Der bayerische CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer ließ seinem Unmut freien Lauf: Im Streit mit den Freien Wählern warf er dem Koalitionspartner diese Woche vor, durch "unerträglichen Populismus" die Landespolitik stark zu belasten. Eine Woche zuvor, in einer Debatte über die Maskenaffäre in der Union, verglich Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) die Strategie der SPD mit dem Vorgehen der AfD.
Das sind nicht die einzigen Beispiele seit dem Beginn der Pandemie. Bereits im vergangenen Herbst attackierte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) andere Parteien wegen abweichender Meinungen zur Anti-Corona-Strategie: Nicht nur die AfD, auch andere politische Kräfte versuchten tagtäglich, die Maßnahmen "zu relativieren". Vor allem die FDP solle sich überlegen, ob ihr Kurs, "den sie sich da jetzt gemeinsam mit der AfD auferlegt hat, wirklich der richtige für das Land ist".
Freie Wähler: Vergleiche mit AfD "kontraproduktiv"
Der parlamentarische Geschäftsführer der Freie-Wähler-Fraktion, Fabian Mehring, kritisiert diese "Populismus-Keule" der CSU. "Ich habe das Gefühl, dass das bei der CSU immer dann auftaucht, wenn man argumentativ nicht mehr in der Lage ist, Dinge zu widerlegen", sagt er dem BR. Mehring warnt davor, dass sich demokratische Parteien wechselseitig Populismus vorwerfen. "Ich halte das für nicht zielführend." Die demokratischen Parteien seien "wohl beraten" auf ein solches Vorgehen zu verzichten – gerade mit Blick auf die Auseinandersetzung mit der AfD. Nötig sei vielmehr ein "gemeinschaftlicher Schulterschluss der Demokraten gegen alle Extremisten", findet Mehring.
Eindringlich warnt der Freie-Wähler-Politiker insbesondere davor, andere demokratische Parteien in die Nähe der AfD zu rücken. "Wenn Holetschek die SPD mit der AfD vergleicht und Söder die FDP mit der AfD vergleicht, dann besteht die Gefahr, dass die Leute sagen: Wenn die alle sowieso so sind wie die AfD, dann kann die AfD ja nicht so schlimm sein." Das entspreche aber nicht der politischen Realität, betont Mehring. Daher seien solche Vergleiche kontraproduktiv.
Münch: "Dann wird es irgendwann schwer..."
Für die Politologin Ursula Münch zeigt das Hin und Her in der Regierungskoalition vor allem, dass die CSU-Fraktion gerade kein einfaches Verhältnis zu den Freien Wählern hat. Da schwinge auch die Angst mit, dass der kleinere Koalitionspartner den Christsozialen an manchem Stammtisch den Rang ablaufen könne, sagt Münch. "Die Freien Wähler waren schon immer skeptisch bei Söders sehr vorsichtigem Corona-Kurs", erläutert sie. "Und bei sommerlichen Temperaturen und niedrigen Infektionszahlen drängen nun mal immer mehr Leute auf Lockerungen, etwa beim Maskentragen im Schulunterricht."
Dabei sei die CSU immer stolz darauf gewesen, das Ohr sehr nah an den Menschen zu haben, sagt Münch. Sie betont aber auch: "Wenn sich Koalitionspartner gegenseitig als Populisten bezeichnen, wird es irgendwann schwer für die Bevölkerung, den Überblick zu behalten."
Hagen: "Als Gegenspieler profiliert"
Auch die FDP war bereits das Ziel von Populismus-Vorwürfen aus den Reihen der CSU. Im Zuge von Söders AfD-Vergleich assistierte CSU-Generalsekretär Markus Blume im vergangenen Herbst, man erwarte von der FDP, "dass sie sich zusammenreißt" und "nicht im Trüben fischt". Die Angriffe der CSU sorgten damals für breite Kritik - aus der gesamten Opposition.
Ähnliche Attacken gab es laut dem bayerischen FDP-Fraktionschef Martin Hagen seitdem nicht. Ohnehin glaubt er, dass das Ganze seiner Partei eher genutzt hat. "Die Leute haben sich mal genauer angeschaut, welche Corona-Politik die FDP fordert", sagt Hagen auf BR-Anfrage. "Das hat uns als Gegenspieler zur CSU-Politik profiliert." Sein Fazit: Die Populismus-Vorwürfe seien damals "ein Eigentor der CSU" gewesen. Zu den aktuellen Vorwürfen der Christsozialen an die Freien Wähler sagt Hagen: "Wenn einem der eigene Koalitionspartner Populismus vorwirft, ist das natürlich nochmal etwas anderes." Allerdings halte er den Begriff ohnehin für "völlig entkernt", betont der FDP-Politiker.
Münch: Zwei Varianten von Populismus
Diese Gefahr sieht auch Politologin Münch. Laut der Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing gibt es im Sprachgebrauch zwei verschiedene Varianten von Populismus. Zunächst den "Alltagsbegriff, den auch CSU-Fraktionschef Kreuzer verwendet hat". Gemeint sei damit ein politischer Akteur, der schnell vom Leder ziehe, den Leuten auch mal nach dem Mund rede, spontan auf Stimmungen reagiere. Das treffe auf die Freien Wähler durchaus zu, betont Münch - "auf die CSU im Übrigen auch".
Dann gibt es laut der Politologin ein wissenschaftliches Verständnis von Populismus, das etwa auf die AfD zutreffe. "Gegen die Eliten, gegen die Institutionen – beim tatsächlichen Populismus geht es um Abgrenzung und Ausgrenzung", erläutert Münch. "Die Botschaft lautet: Wir gegen die, das 'vernünftige' Volk gegen die da oben." Wenn man Populismus auf diese Art verstehe, sei derzeit im Bayerischen Landtag nur die AfD populistisch, betont die Politologin. Insofern seien Populismus-Vorwürfe zwischen den anderen Parteien problematisch: "Die Abgrenzung zur AfD wird dann irgendwann schwierig - und wenn Populismus als Begriff ständig verwendet wird, passt er irgendwann nicht mehr zur AfD."
Kreuzer: Populismus hat nichts mit Radikalismus zu tun
CSU-Fraktionschef Kreuzer betont auf BR-Anfrage, dass er die Freien Wähler niemals in die gleiche Ecke wie die AfD gerückt habe. Solche Vergleiche verwende er grundsätzlich nicht. "Populismus-Vorwürfe sind schon erhoben worden, bevor es die AfD gegeben hat." Kreuzer sagt: Es gehe beim Populismus um eine Politik, die versuche, ohne sachlichen Hintergrund den Menschen nach dem Mund zu reden, um dadurch Sympathien zu gewinnen. Es gebe Links- und Rechtspopulismus, aber auch populistische Äußerungen innerhalb demokratischer Parteien. In den vergangenen Monaten habe zum Beispiel die FDP zum Teil populistisch argumentiert. "Das hat nichts mit der AfD zu tun, die AfD ist rechtsradikal", betont der CSU-Fraktionsvorsitzende. Populismus und Radikalismus seien unterschiedliche Dinge.
Insgesamt arbeite die Koalition aus CSU und Freien Wählern "vernünftig" zusammen, sagt Kreuzer. In dieser außerordentlich schweren Zeit der Corona-Krise seien sich die Koalitionspartner "am Ende immer einig geworden", erläutert er. "Das Problem ist: Wir verständigen uns - und gewisse Freie Wähler versuchen, an der Verständigung vorbei gewisse Bevölkerungsschichten zu bedienen und fordern etwas anderes. Das bezeichne ich als Populismus." Das sei keine ehrliche Politik und schwierig für das Koalitionsklima.
Grüne: Nicht mit dem Finger auf andere zeigen
Anders als FDP, SPD und Freie Wähler sind die Grünen in Sachen Corona-Politik bislang nicht im Fokus der CSU-Kritik. Das dürfte auch daran liegen, dass die größte Oppositionsfraktion im Landtag den vorsichtigen Kurs der Staatsregierung weitgehend teilt - wenngleich auch die Grünen verschiedene Aspekte kritisieren. Aber auch Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann forderte im vergangenen Herbst, dass Söder nicht mit dem Finger auf andere zeigen solle. "Dieses Mimimi eines Regierungschefs passt überhaupt nicht in die Zeit", sagte Hartmann damals.
AfD wirft CSU ihrerseits Populismus vor
Und die AfD, mit der die anderen Fraktionen im Landtag auf keinen Fall verglichen werden wollen? Auf BR-Anfrage beklagt Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner, die CSU werfe in ihrer Verzweiflung mit dreisten Vorwürfen um sich und beschädige die parlamentarische Demokratie. Die CSU sei durch "die Sinnlosigkeit der Grundrechtsbeschränkungen auf Basis willkürlicher Inzidenzen und falscher Intensivbettenzahlen, die Masken-Deals und Söders Niederlage" gegen CDU-Chef Laschet im Ringen um die Kanzlerkandidatur der Union zerrüttet. "Ihr Wutgeheul richtet sich nicht mehr nur gegen die AfD, sondern gegen sämtliche politische Mitbewerber."
Die bayerische AfD-Fraktionschefin attackiert ihrerseits die CSU: "Die eigentlichen Populisten, die ihr Mäntelchen ständig nach dem Wind hängen, sitzen in der CSU", sagt Ebner-Steiner. "Kaum jemand richtet seine Politik so sehr an Umfrageergebnissen statt an Überzeugungen aus wie Markus Söder."
Von Brunn: Söder ist "Experte" für Populismus
SPD-Fraktionschef Florian von Brunn findet es "ziemlich peinlich", dass gerade die CSU anderen Populismus vorwerfe. "Das betreiben die doch seit vielen Jahren. Markus Söder ist sogar Experte dafür." Die SPD stelle nur Fragen, "die die Menschen in Bayern gerade umtreiben" - zum Beispiel "wer dafür verantwortlich ist, dass sauteure, möglicherweise minderwertige Masken gekauft worden sind und dabei alte CSU-Seilschaften richtig Kasse gemacht haben", sagt der SPD-Politiker dem BR. "Wenn das Populismus ist, dann ok."
In einer Landtagsdebatte über die Maskenaffäre hatte von Brunn vergangene Woche empört auf die Äußerung von Gesundheitsminister Holetschek zur "Verbindung zwischen SPD und AfD" reagiert: Der Minister rücke die Sozialdemokraten "in unglaublicher und schamloser Art" in die Nähe von Rechtsradikalen". Von Brunn fügte hinzu: "Die Vorgänger der CSU waren die Steigbügelhalter von Adolf Hitler." Ein Satz, für den der SPD-Fraktionsvorsitzende in dieser Woche von Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) formal gerügt wurde - die Formulierung sei eine "polemische Zuspitzung" und "in keinster Weise nachvollziehbar oder akzeptabel".
Aigner warnt vor problematischen Vergleichen
Im Zuge ihrer Rüge für von Brunns Nazi-Vorwurf richtete Landtagspräsidentin Aigner aber auch mahnende Worte an ihren eigenen Parteikollegen Holetschek. Zwar waren bei dessen AfD-Vergleich laut Aigner die "lauten und anhaltenden Zwischenrufe" des SPD-Fraktionschefs gemeint, also ein Vergleich des Stils und nicht der Inhalte. "Allerdings bitte ich auch, derartige, nicht unproblematische Vergleiche zukünftig zu unterlassen", betonte die Landtagspräsidentin. Denn diese Vergleiche hätten "mit der eigentlichen politischen Auseinandersetzung in der Sache nichts zu tun".
Holetschek selbst lehnte zwar eine Entschuldigung bei der SPD ab, schlug im Interview mit dem BR-Politikmagazin "Kontrovers" aber versöhnliche Töne an. "Emotionen sind auch das Salz in der Suppe einer Plenardebatte", sagte er und betonte: "Aber vielleicht müssen wir alle immer mal wieder uns hinterfragen und überlegen - auf allen Seiten - wie der Umgang miteinander ist. Ich lerne jeden Tag dazu."
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