Russische Soldaten
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Russische Kriegsdienstverweigerer erhalten in Deutschland nur selten Asyl.

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Kriegsdienstverweigerer: Kaum Asyl in Deutschland für Russen

Anders als vom Bundeskanzler versprochen, erhalten russische Kriegsdienstverweigerer in Deutschland nur selten Asyl. Wegen der Dublin-Regel werden ihre Anträge abgelehnt. Kirchenasyl ist für viele die letzte Chance vor der Abschiebung.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Julia Dotsenko und Maxim Panov betreten die evangelische Lutherkirche in Bayreuth. Sie ist Fußpflegerin, er Juwelier. Das russische Paar aus Sankt Petersburg will hier mit seinen zwei Kindern um Kirchenasyl bitten. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine flüchtete die Familie erst nach Kasachstan. Zweimal versucht das russische Militär, Maxim zum Militärdienst einzuberufen. Deshalb floh die Familie Anfang 2023 dann über Bosnien und Kroatien nach Deutschland. Julia Dotsenko will nicht mehr in Russland leben: "Immer Krieg: Tschetschenien Krieg, Abchasien Krieg, Krieg auf der Krim, immer Krieg." Das sei kein gutes Leben für sie und ihre Kinder.

Dublin-Regelung: Viele Asylanträge werden abgelehnt

"Ich bin dafür, diesen Menschen Schutz anzubieten", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im November 2022 der "Neuen Osnabrücker Zeitung" mit Bezug auf russische Kriegsdienstverweigerer. Doch die Realität sieht anders aus: Viele russische Kriegsdienstverweigerer, die nach Deutschland kommen, können formell kein Asyl bekommen. Der Grund dafür ist die Dublin-Regelung: Diese besagt, Asylsuchende können in dem EU-Land Asyl erhalten, in dem sie erstmals registriert werden. Die Dublin-Regelung innerhalb der EU werde umgesetzt, bevor die Prüfung des Asylantrags überhaupt stattfindet, schreibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf BR-Anfrage. Denn die Dublin-Regelung sei "unmittelbar geltendes europäisches Recht".

Ist Deutschland dagegen das erste EU-Land, in dem russische Kriegsdienstverweigerer registriert werden, könnten sie durchaus einen Asylantrag stellen und hätten dann tatsächlich auch gute Chancen auf Erfolg. Doch Direktflüge von Russland nach Deutschland gibt es seit Kriegsbeginn nicht mehr. Außerdem ist die Verweigerung eines Kriegsdienstes nach den Kriterien des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bisher nicht offiziell als Asylgrund anerkannt.

Keine EU-Regelung zum Umgang mit Kriegsdienstverweigerern

Wegen der Dublin-Regelung werden Schutzsuchende aus Russland häufig in andere EU-Länder abgeschoben. Auch Julia und Maxim wurden bereits aufgefordert, zurück nach Kroatien zu gehen und dort einen Asylantrag zu stellen. Doch EU-Staaten wie Polen, Kroatien, Bulgarien oder die baltischen Staaten nehmen russische Kriegsdienstverweigerer gar nicht als Asylbewerber auf. Eine einheitliche EU-Regelung gibt es bisher nicht. Den Russen droht eine Kettenabschiebung zurück nach Russland. Eine letzte Chance ist deshalb für viele russische Kriegsgegner in Deutschland das Kirchenasyl.

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge haben bis Ende Juli 2023 rund 4.774 Russinnen und Russen Asyl in Deutschland beantragt, fast doppelt so viele wie 2022 (2.851 Anträge). 3.318 wurden bereits entschieden - 83,5 Prozent davon positiv. Bis Ende Juni wurden laut BAMF 176 Menschen aus Russland in andere EU-Länder überstellt, 619 davon nach Polen.

Verein "Matteo" wirft Kanzler "Wortbruch" vor

Sollten Julia und Maxim nach Russland zurückkehren müssen, befürchten sie, dass sich Maxim am Krieg beteiligen müsste. Den Angriff auf die Ukraine lehnen die beiden kategorisch ab. Dass die Dublin-Abschiebungen auch für Russen gelte, die vor dem Krieg fliehen, sei ein Wortbruch des Bundeskanzlers, findet Stephan Reichel, Vorsitzender des christlichen Kirchenasyl-Vereins Matteo: "Und es ist natürlich eine ganz besondere Gefährdung dieser Menschen, die zurückkehren nach Russland und dann dort unter Umständen ins Gefängnis oder in ein Lager kommen", sagt Reichel.

Kirchenasyl ist nicht institutionalisiert oder gesetzlich verankert, sondern hat sich aus der christlichen Tradition heraus entwickelt, weil der Raum Kirche schon immer Schutzraum für Verfolgte war. Ordensgemeinschaften und Pfarrgemeinden nehmen heute Flüchtlinge in ihren Gebäuden auf, um eine Abschiebung zu verhindern. Die Kirchen gewähren Kirchenasyl nur in besonderen Härtefällen, die sie vorher geprüft haben, und von denen sie überzeugt sind, dass der Staat basierend auf den aktuellen gesetzlichen Regelungen falsch entschieden hat.

Die evangelische Gemeinde in Bayreuth würde der Familie von Julia und Maxim gerne helfen. 22 Mal haben sie bereits Kirchenasyl gewährt. Doch so kurzfristig geht das leider nicht, sagt Petra Ernst vom Kirchenvorstand: "Wir müssen das vorbereiten. Wir müssen das prüfen. Wir müssen sagen, passt das für uns? Geht das mit den zwei Kindern? Wie ist das praktisch zu machen? Das muss alles im Vorfeld geklärt werden."

Dimitri: "Ich wollte diesen Krieg nicht unterstützen."

Auch Dimitri Solovod drohte die Abschiebung. Der 22-Jährige floh im Oktober 2022 vor dem Kriegsdienst über Sotschi, Georgien und Bulgarien nach Deutschland. "Ich wollte diesen Krieg nicht unterstützen", sagt Dimitri. Das Kirchenasyl verhinderte seine Abschiebung nach Bulgarien. Weil er nach eigenen Angaben schwul ist, drohen dem jungen Russen in seiner Heimat Diskriminierung und Gewalt. "Ich habe Wohnung und sie helfen mir mit Integrationskursen." Doch bisher ist sein Asylstatus nicht geklärt.

Für Julia und Maxim tickt weiter die Uhr: Sie könnten in den kommenden zehn Tagen jederzeit abgeschoben werden. Viele russische Kriegsdienstverweigerer flüchten ins Kirchenasyl, weil sie sonst trotz der Zusage von Bundeskanzler Scholz abgeschoben werden. Petra Ernst von der Lutherkirche Bayreuth findet das unmöglich: "Was jetzt mit den Menschen aus Russland gemacht wird, dass die nicht anerkannt werden und gar keine Chance haben, ist eigentlich ein Skandal, weil die ganz offensichtlich die Politik ablehnen, dort wegwollen." Wenn sie zurückmüssten, sei das Schlimmste zu befürchten. Doch Julia und Maxim geben die Hoffnung nicht auf, bald ein Kirchenasyl zu finden, das sie aufnehmen kann. Sie wollen, dass ihre Kinder in einem demokratischen und friedlichen Land aufwachsen können, sagen sie.

Im Video: Probleme beim Asyl für russische Kriegsdienstverweigerer

Viele Kriegsdienstverweigerer aus Russland bekommen kein unkompliziertes Asyl in Deutschland.
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Viele Kriegsdienstverweigerer aus Russland bekommen kein unkompliziertes Asyl in Deutschland. Das hatte die Bundesregierung zuvor versprochen.

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