06.09.2023, Berlin: Friedrich Merz (r), CDU Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Fraktion, nimmt an der Generaldebatte des Bundestags teil. Die Generalaussprache nimmt bei der Haushaltsdebatte des Bundestags die aktuellen Themen der Politik der Bundesregierung auf. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Haushaltsdebatte im Bundestag

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Generaldebatte im Bundestag: "Herr Merz, das musste jetzt sein"

Das Gesichtsfeld des Kanzlers mag wegen seiner Augenklappe zurzeit eingeschränkt sein. Seine Rauflust ist es nicht. Mit Freude am parlamentarischen Schlagabtausch reagiert Scholz im Bundestag auf die Kritik des Oppositionsführers. Eine Analyse.

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Um Punkt neun Uhr eröffnet Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas die Sitzung im Plenarsaal. Die Generaldebatte steht an. Ein immer wiederkehrender Termin, der als Höhepunkt der Haushaltswoche gilt. Nicht jedes Mal wird er diesem Anspruch gerecht, aber an diesem Mittwoch entwickelt sich eine recht muntere Debatte.

Als erster Redner hat traditionell der Oppositionsführer das Wort: Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Eigentlich ist die freie Rede seine Stärke, doch diesmal liest Merz weitgehend vom Blatt ab. Das mag seinem Auftritt die rhetorische Wucht nehmen, die er bei vorangegangenen Generaldebatten entfaltet hat. In der Sache aber stellt der CDU-Chef klar, was er vom Ampel-Entwurf für den Haushalt 2024 hält: wenig bis nichts. Das Zahlenwerk stehe auch in diesem Jahr im Zeichen der viel zitierten Zeitenwende, werde dieser "fundamentalen Herausforderung" jedoch nicht gerecht.

CDU-Chef: Verteidigungsminister "großer Verlierer" der Haushaltsberatungen

Merz macht dafür vor allem SPD und Grüne verantwortlich. In deren Augen sei die Bundeswehr nach wie vor ein "ungeliebtes Kind" – trotz anders lautender Beteuerungen. Was sich aus Sicht von Merz an den regierungsinternen Haushaltsverhandlungen ablesen lässt. Als deren "großer Verlierer" macht er Verteidigungsminister Boris Pistorius aus. Der SPD-Politiker sei mit der Forderung angetreten, den Wehretat um zehn Milliarden Euro zu erhöhen. Am Ende habe er aber nichts davon bekommen.

Tatsächlich soll der Einzelplan des Verteidigungsministeriums laut Haushaltsentwurf im nächsten Jahr um 1,7 Milliarden Euro steigen. Allerdings werden damit lediglich wachsende Personalkosten durch die Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst ausgeglichen. Zusätzlich sollen zwar rund 19 Milliarden Euro aus dem schuldenfinanzierten "Sondervermögen" für die Bundeswehr abfließen. Merz ist es aber wichtiger zu betonen, dass das 100-Milliarden-Programm in einigen Jahren aufgebraucht sein wird – und dass unklar ist, wie die Modernisierung der Bundeswehr danach finanziert werden soll.

Kanzler mit Augenklappe am Rednerpult

Dann ist der Kanzler dran. Olaf Scholz musste bis zum Ende der Merz-Rede auf der Regierungsbank bleiben – vor sich eine blaue Mappe mit Bundesadler, die Hand ab und zu an der Augenklappe, die er zurzeit wegen eines Joggingunfalls trägt. Kaum hat der SPD-Politiker das Rednerpult erreicht, eröffnet er verbal das Feuer. Sein Manuskript lässt Scholz erstmal unbeachtet, so erbost hat ihn der Auftritt von Merz offenbar: "Es funktioniert nicht mit den Popanzen in dieser Republik", ruft er dem CDU-Chef zu.

Der wichtigste Popanz, den Merz nach den Worten des Kanzlers aufgebaut hat, habe etwas mit der Aufkündigung einer Vereinbarung zwischen Regierung und größter Oppositionsfraktion zu tun: nämlich der, das "Sondervermögen" Bundeswehr gemeinsam zu tragen. Damit werde der Unionsfraktionschef dem Ernst der Lage "überhaupt nicht gerecht", so Scholz. Dafür bekommt er lauten Applaus aus den Ampel-Reihen, in denen bei diesem Kanzlerauftritt bis zum Schluss engagiert geklatscht wird. Keine Selbstverständlichkeit für eine Koalition, die sonst oft ein Bild der Zerstrittenheit bietet.

Es sei klar, dass spätestens ab 2028 Jahr für Jahr 25 bis 30 Milliarden zusätzlich aus dem Bundeshaushalt für die Truppe zur Verfügung stehen müssten. Die Koalition garantiere der Bundeswehr die versprochenen zwei Prozent der Wirtschaftsleistung, verspricht der Kanzler. "Das soll jetzt so sein." Der Beifall der Ampel-Abgeordneten ist an dieser Stelle so laut, dass Scholz regelrecht dagegen anschreien muss.

Scholz beklagt "Mehltau aus Bürokratismus"

Rund fünf Minuten lang arbeitet sich der Kanzler in freier Rede an Merz ab. "Das musste jetzt sein, weil Ihr Popanz so groß war", sagt Scholz schließlich, um sich dann doch seinem Manuskript zuzuwenden. Deutschland sei mit der Ampel vorangekommen – etwa bei der Umstellung auf erneuerbare Energien. Dennoch beklagt der Kanzler einen "Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit", den es abzuschütteln gelte. Bundesländern, Kommunen und Opposition schlägt Scholz deshalb einen "Deutschland-Pakt" zur Modernisierung des Landes vor.

Eine Initiative, auf die die Unionsfraktion grundsätzlich eingehen will. Das macht Alexander Dobrindt später in der Debatte deutlich, der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag. Das Land befinde in einer Lage, in der man "durchaus dieses Angebot von Ihnen ernst nehmen sollte". Nötig sei aber ein Entgegenkommen der Ampel bei der Einwanderung, die die Union stärker begrenzen will.

AfD fordert Neuwahlen

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge greift Merz wegen dessen Rede auf dem Gillamoos-Volksfest in Niederbayern an. Der CDU-Chef hatte dort über einen als besonders urban geltenden Berliner Stadtteil gesagt: "Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland."

Dies sei eine spalterische Politik, findet Dröge. Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali kritisiert, dass die Ampel-Parteien Milliarden für Rüstung ausgeben würden, aber "überall sonst knausern und sparen". Und für AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla steht fest: "Die Zeit der Ampel ist abgelaufen." Er fordert Neuwahlen.

So liefern sich Regierung und Opposition vier Stunden lang eine lebhafte Auseinandersetzung. Neu daran sind weniger die ausgetauschten Argumente. Sondern vielmehr die Erkenntnis, dass es keine sonderlich aggressive Rede von Merz braucht, um den Kanzler aus der Reserve zu locken. Eine eher zögerliche tut es offenbar auch.

Im Audio: Scholz fordert "Deutschland-Pakt"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), spricht bei der Generaldebatte des Bundestags.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), spricht bei der Generaldebatte des Bundestags.

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