Teilnehmer des Erinnerungsprojekts "Die Rückkehr der Namen" treffen sich mit ihren Plakaten in der Innenstadt.
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Teilnehmer des Erinnerungsprojekts "Die Rückkehr der Namen" treffen sich mit ihren Plakaten in der Innenstadt.

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"Die Rückkehr der Namen": BR-Erinnerungsprojekt zu Nazi-Opfern

Verfolgt, verschleppt, ermordet - vergessen? Das will das Projekt "Die Rückkehr der Namen" verhindern. Über 1.000 Münchner haben Patenschaften für Nazi-Opfer übernommen.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Das Projekt "Die Rückkehr der Namen" will an über 1.000 Münchnerinnen und Münchner erinnern, die von den Nazis ermordet wurden. Mit Schildern der Biografien laufen die Paten des Projekts heute durch die Stadt.

So haben sich etwa Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Münchner Kammerspiele auf den Weg gemacht. Sie laufen durch die Maximiliansstraße. Jeder trägt ein Schild mit dem Namen eines ermordeten Mitbürgers. Die Paten stehen mit ihren Erinnerungsschildern bewusst "im Weg" - sie versuchen, auf sich aufmerksam zu machen. Allein 35 Frauen und Männer, die während des Hitlerregimes an den Kammerspielen gearbeitet hatten, wurden von den Nazis ermordet.

Eine neue Art des Erinnerns

Der 11. April soll einen wichtigen Beitrag leisten. Er steht für eine neue Art des Erinnerns an die Verfolgten der NS-Zeit in München und Bayern. Das wünscht sich zumindest Andreas Bönte, stellvertretender Kulturdirektor des Bayerischen Rundfunks. Er ist Initiator des Projekts "Die Rückkehr der Namen". Zusammen mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München haben Bönte und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Namen und Biografien von mehr als 1.000 überwiegend unbekannten Opfern des Nazi-Regimes aus München gesammelt. Von Männern, Frauen und Kindern.

Mehr als 1.000 Paten erinnern an mehr als 1.000 Schicksale

Für jeden von ihnen haben Münchnerinnen und Münchner – Privatleute ebenso wie Institutionen, Vereine oder Schulen – Patenschaften übernommen. Auch Nachfahren von Nazi-Opfern sowie Delegationen aus Amberg, Augsburg, Regensburg und Würzburg sind dabei. Die Paten stehen mit Erinnerungstafeln in der ganzen Stadt. An Orten, an denen die Verfolgten lebten oder arbeiteten. Auf dem Instagram-Kanal von BR24 stellen sich drei Patinnen und Paten vor und erzählen, warum sie bei dem Projekt mitmachen.

Die Münchnerin Irene Hofer hat die Patenschaft für Judis Cahn übernommen. Das Schicksal des ermordeten Babys hat sie berührt: "Ich habe das Foto gesehen, und ich habe die Daten dazu gelesen – da steht das Geburtsdatum und das Todesdatum. Und da war mir klar, dass sie ein Jahr und drei Monate alt war."

Insgesamt etwa 10.000 Verfolgte aus München in der NS-Zeit getötet

Die kleine Judis wurde wie viele Münchner Jüdinnen und Juden mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter 1941 nach Kaunas in Litauen deportiert. Bei der Massenerschießung war sie das jüngste Opfer der aus München Verschleppten. Allein rund 4.500 Münchner Juden sollen während des Nationalsozialismus ermordet worden sein. Insgesamt wurden in der NS-Zeit mindestens 10.000 Menschen aus München getötet: Weil ihre politische Einstellung, Religion oder Lebensweise – etwa ihre sexuelle Orientierung – nicht passte. Weil sie Sinti und Roma waren. Oder weil sie als "krank" und "behindert" galten.

Zeichen für Demokratie, Toleranz und eine offene Gesellschaft

Der Projektinitiator will den Menschen hinter den Zahlen ihre Namen, ihr Gesicht und ihre Geschichte zurückgeben: "Die Menschen sind ja nicht als Opfer auf die Welt gekommen. Sie sind zu Opfern gemacht worden."

Dass so viele "heutige Münchner" beim Erinnerungsprojekt mitmachen, freut Bönte. So werde auch eine Verbindung zur Gegenwart hergestellt – ein Zeichen für Demokratie, Toleranz und eine offene Gesellschaft. "Damals starb die Demokratie langsam, die NSDAP kam auf demokratischem Weg an die Macht. Dann gab es Gesetze gegen Juden, gegen Sinti und Roma, daneben Euthanasie-Morde. Und alle haben es mitgekriegt, aber weggeschaut. Und das darf nie wieder passieren", sagt Bönte.

Große Abschlussveranstaltung auf dem Odeonsplatz

Auf einem Weg der Erinnerung vom Königsplatz durch die Münchner Innenstadt kann jeder und jede mitgehen. Ziel ist der Odeonsplatz, auf dem ab 18 Uhr eine große Gedenkveranstaltung für die Münchnerinnen und Münchner mit Musik und Reden stattfindet. Erwartet werden neben Zeitzeugen wie Eva Umlauf und Ernst Grube unter anderem Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland, Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sowie die Schirmherrin des Projekts, Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU).

Auch an anderen Orten in Bayern gibt es Aktionen. In Obergünzburg werden bei einer Gedenkveranstaltung der "Initiative 11. April" die Namen von acht Opfern aus Obergünzburg und der Umgebung zum Großteil erstmals öffentlich genannt, Jugendliche werden jeweils einen Text zum Schicksal der Opfer verlesen.

11. April zeigt: "Jeder Tag kann ein Gedenktag sein"

Dass der 11. April so zum Gedenktag wird, freut den Projektinitiator Bönte. Zwar wurde das Datum hauptsächlich gewählt, weil es in den Veranstaltungsplan der Stadt München passt. Aber genau in diesem banalen Grund steckt eine Botschaft, findet Bönte: "Die Verfolgung, der die Menschen ausgesetzt waren, war auch alltäglich. Das bedeutet: Jeder Tag kann ein Gedenktag sein."

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