Stephan Reichel (Mitte) vom Verein Matteo - Kirche und Asyl berät Geflüchtete im Kirchenasyl in Regensburg.
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Stephan Reichel (Mitte) vom Verein Matteo - Kirche und Asyl berät Geflüchtete im Kirchenasyl in Regensburg.

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40 Jahre Kirchenasyl: Schutz vor Abschiebung

1983 kam es in einer evangelischen Gemeinde in Berlin zum ersten Kirchenasyl in Deutschland. Auch in Bayern bieten Kirchen Geflüchteten immer wieder Schutz vor Abschiebung. Von Januar bis Juni 2023 gab es im Freistaat 173 Kirchenasyl-Fälle.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Am 30. August 1983 sprang ein Geflüchteter, Cemal Kemal Altun, aus dem Fenster eines Berliner Gerichtsgebäudes in den Tod – aus Angst vor einer Auslieferung in die damalige türkische Militärdiktatur. Kurz zuvor hatte in einer Berliner Kirchengemeinde noch ein Hungerstreik gegen die Abschiebung des jungen Mannes stattgefunden.

Es ist dieselbe evangelische Kirchengemeinde in Berlin, die wenig später eine palästinensische Familie aufnahm, die ebenfalls von Abschiebung bedroht war. Es war der Beginn der Kirchenasylbewegung in Deutschland. Bis heute finden immer wieder Geflüchtete Zuflucht in Kirchengemeinden, auch in Bayern.

  • Zum Artikel: Kirchenasyl - Beihilfe zur Straftat oder humanitärer Akt?

Kirchenasyl: So funktioniert es

Bei einem Kirchenasyl gewährt eine Gemeinde Geflüchteten, die abgeschoben werden sollen, einen zeitlich befristeten Schutz. Ziel ist es, eine erneute Prüfung ihrer Situation durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu erreichen. Menschen, denen durch eine Abschiebung Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit oder nicht hinnehmbare Härten drohen, sollen so ein neues Asylverfahren oder ein Bleiberecht in Deutschland erhalten.

Am Tag des Einzugs meldet sich die Kirchengemeinde beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und zeigt an, wem sie Kirchenasyl gewährt. Der Staat toleriert das Kirchenasyl, allerdings kann er von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen, um Betroffene abzuschieben.

Kirchenasyl: Mehr Anfragen als Plätze

Der Jesuit Dieter Müller aus Nürnberg engagiert sich in der "Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche". Und er bietet regelmäßig Menschen in seinem Ordenshaus Schutz. Derzeit sind es drei Menschen. Er bekommt aber deutlich mehr Anfragen, als er unterbringen kann. "Wir bräuchten zwei- bis dreimal so viele Plätze", so Müller.

Kirchenasyl: Zahlen in Bayern deutlich gestiegen

Die Zahl der Kirchenasyle ist in Bayern in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Nach Angabe der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche waren 2013 in Bayern 44 Menschen im Kirchenasyl. 2022 waren es 379 Menschen. Und von Januar bis Juni dieses Jahres verzeichnete das BAMF in Bayern 173 Kirchenasyl-Fälle.

Einer aktueller Fall ist der von Ibrahim Alassaf. Er lebt seit sechs Monaten im Kirchenasyl in einer evangelischen Kirchengemeinde in Regensburg. Seitdem hat der 25-Jährige das Kirchengelände nicht mehr verlassen. Ibrahim Alassaf ist vor dem Krieg in Syrien geflohen, weil er Angst vor einer Zwangsrekrutierung hatte. In Bulgarien, wo er europäischen Boden betreten hat, wurde er von der Polizei verhaftet, so Alassaf. Er berichtet, er sei geschlagen und getreten worden. Durch das Dublin-Abkommen droht ihm die Abschiebung zurück nach Bulgarien. Er hofft, dass durch das Kirchenasyl sein Fall in Bayern verhandelt wird und er in Deutschland ein Bleiberecht bekommt.

Wenig Fälle von Kirchenasyl in "sonstigen Kirchen"

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion aufgrund eines Kommentars von "Oberstichtunter" im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt.

Offiziell gibt es im deutschen Recht kein niedergeschriebenes Kirchenasyl. Im Jahr 2015 hatten hochrangige Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aber eine Vereinbarung zum Thema getroffen. Dass Gemeinden anderer Religionen in Deutschland Menschen ein solches Asyl geboten haben, hat es bislang seltener gegeben.

Von 2017 bis 2022 sind durch evangelische Kirchen in Bayern laut Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 487 Fälle von Kirchenasyl gemeldet worden. Von katholischen Kirchen waren es im selben Zeitraum 569. Zum Vergleich: Von Institutionen sonstiger Glaubensrichtungen sind es 71 gewesen. Dabei handelt es sich laut einer Sprecherin des BAMF überwiegend um freikirchliche Kirchen. 💬

Vor 40 Jahren kam es in einer evangelischen Gemeinde in Berlin zum ersten Kirchenasyl in Deutschland.
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Vor 40 Jahren kam es in einer evangelischen Gemeinde in Berlin zum ersten Kirchenasyl in Deutschland.

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