er fantastisch macht – sondern muss auch die Dragqueen geben, ohne dass es in peinliche Parodie abrutscht. Dazu hat Prazak zum Beispiel einen Kurs im "Vogueing" belegt, einem Tanzstil, der in der New Yorker Schwulenszene entstanden ist – und hat über Monate das Gehen auf High Heels geübt.

"Ich hatte zuerst dickere Absätze und habe mich dann weiter rangewagt und bin dann immer durch die Wohnung gestöckelt", sagt Prazak und lacht. "Man muss den Körper ganz anders ausrichten. Das war auch ein Prozess."

Das Leben: eine traurige Tortenschlacht

In vollendeter Eleganz tänzelt Thomas Prazak nun über die Bühne, in hochhackigen Lederstiefeln und Silberglitzer-Minikleid oder später im flauschigen Kostüm, das aussieht wie aus dem Fell eines Bobtails genäht. Im Hintergrund laufen derweil über turmhohe Screens Videos, die das Leben wahlweise als Zuckerschlecken oder traurige Tortenschlacht zeigen.

Show und Schmerz liegen bei Drag ja meist eh nah beieinander, der Glamour dient oft dazu, die Schattenseiten des Daseins zu überstrahlen, um sie dadurch erst recht aufscheinen zu lassen. Und doch, sagt Regisseurin Cornelia Maschner, gehe es in "Hedwig and the Angry Inch" nicht allein um das Schicksal einer Dragqueen. Verhandelt werde hier eine universelle Geschichte vom Sich-Fremdfühlen.

"Zu sagen: Ich habe irgendwas, seit der Geburt oder weil mir was passiert ist, und das habe ich jetzt und bin irgendwie anders und passe nicht dazu: Für mich ist das erst mal eine menschliche Geschichte."

"Keine Angst, ich lese nix vor!"

Allerdings gibt es viele Menschen, die sich strikt weigern würden, etwas von sich selbst in einer Dragqueen zu erkennen. "Keine Angst, ich lese nix vor!", flachst Thomas Prazak einmal im Stück – in Anspielung auf eine Draglesung für Kinder in München, die im Sommer neben breitem Zuspruch auch heftigen Protest weckte. Musik, glaubt Cornelia Maschner, könnte helfen, solche Ressentiments abzubauen.

Man kann dieses Musical also auch als Beitrag zur Entkrampfung einer aufgeladenen Debatte begreifen – und zugleich genießen als königliches Vergnügen, mit Thomas Prazak als schillernder Queen des Showbiz und der Band um Stefan Leibold als ihr treu ergebene Vasallen.

"Hedwig and the Angry Inch" - ab 15.9. auf der "brechtbühne im Gaswerk" Augsburg.

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