ARCHIV - 23.03.2023, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Ein Polizist hält eine Pistole vom Typ Walther P99 in den Händen. Mehr als 2000 Mal haben Polizisten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2023 bis Ende November Schüsse aus ihrer Dienstwaffe abgegeben - fast immer auf Tiere. (zu dpa «Polizei schoss 2092 Mal - 2 Todesopfer, 11 Verletzte») Foto: Federico Gambarini/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Federico Gambarini

Ein Polizist mit einer Waffe (Symbolbild)

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Verfolgungsjagd "Wahnsinn": Polizistin sagt im Quad-Prozess aus

In Cham stand heute ein Polizist vor Gericht. Er soll bei einer Verfolgungsjagd nahe Roding unberechtigt Schüsse auf einen Quadfahrer abgegeben haben. Vor Gericht sagte heute seine Kollegin aus – bei der Schilderung brach sie in Tränen aus.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus der Oberpfalz am .

Schwierig war heute die Wahrheitssuche im Prozess gegen einen Polizisten, der am Vatertag 2022 bei einer Fahrzeugkontrolle viermal gegen die Reifen eines flüchtenden und betrunkenen Quadfahrers geschossen hatte. Der Quadfahrer hatte damals trotz Blaulicht und Sirene nicht angehalten. Die Schüsse sieht die Staatsanwaltschaft nicht als angemessenes Mittel in einer solchen Situation. Die Anklage lautet unter anderem auf versuchte Körperverletzung im Amt.

Polizist verteidigt sich

Am ersten Verhandlungstag wurden der Angeklagte selbst, außerdem zahlreiche Zeugen und drei Sachverständige angehört. Der 36-jährige Polizist selbst verteidigte die Schüsse. Beim ersten Schuss auf einen Hinterreifen des Quads habe er sich von dem Quadfahrer bedroht gefühlt. Der habe nach einer Rückwärtsfahrt plötzlich "krachend" den Vorwärtsgang eingelegt und sei auf ihn zugefahren.

Schuss, um Gefährdung Dritter zu verhindern?

Bei der zweiten Schussabgabe auf einem schmalen Waldweg, wieder auf die Hinterreifen, habe er verhindern wollen, dass der zunehmend herumschlingernde Quadfahrer jemanden gefährdet. Kurz davor sei dem Quad ein Radfahrer entgegengekommen und habe gerade noch ausweichen können. Auch den Einsatz von Pfefferspray gegen den Quadfahrer, den er schließlich stoppen konnte, verteidigte der Polizist.

Polizeikollegin im Zeugenstand

Seine 29 Jahre alte Kollegin, die mit im Streifenwagen gesessen hatte, erklärte dagegen, die ganze Verfolgungsjagd in teils unwegsamem Gelände sei "echt Wahnsinn" gewesen. Sie habe den ersten Schuss nur gehört, die Umstände aber nicht beobachten können. Später habe sie das Quad nur deshalb mit dem Polizeiauto gerammt, weil ihr Kollege sie dazu aufgefordert habe.

Polizistin: "Hätte niemals geschossen"

Bei den zweiten Schüssen habe sie ihm zugerufen "Hör auf!", sei auch erschrocken gewesen über das Pfefferspray. Sie selbst hätte in der Situation "niemals geschossen." Das sei nicht nötig gewesen. Im Zeugenstand brach die junge Frau immer wieder in Tränen aus. Sie machte auch immer wieder Erinnerungslücken geltend.

Quadfahrer ohne aussagekräftige Angaben

Gar nichts beitragen konnte der Quadfahrer, der damals tatsächlich erheblich betrunken war und deswegen auch schon im Dezember eine Bewährungsstrafe erhalten hatte. Der 60-jährige Landwirt sagte, er sei spazieren gefahren, habe nichts bemerkt und sich dann irgendwann über einen platten Reifen gewundert. Er habe aber gedacht, das sei im Wald passiert. Plötzlich habe er dann Pfefferspray im Gesicht gehabt.

Der Staatsanwalt fragte den Landwirt, ob er das Gericht "für blöd verkaufen" wolle. Die Richterin wies den 60-Jährigen darauf hin, dass er bei einer Falschaussage vor Gericht seine Bewährung verlieren könne. Schließlich verzichteten Staatsanwaltschaft und auch Verteidigung auf die weitere Zeugenvernehmung des Mannes.

Polizeiermittler: Schussabgabe nicht gerechtfertigt

Ein interner Ermittler der Polizei sah die Schussabgabe nicht als gerechtfertigt an. Es gebe genaue Richtlinien dafür, wann ein Polizist schießen dürfe. Das lerne man auch schon in der Ausbildung.

Zeugen stützen Aussagen des Polizisten

Eine 14-jährige Radfahrerin und ihre Mutter, die beim ersten Schuss in der Nähe waren, hatten teils Erinnerungslücken. Zwei der drei Sachverständigen, die die zerschossenen Reifen untersucht hatten, stützten dagegen die Aussage des Polizisten beim ersten Schuss. Es sei nicht auszuschließen, dass der Quadfahrer tatsächlich auf den Polizisten zugefahren sei. Ein Sachverständiger nannte eine Aussage der jungen Polizeikollegin im Streifenwagen "nicht plausibel".

Urteil am zweiten Prozesstag erwartet

Am Freitag geht der Prozess am Amtsgericht Cham weiter. Am Nachmittag soll das Urteil fallen. Für den 36-jährigen Polizisten, der momentan vom Dienst freigestellt ist, geht es um einiges. Sollte er zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt werden, würde er seinen Job verlieren.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!