Der Bundesbeauftragte gegen Antisemitismus Felix Klein.
Bildrechte: pa/dpa/Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Der Bundesbeauftragte gegen Antisemitismus Felix Klein.

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Antisemitismusbeauftragter Klein: "Judenhass geht alle an"

Hetze auf propalästinensischen Demos, Schmierereien auf Kunstwerken, Beschimpfungen – Juden in Deutschland fühlen sich nicht mehr sicher. Der Bundesbeauftragte gegen Antisemitismus fordert mehr Einsatz gegen Judenhass.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Es war nur eine kleine Meldung in den Nachrichten: Vor einer Woche haben Unbekannte an einem Kunstwerk zur Völkerverständigung in einem Park in Nürnberg-Steinbühl einen Stein mit einer israelischen Flagge mit weißer Farbe übermalt. Die Täter: unbekannt. Die Polizei ermittelt. Dieser kleine Vorfall ist symptomatisch für die derzeitige Stimmung in Deutschland. Jüdinnen und Juden werden offen angefeindet – nicht nur auf pro-palästinensischen Demonstrationen, sondern auch auf der Straße, in Diskussionen, in sozialen Medien.

Felix Klein: "Aufstehen gegen Judenhass, wo er gerade geschieht"

Das stellt mit Bedauern auch der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, fest. Er war am Dienstagabend auf Einladung des Jüdischen Museums Franken nach Fürth gekommen – ein Termin, der seit Jahresanfang 2023 immer wieder verschoben werden musste, jetzt aber dringlicher schien denn je.

Klein rief in seinem Vortrag dazu auf, sich überall gegen Antisemitismus einzusetzen, wo dieser auftritt. Jeder Einzelne in Deutschland könne etwas tun, sagte Klein. Zunächst sei es wichtig, sich mit dem Thema Antisemitismus zu beschäftigen, "um gestählt zu sein bei Betriebsfeiern oder im ÖPNV, wenn es zu Äußerungen kommt."

Jüdisches Leben in Deutschland soll selbstverständlich werden

Klein selbst setze sich auf politischer Ebene ein, damit jüdisches Leben in Deutschland mehr geachtet werde. So fordere er unter anderem eine Meldepflicht von antisemitischen Vorfällen an Schulen, eine Reform der Lehrerausbildung und er arbeite mit an einer geplanten Verschärfung des Volksverhetzungsparagrafen. Auch treibe er Änderungen an Prüfungsordnungen voran, wonach Studierende jüdischen Glaubens bei Prüfungsterminen, die auf einen jüdischen Feiertag fallen, Anspruch auf einen Ersatztermin bekommen sollen. Generell setze Klein sich dafür ein, dass aus dem Besonderen des Jüdischen "irgendwann einmal wieder etwas Selbstverständliches wird." Er sei überzeugt: "Je selbstverständlicher jüdisches Leben in unserem Land wahrgenommen wird, desto weniger läuft es Gefahr, angegriffen zu werden."

Klein: "Zum Angriff auf Israel kein 'Ja, aber' angezeigt"

Gleich zu Beginn seines Vortrags verurteilte der Antisemitismusbeauftragte des Bundes erneut den "barbarischen Terrorangriff der Hamas auf Israel." Der Angriff am 7. Oktober 2023 sei nicht, wie von Demonstranten in Deutschland dargestellt, einfach eine Attacke von Militanten oder Freiheitskämpfern gewesen. Zwar sei es legitim, wenn auf pro-palästinensischen Demonstrationen Menschen ihr Mitgefühl für die Toten und das Leid im Gazastreifen zum Ausdruck bringen, soweit es „friedlich, gewaltfrei und ohne antisemitische Hetze“ geschehe. Doch sei gegenüber Israel, das in seinem Existenzrecht bedroht werde, "kein ‚Ja, aber‘ angezeigt", mahnte Klein vor einer eher überschaubaren Schar an Zuhörerinnen und Zuhörern im Saal des Jüdischen Museums.

Fall Aiwanger: "Es läuft gewaltig etwas schief"

Klein äußerte sich auch zur Flugblattaffäre des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (FW). Der Fall zeige, "was auch im Hier und Jetzt noch gewaltig schiefläuft im Umgang mit Antisemitismus in Deutschland." Es gehe ihm nicht darum, Aiwanger Verfehlungen aus den 1980-er Jahren vorzuhalten, sagte Klein. Er kritisierte zum einen Aiwangers Reaktion auf die Vorwürfe. Statt sich ernsthaft mit der ja immerhin in seiner Schultasche gefundenen extremen antisemitischen Hetze auseinanderzusetzen, habe Aiwanger politischen Konkurrenten eine Hexenjagd vorgeworfen und die Medien einer politischen Kampagne beschuldigt. "Eine aufrichtige, glaubwürdige Entschuldigung bei den Opfern der Schoah und ihren Nachkommen lässt weiter auf sich warten", so Klein.

Mit dieser Ansicht ist der Antisemitismusbeauftragte nicht allein: Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, erklärte nach einem Gespräch mit dem Wirtschaftsminister Anfang September, sie könne seine Entschuldigung nicht annehmen.

"Bildung wichtigstes Mittel im Kampf gegen Antisemitismus"

Felix Klein stört sich in der Causa Aiwanger aber auch an den ausbleibenden Reaktionen der Zivilgesellschaft. Dies sei "symptomatisch für den Umgang mit Judenfeindlichkeit in Teilen unserer Gesellschaft". Das wichtigste Mittel dagegen sei Bildung. Das Wissen über die Geschichte und Formen des Judenhasses und die Auseinandersetzung mit Antisemitismus müssen in der Gesellschaft dringend verbreitet werden. Zudem übte Klein Kritik an der medialen Berichterstattung zur Flugblattaffäre. So hätten viele Medien jüdische Vertreterinnen und Vertreter gefragt, wie sie das Flugblatt bewerten. Doch seiner Meinung nach hätten die Medien eher Kirchen, Lehrerverbände oder Gewerkschaften befragt werden müssen, wie sie zu Antisemitismus stehen und was sie gegen ihn tun.

Auch positive Entwicklungen

Doch nennt Klein auch positive Entwicklungen. So sei in der Juristenausbildung das Thema Holocaust und Antisemitismus inzwischen ein Prüfungsthema. Polizei und Sicherheitsbehörden seien für judenfeindliche Angriffe und Äußerungen sensibilisiert. In Städten und Gemeinden gebe es "Demonstrationsverbote, wo antisemitische Äußerungen zu erwarten sind." Diese Entscheidungen würden von Gerichten auch nicht gekippt.

Fürth: historisches Beispiel von Judenfreundlichkeit

Und was Fürth betrifft, richtet Klein einen würdigenden Blick in die Stadthistorie. Fürth habe vor der Nazizeit bekanntlich als "fränkisches Jerusalem" gegolten, weil dort so viele jüdische Bürgerinnen und Bürger lebten – "und zwar nicht in Ghettos." Auch erinnert Klein daran, dass 1849 in Fürth der erste jüdische Landtagsabgeordnete gewählt wurde. "Außerdem gab es in Fürth den ersten jüdischen Rechtsanwalt, den ersten jüdischen Schuldirektor und den ersten jüdischen Richter des Königreichs Bayern." Das zeige, dass jüdisches Leben in Fürth einmal selbstverständlich gewesen ist.

Landrat Kroder: "Toleranz endet da, wo Intoleranz beginnt"

Zur Veranstaltung im Jüdischen Museum war auch der Landrat des Kreises Nürnberger Land, Armin Kroder (FW), gekommen. Er sagte in einem Grußwort, die Aufgabe, Antisemitismus zu bekämpfen, könne man "nicht an irgendjemand delegieren." Es handele sich vielmehr um eine "Aufgabe von uns allen. Toleranz endet da, wo Intoleranz beginnt." Kroder äußerte den Wunsch, dass alle Schülerinnen und Schüler einmal zu Gast im Jüdischen Museum Franken sind, egal ob am Hauptsitz Fürth oder in den Außenstellen in Schnaittach und Schwabach. Wenn es gelinge, dass in Zusammenarbeit mit den Schulen solche Besuche stattfinden, "dann – glaube ich – haben wir zum Thema Bildung schon bisschen etwas gemeinsam mit nach vorne gebracht."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!