Schriftlicher Asylerstantrag des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Symbolbild)
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Schriftlicher Asylerstantrag des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Symbolbild)

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Asylverfahren außerhalb der EU: Wie könnte das gehen?

Wer in Deutschland Asyl oder anderen Schutz möchte, soll den Antrag außerhalb der EU stellen – diese Idee gewinnt gerade wieder an Unterstützern. Was spricht dafür, was dagegen? Und was prüft die Bundesregierung? Die wichtigsten Antworten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die Idee, die gerade in Deutschland diskutiert wird, ist nicht neu: Wie wäre es eigentlich, Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen? Heraus kämen weniger irreguläre Migration und eine zielgenaue Hilfe für Schutzbedürftige – das sind die zentralen Argumente der Befürworter. Aber es gibt auch Zweifel, vor allem mit Blick auf die Menschenrechte.

Klar ist: Asylverfahren außerhalb der EU wären eine große organisatorische Herausforderung. Sie würden das System, wie Geflüchtete bisher um Asyl oder einen anderen Schutzstatus bitten, deutlich verändern. Hier lesen Sie die wichtigsten Fragen und Antworten.

Asylverfahren außerhalb der EU: Was prüft die Bundesregierung?

Bund und Bundesländer haben sich bei ihrem Treffen zur Migrationspolitik Anfang der Woche darauf geeinigt, Asylverfahren außerhalb der Europäischen Union in Erwägung zu ziehen. Demnach wird die Bundesregierung jetzt prüfen, "ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann".

Konkret heißt das: Künftig könnte es sein, dass Geflüchtete ihren Asylantrag für Deutschland auf ihrem Weg in die EU in einer entsprechenden Einrichtung stellen müssen – in einem Transitstaat. Es könnte auch sein, dass Geflüchtete aus Deutschland in ein Land außerhalb der EU zurückgeschickt werden, um dort ihren Asylantrag zu stellen und das Verfahren abzuwarten – das wäre dann in einem Drittstaat. Dafür müssten die Verfahren schnell und fair ablaufen.

Aber: Könnte, wäre, müsste – bisher sollen Asylverfahren außerhalb der EU nur geprüft werden. Beschlossen ist nichts. Für Ausnahmefälle hat die Ampel-Bundesregierung Verfahren außerhalb der EU-Grenzen schon in ihrem Koalitionsvertrag in Erwägung gezogen. Das Bundesinnenministerium prüft laut mehreren Medienberichten noch, inwiefern das möglich ist. Eine schnelle Entscheidung ist unwahrscheinlich: Eine klare, einheitliche Position der Ampel zu dem Thema gibt es bisher nicht.

Wer ist dafür – und warum?

Zuletzt warb etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst für Asylverfahren außerhalb der EU. Der CDU-Politiker sagte: "Irreguläre Migration muss beendet werden, damit wir denjenigen Menschen gerecht werden können, die wirklich unsere Hilfe brauchen, weil sie vor Krieg und Vertreibung fliehen." Er forderte vor allem Abkommen mit nordafrikanischen Staaten, um Flüchtlinge nach einem Aufgreifen in Europa direkt in Staaten entlang der Fluchtrouten bringen zu können, "damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln stattfinden".

In der FDP gibt es auch viele Befürworter der Idee. Auch einige SPD-Bundestagsabgeordnete sind dafür offen – und Baden-Württembergs Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Auch wenn er bei der Umsetzung skeptisch ist, hält Kretschmann den Plan für prüfenswert. Genau wie die frühere Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht. Die AfD will schon lange "Asylzentren außerhalb der EU".

Kernargument der Unterstützer: Auf diese Art würden deutlich weniger Migrantinnen und Migranten nach Europa kommen. Und nur diejenigen, die die Schutz-Voraussetzungen erfüllen. Darüber hinaus könnten solche Verfahren bewirken, dass weniger Menschen sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen, den immer noch viele nicht überleben.

Wer ist dagegen – und warum?

Große Zweifel haben weite Teile der Grünen, zum Beispiel die Vorsitzende Ricarda Lang. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das rechtlich mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar ist", sagte sie nach dem Bund-Länder-Beschluss. Sie könne sich ebenso wenig vorstellen, dass man einen Staat finden werde, in dem solche Verfahren praktisch umsetzbar wären.

Auch Teile der SPD und die Linke sind gegen den Plan. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprach zuletzt von einem "Irrweg, der die konkreten Herausforderungen in den Kommunen nicht lösen wird, dem rechtliche Bedenken entgegenstehen und der realistisch kaum umsetzbar sein wird, insbesondere nicht ohne gravierende Menschenrechtsverletzungen".

Bisher sind solche Verfahren nicht mit dem Asylrecht Deutschlands sowie der EU vereinbar. Das könnte sich aber in absehbarer Zeit ändern. Organisatorisch wären Asylverfahren außerhalb der EU eine Herausforderung: Es bräuchte an verschiedenen Standorten ausreichend Beamte aus EU-Staaten sowie Richterinnen und Richter. Eine wichtige Rolle dürften auch internationale Organisationen wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR spielen, damit die Menschenrechte während der Wartezeit auch wirklich gesichert wären – anders als etwa in Flüchtlingslagern in Libyen.

Was sagen Experten?

Generell sind externe Asylverfahren aber nicht rechtswidrig, sagt der Konstanzer Völkerrechtler Daniel Thym. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dürften Asylbewerber nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem Verfolgung droht. Es gebe also ein Menschenrecht auf Schutz, aber nicht auf freie Wahl des Asyllandes, betont Thym. Für Deutschland und Italien gilt laut Thym außerdem eine Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU), die jedem Ausländer auf EU-Territorium ein individuelles Asylverfahren gewährt. Auf Hoher See (beginnt zwölf Seemeilen vor der Küste) gilt diese Asylverfahrensrichtlinie nicht.

Der Migrationsforscher Gerald Knaus sieht Asylverfahren außerhalb Europas als einen möglichen wichtigen Baustein zur Begrenzung irregulärer Migration. "Die EU-Kommission könnte vorschlagen: Alle, die in den nächsten zwei Jahren über das zentrale Mittelmeer kommen, kann Italien in einen sicheren Drittstaat schicken." Der Schlüssel dazu seien Verhandlungen mit einem Land in Afrika, das ein Interesse in der Kooperation sehe. Im ARD-Morgenmagazin betonte Knaus: Es gehe darum, "die irreguläre, lebensgefährliche Migration über das Mittelmeer zu reduzieren".

Wie laufen Asylverfahren aktuell ab?

Derzeit legt das sogenannte Dublin-Verfahren fest, welcher EU-Staat für einen Asylantrag zuständig ist. Vereinfach gesagt ist das der Staat, in dem ein einreisender Migrant erstmals die EU-Grenze übertritt. In der Praxis stößt das Dublin-Verfahren aber seit vielen Jahren an seine Grenzen: Angesichts Hunderttausender Migranten jedes Jahr klagen vor allem die Mittelmeer-Staaten, damit alleine gelassen zu werden. Immer wieder lassen Staaten offensichtlich Migranten "durchreisen", also registrieren sie gar nicht erst.

Während vor allem Rechtspopulisten fordern, dass künftig alle Asylanträge außerhalb der EU gestellt werden sollen, sprechen andere Politiker von einer Ergänzung des bisherigen Systems. Was das genau bedeuten würde, wieviel Prozent der Antragssteller künftig außerhalb der EU warten müssten – unklar.

Was haben Italien und Albanien vereinbart?

Für Schlagzeilen sorgt aktuell ein Abkommen zwischen Italien und Albanien. Die beiden Staaten haben vereinbart, dass Menschen, die von Schiffen der italienischen Behörden im Mittelmeer gerettet werden, ab kommendem Jahr direkt nach Albanien gebracht werden sollen, zur "individuellen Fallbearbeitung". Das soll für bis zu 3.000 Menschen gleichzeitig möglich sein.

In zwei Zentren auf albanischem Boden soll dann gemäß EU-Recht entschieden werden, wer Anspruch auf Asyl in Italien hat – und wer zurück in sein Heimatland gebracht wird. Die Zentren werden von Italien gebaut, finanziert und verwaltet. Albanien beteiligt sich an der Bewachung der Einrichtungen. Wichtig: Das Abkommen soll nicht gelten für Minderjährige, schwangere Frauen und andere schutzbedürftige Personen. Trotzdem gibt es juristische Zweifel an dem Abkommen. Nach aktueller Rechtslage könnte es ein Verstoß gegen das europäische Asylrecht sein.

"Ruanda-Modell": Was plant(e) Großbritannien?

Hinter dem sogenannten Ruanda-Modell steht eine Entscheidung Großbritanniens unter dem früheren Premierminister Boris Johnson: Alle Migranten, die irregulär über den Ärmelkanal ins Land kommen, sollen sofort nach Ruanda ausgeflogen werden. Erst dort soll über ihren Asylantrag für Großbritannien entschieden werden – unabhängig davon, ob sie eine Verbindung zu Ruanda oder das Land auf ihrem Weg passiert haben.

Daran gibt es massive rechtliche Bedenken. Im Juni stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einen Abschiebeflug nach Ruanda. Am Ende muss das höchste britische Gericht entscheiden, der Supreme Court. Das dürfte aber noch einige Monate dauern.

Was sollen andere Länder im Umkehrschluss kriegen?

Das Konzept hinter dem Ruanda-Modell gilt auch für die Idee, europäische Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen: Ein anderes Land kriegt (viel) Geld dafür, Geflüchtete aufzunehmen und die Asylverfahren eines anderen Staats auf seinem Staatsgebiet durchführen zu lassen. Im Gespräch sind auch Visaerleichterungen für die Bürger des Staates, in dem die Asylverfahren durchgeführt werden.

Was ist mit Asylverfahren auf EU-Gebiet an den Außengrenzen?

Diskutiert wird immer wieder auch ein etwas anderer Ansatz als Asylverfahren außerhalb der EU: Verfahren auf EU-Territorium, direkt an den Außengrenzen. Dafür warb schon vor einigen Jahren der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), auch Teile der SPD zeigten sich damals offen. Letztlich ist das allerdings eine Entscheidung, die die EU-Staaten gemeinsam treffen müssen.

Mit Informationen von dpa

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