Während Deutschland seine letzten Atomkraftwerke abschalten will, plant Tschechien kurz hinter der bayerischen Grenze das erste Mini-AKW Europas. Zahlreiche weitere Reaktoren sollen folgen. Die Nachbarn in Niederbayern sind besorgt.
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Atomkraft - Ja bitte!

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Mini-Atomkraftwerke: Zukunftsträchtig oder unsicher und teuer?

Während Deutschland seine letzten Atomkraftwerke abschalten will, plant Tschechien kurz hinter der bayerischen Grenze das erste Mini-AKW Europas. Zahlreiche weitere Reaktoren sollen folgen. Die Nachbarn in Niederbayern sind besorgt.

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Wenn Olaf Heinrich über die Energiepläne der tschechischen Regierung nachdenkt, wird er ganz unruhig. Der Bürgermeister von Freyung, einer Gemeinde nahe der bayerisch-tschechischen Grenze, macht sich große Sorgen, denn nur wenige Kilometer entfernt sollen im tschechischen Südböhmen neue Atomkraftwerke entstehen.

"Man spürt, dass es zu einer Belastung wird, weil die Menschen natürlich Angst haben", sagt er im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers. "Man befürchtet ja, dass es weitere Versuche in Temelin und neue Reaktoren in Südböhmen geben soll. Das lässt niemanden kalt, der sich mit den Risiken der Kernkraft befasst hat."

Zahlreiche Mini-Atomkraftwerke nahe der bayerischen Grenze

Was in Deutschland bald der Vergangenheit angehören soll, ist für Tschechien offenbar die Zukunft: Vor Kurzem hat die tschechische Regierung den sogenannten "Südböhmischen Nuklearpakt" unterzeichnet. Auf dem Areal des Atomkraftwerks Temelin soll innerhalb der nächsten zehn Jahre in einem Pilotprojekt der erste Small Modular Reactor Europas, kurz SMR, gebaut werden. Der Reaktor ist so etwas wie ein Mini-Atomkraftwerk mit einer Leistung von bis zu 300 Megawatt Strom. Viele solcher kleinen AKW sollen hier in den nächsten 20 Jahren entstehen - so der Plan der tschechischen Regierung. Das Land will sich auf diese Weise unabhängiger von Energieimporten aus dem Ausland machen und in Zukunft CO2-freie Energie erzeugen.

Auch in Deutschland arbeitet man an kleinen Atomkraftwerken

Kernkraftwerke als Komplettpaket, serienmäßig hergestellt wie Fertighäuser. Sauber, sicher und kostengünstig - so versprechen es Hersteller wie Rolls Royce und Terrapower in aufwendigen Imagefilmen. Auch das Berliner Start-Up Dual Fluid Energy beschäftigt sich gerade mit der Technologie und plant Mini-AKW. Vor wenigen Wochen haben sie einen ersten Modellreaktor bekommen.

"Die Chancen für die kleinen modularen Reaktoren sind, dass wir bis zur Jahrhundertmitte ganz anders über Energie nachdenken, als wir es heute tun. Dass dann überall sehr preisgünstige, sehr umweltfreundliche Energie zur Verfügung steht. Und dass wir uns über Klimawandel eigentlich nicht mehr wirklich austauschen müssen." Björn Peters, Dual Fluid Energy

Experten halten die Technologie für ungeeignet und unsicher

Die Atomenergiebranche ist in Aufbruchsstimmung. Beim Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung herrscht allerdings Skepsis. Hier hat man im vergangenen Jahr eine erste sicherheitstechnische Analyse der Mini-AKW vorgenommen. Das Ergebnis: Die SMR seien zu langsam, zu unsicher, zu teuer - und somit weder für die Bekämpfung des Klimawandels noch für eine sichere Energieversorgung geeignet.

"Wir haben auch schlicht und ergreifend die Situation, dass einzelne Hersteller davon ausgehen, dass ihre Anlagen so sicher sind, dass sie auch keine weiteren Notfallschutzmaßnahmen in der Umgebung für die Bevölkerung durchführen müssten. Das ist ein Punkt, den wir sehr kritisch sehen," sagt Jochen Ahlswede vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.

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Hinter der bayerischen Grenze will Tschechien zahlreiche kleine Atomkraftwerke bauen. Das sorgt auf der bayerischen Seite für Angst. Tschechiens Europaminister Mikuláš Bek aber verteidigt das Projekt im Kontrovers-Interview.
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Hinter der Grenze will Tschechien kleine AKWs bauen. In Bayern reagiert man besorgt. Tschechiens Europaminister Bek aber verteidigt das Projekt.

Tschechiens Europaminister Bek im Interview: "sehr wenige Risiken"

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Gelassenheit auf der tschechischen Seite

In Tschechien ist man von der Technik überzeugt, die Atomkraft hat im Nachbarland scheinbar einen guten Ruf. In Sichtweite von Temelin liegt die Stadt Týn an der Moldau. Die Menschen hier leben mit und von der Atomenergie. Bürgermeister Karel Hladeček hält die Mini-AKW für eine gute Idee. Auch, wenn dabei eine neue bisher kaum erprobte Technik zum Einsatz kommen soll. "Ich denke, es ist eine interessante Alternative zu den klassischen Reaktoren", sagt er im Interview mit Kontrovers.

Grund zur Sorge gebe es seiner Meinung nach nicht: "Auch viele Einwohner Tschechiens waren anfangs skeptisch", so Hladeček. "Es hat sich aber mit der Zeit gezeigt, dass die Kernkraft eine gute Energiequelle ist, wenn die Sicherheit ordnungsgemäß gewährleistet wird. Das AKW Temelín gehört zu den sichersten in ganz Europa. Da ist es unnötig, Angst zu haben."

Nachbarn in Niederbayern fordern mehr Transparenz

Doch in Niederbayern ist man nicht überzeugt. Freyungs Bürgermeister Olaf Heinrich erwartet von den tschechischen Nachbarn mehr Transparenz bei all den offenen Sicherheitsfragen. "Was man nicht akzeptieren kann, ist, dass man nur über Chancen und nicht über Risiken spricht", sagt er. Einen Anspruch darauf hat er allerdings nicht, denn die Tschechische Regierung darf ohne Absprache bestimmen, welchen Weg sie geht.

Freyungs Bürgermeister Olaf Heinrich
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Freyungs Bürgermeister Olaf Heinrich