Der Kläger Andreas Perr (M) und seine Anwälte Andreas Schulz (r) und Markus Goldbach (l) stehen zu Prozessbeginn an ihren Plätzen im Gerichtssaal des Landgericht Traunstein.
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Ist das Erzbistum haftbar zu machen für das, was Andres Perr erleiden musste?

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Missbrauchsprozess in Traunstein: Kein schnelles Urteil erwartet

Auftakt im Zivilverfahren eines Missbrauchsopfers gegen den mutmaßlichen Täter und das Erzbistum München. Das Gericht hält den Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld grundsätzlich für unstrittig. Mit einem schnellen Urteil aber ist nicht zu rechnen.

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Bis Jahresende ist nicht mit einem Urteil zu rechnen im Zivilverfahren eines Missbrauchsopfers gegen den mutmaßlichen Täter und seinen ehemaligen Dienstherren, das Erzbistum München und Freising. Diese Einschätzung gab die stellvertretende Präsidentin des Landgerichts Traunstein am Dienstag nach dem ersten Verhandlungstag ab.

Am 14. Juli wird das Gericht einen so genannten Beweisbeschluss verkünden. Danach wird es ein psychiatrisches Gutachten beauftragen. Welche Auswirkungen hatte der Missbrauch durch den Geistlichen Peter H. auf das weitere Leben des Klägers Andreas Perr, darum soll es in dem Beweisverfahren gehen.

Gericht sieht nach vorläufiger Rechtsauffassung Mitschuld Ratzingers

Klar wurde zum Auftakt des Verfahrens: Das Landgericht Traunstein sieht zumindest nach vorläufiger Rechtsaufassung eine Mitschuld von Kardinal Joseph Ratzinger an dem Missbrauchsfall in Garching an der Alz. Die Begründung des Gerichts: Der spätere Papst Benedikt XVI. habe 1980 als Erzbischof von München und Freising an einer Sitzung teilgenommen, in der beschlossen wurde, dass ein wegen Missbrauchsverdachts aus Nordrhein-Westfalen versetzter Priester in der Erzdiözese eingesetzt wird.

Darum habe er "entsprechend Kenntnis von dem Vorleben" des Priesters Peter H. gehabt und diesen trotzdem "ohne weitere Beschränkungen und Vorkehrungen" wieder als Seelsorger eingesetzt, auch im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, stellte die Vorsitzende Richterin Elisabeth Nitzinger-Spann in einer vorläufigen Rechtsauffassung fest. Einen Anspruch auf Haftung gegen das Erzbistum sehe sie als grundsätzlich gegeben, so die Vorsitzende Richterin zu Beginn der Verhandlung.

Richterin sieht Anspruch auf Schmerzensgeld als gegeben

Für beide Seiten geht es um viel: 300.000 Euro Schmerzensgeld hatte das Missbrauchsopfer Andreas Perr gefordert - vom Erzbistum München und Freising, dem damaligen Dienstherren des mutmaßlichen Täters, des Priesters Peter H.. Denn der Missbrauch habe sein Leben zerstört, ihn in die Drogen- und Alkoholsucht getrieben.

Als Anstellungskörperschaft sei die Kirche verantwortlich zu machen für den Schaden aus der "unstreitigen Missbrauchshandlung" des Pfarrers im Sommer 1995 oder 1996. Insofern bestehe gegen sie auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz, so die Richterin. "Es stellt sich nur noch die Frage nach der Höhe des Anspruchs."

Der Anwalt des Erzbistums München und Freising beantragte, die Klage auf Schmerzensgeld abzuweisen. Zwar erkannte Rechtsanwalt Dieter Lehner den Antrag auf Feststellung der Schuld an, den Antrag auf Schmerzensgeld aber lehnte er am Dienstag vor dem Landgericht Traunstein ab. Allerdings bekräftigte der Anwalt, trotz des Antrags auf Abweisung der Schmerzensgeld-Klage gebe es eine Bereitschaft, sich mit der Klägerseite zu einigen.

Das Erzbistum München und Freising teilte nach dem Ende der Verhandlung mit, dass es nach wie vor bereit sei, ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Es sei nur nach dem derzeitigen Stand der Verhandlung noch nicht möglich, einzuschätzen, wie hoch ein solches ausfallen müsse.

Unterstützer des Klägers demonstrieren in Traunstein

Am Rande der Verhandlung am Landgericht Traunstein demonstrierten katholische Gruppen wie die Reforminitiative "Maria 2.0" oder die Initiative für Aufklärung und Aufarbeitung kirchlichen Missbrauchs, "Initiative Sauerteig" aus dem oberbayerischen Garching an der Alz, wo Intensivtäter Peter H. lange Zeit als Seelsorger tätig war. Die Initiative unterstützt Andres Perrs Klage nicht nur moralisch, sondern hat auch Geld gesammelt, um den Kläger bei den Prozesskosten zu entlasten.

Besonders brisant am Zivilverfahren in Traunstein: 50.000 Euro von den insgesamt geforderten 350.000 fordert der Anwalt des Opfers von den Erben des früheren Papstes Benedikt XVI. Diese Klage wurde jedoch zuvor vom Verfahren abgetrennt. Denn bislang ist unklar, wer das Erbe des verstorbenen Papstes antritt und an seiner Stelle ins Verfahen eintritt.

Seine Klage gegen den früheren Münchner Erzbischof, den mittlerweile 95-jährigen Kardinal Friedrich Wetter wiederum zog Kläger Andreas Perr kurz vor Verfahrensbeginn zurück. Der beklagte Täter, Peter H. blieb der Verhandlung trotz Ladung fern und wurde durch seinen Anwalt vertreten.

Höhe von Entschädigungen: Verfahren könnte neuen Maßstab setzen

Aufmerksamkeit erlangt der Prozess vor dem Landgericht nicht nur, weil auch die kirchlichen Vorgesetzten des Missbrauchstäters zu den Beklagten gehören, sondern auch wegen der Höhe der Schmerzensgeldforderung: 350.000 Euro, das liegt weit höher als die Summen, die deutsche Bistümer bisher freiwillig an Anerkennungsleistungen zahlten, nämlich im Schnitt 22.000 Euro und in wenigen Ausnahmefällen Summen um 100.000 Euro.

So gesehen könnte das Urteil im Traunsteiner Prozess Signalwirkung auch für andere Missbrauchsbetroffene haben. Das wiederum könnte die Bistümer im Fall weiterer Klagen teuer zu stehen kommen. Zuletzt hatte das Langdgericht Köln das dortige Erzbistum zu einer Zahlung von 300.000 Euro Schmerzensgeld an einen Missbrauchsbetroffenen verurteilt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Mit Material von dpa und KNA

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