Hinweis auf Maskenpflicht oder Abstandsgebot vor einer Fußgängerzone (Symbolbild)
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Hinweis auf Maskenpflicht oder Abstandsgebot vor einer Fußgängerzone (Symbolbild)

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"Freedom Day": Wer in Bayern dafür ist - und wer dagegen

Einen "Freedom Day", an dem alle Schutzmaßnahmen freiwillig werden: Diese Forderung gibt es auch in Bayern - genau wie Unterstützer und scharfe Kritiker. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur wohl grundsätzlichsten aller Corona-Diskussionen.

Durch den jüngsten Vorstoß von Kassenärzte-Chef Andreas Gassen für einen sogenannten "Freedom Day" nimmt die Debatte über das Ende aller staatlich vorgegebenen Corona-Maßnahmen wieder Fahrt auf. Gassen hatte am Wochenende in einem Interview erklärt: "Nach den Erfahrungen aus Großbritannien sollten wir auch den Mut haben zu machen, was auf der Insel geklappt hat." Seine konkrete Forderung: Am 30. Oktober müssten in Deutschland alle Corona-Beschränkungen aufgehoben werden - das Gesundheitssystem würde das verkraften. Außerdem könne eine solche Ankündigung die Impfmotivation erhöhen.

Kritik von Seiten der Ärzte

Von Politikern wie dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach gab es prompt Gegenwind - genau wie aus der Ärzteschaft. So sagte etwa Niedersachsens Ärztekammer-Präsidentin Martina Wenker: "Es widerspricht der ärztlichen Sorgfaltspflicht, quasi Wetten auf zukünftige Krankheitsverläufe abzuschließen." Ähnlich kritisch äußerte sich der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch: Zwar sei ein "Freedom Day" eine tolle Sache, "doch beim Blick in die Arztpraxen, Krankenhäuser und Pflegeheime scheinen solche flotten Sprüche nicht anzukommen."

Die Bundesregierung will jedenfalls erstmal abwarten. Über die Entwicklung des Infektionsgeschehens in den vergangenen Tagen könne man zwar durchaus froh sein, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Aber es gibt aus heutiger Sicht nicht die Grundlage, um zu sagen, der Tag X ist der Tag, an dem alle Beschränkungen fallen." In Bayern wiederum ist die Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern in dieser Frage uneins - genau wie die Opposition im Landtag. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Forderungen nach einem "Freedom Day" aus bayerischer Sicht.

1. Wer ist in Bayern für einen "Freedom Day" und ab wann?

Die Freien Wähler (FW) fordern schon länger einen Freiheitstag. "Freedom Day statt German Angst", twitterte Freie-Wähler-Chef und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger am Wochenende mehrfach. Auch der FW-Fraktionsvorsitzende Florian Streibl spricht sich auf BR-Anfrage erneut für einen festen Zeitpunkt aus, an dem alle staatlichen Corona-Maßnahmen beendet werden: "Bereits Anfang August haben wir deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir dieses Vorhaben für einen wichtigen und vor allem richtigen Schritt halten – nun sollten wir ihn auch endlich wagen. Denn warum sollte das, was in Großbritannien und Dänemark gelingt, nicht ebenso für uns in Deutschland möglich sein?"

Freie Wähler: "keine staatlichen Eingriffe mehr"

Als Stichtag schlagen die Freien Wähler den 11. Oktober vor – damit sich vorher noch möglichst viele Menschen impfen lassen können. "Staatliche Eingriffe und Corona-Maßnahmen darf es aus Sicht von uns Freien Wählern im Bayerischen Landtag ab diesem Zeitpunkt nicht mehr geben", betont Streibl. Die Anfang des Monats eingeführte Krankenhaus-Ampel, anhand der das Infektionsgeschehen in Bayern beurteilt wird, solle zwar als "Ultima Ratio" weiterhin eine wichtige Rolle spielen – "allerdings nur, wenn sie auf Rot springt". Der FW-Fraktionschef erläutert: "In diesem Fall müssten wieder Maßnahmen wie AHA-Regeln oder 3G-Bestimmungen in Betracht gezogen werden, um die Kapazitäten in Krankenhäusern aufrechtzuerhalten."

FDP für "Freedom Day" - sechs Wochen Vorlauf

Auch die Landtags-FDP hat schon im August einen "Freedom Day" gefordert - und dafür zunächst den 3. Oktober ins Spiel gebracht. "Durch die Impfquote hat sich die Gefahr einer Überlastung für das Gesundheitswesen deutlich verringert", sagt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dominik Spitzer, auf BR-Anfrage. Ihm zufolge braucht es allerdings eine gewisse Vorbereitungszeit: "Wir halten hier einen Vorlauf von sechs Wochen für sinnvoll. Wichtig ist, dass Ungeimpfte sich noch rechtzeitig für den wirksamsten Schutz gegen das Virus entscheiden können."

Eine Hintertür lässt Spitzer zudem offen: "Sollte sich die Situation im Herbst wider Erwarten so verändern, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems droht, muss erneut auf staatliche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zurückgegriffen werden." Einen kompletten Lockdown dürfe es aber nicht noch einmal geben, mögliche Maßnahmen müssten möglichst gering in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen.

AfD: Eigenverantwortung "mit sofortiger Wirkung"

Noch länger, nämlich seit vielen Monaten, fordert die Landtags-AfD, sämtliche Corona-Maßnahmen zu beenden und zum Status quo vor der Pandemie zurückzukehren. "Der Staat hat genug Schaden mit den zahlreichen Corona-Maßnahmen angerichtet, daher sollte er den Bürger mit sofortiger Wirkung in Freiheit und Eigenverantwortung entlassen", teilt ein Sprecher auf BR-Anfrage mit. "Als AfD-Fraktion sind wir gegen jegliche Zwänge, sei es als Test- und Maskenpflicht in den Schulen oder als verdeckte Impfpflicht durch die Hintertür durch die 2G/3G-Regeln."

2. Wer ist gegen eine solche Festlegung?

CSU-Gesundheitsexperte Bernhard Seidenath erteilt Gassens Vorstoß für einen "Freedom Day" eine klare Absage. "Ich wundere mich, wie ein Mediziner, der sich auskennen müsste im Gesundheitswesen, das fordern kann", sagt Seidenath auf BR-Anfrage. Die aktuell im Freistaat geltenden Regeln ermöglichten bereits die größtmögliche Freiheit. "Ich kann nicht alles freigeben und die Pandemie für beendet erklären", erklärt der CSU-Abgeordnete. Denn wegen der vielen ungeimpften Menschen liefe man sonst Gefahr, alles wieder dicht machen zu müssen. Bayern sei gut gefahren mit den Kurs der Vorsicht und Umsicht.

CSU: "Völlig realitätsfern"

Gassens Hoffnung, mit der Ankündigung eines "Freedom Days" die Impfquote zu steigern, kritisiert Seidenath als "völlig realitätsfern". Wer sich jetzt schon nicht impfen lassen wolle – unter dem Druck, bald für Tests selbst bezahlen zu müssen oder zu bestimmten Veranstaltungen gar keinen Zugang zu bekommen – ließe sich dem CSU-Politiker zufolge durch den Wegfall der Beschränkungen erst recht nicht zu einer Impfung bewegen. Laut Seidenath braucht es nach Experten-Meinung für die Aufhebung der Beschränkungen eine Impfquote von 85 Prozent. "Das ist, so wie ich das einschätze, in nächster Zeit nicht erreichbar."

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Grüne und SPD: "So weit sind wir leider noch nicht"

Auch die größte Oppositionsfraktion im Landtag ist derzeit gegen einen festgelegten "Freedom Day". Ein solcher dürfe "nicht an ein exaktes Datum, sondern muss an Fakten geknüpft sein", sagt Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze auf BR-Anfrage. "Laut RKI ist für das Aufheben aller Beschränkungen eine Impfquote von mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und über 90 Prozent der über 60-Jährigen notwendig. Da sind wir leider noch lange nicht." Daher müsse die Staatsregierung nun "das Impftempo erhöhen und flächendeckend niedrigschwellige Angebote bereitstellen", fordert Schulze.

Scharfe Kritik an Gassens Vorstoß kommt auch von der gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion, Ruth Waldmann. Es sei "abenteuerlich", mit einem solchen Vorschlag an die Öffentlichkeit zu gehen, ohne dies vorher mit anderen Medizinern oder der Politik zu diskutieren. "Es ist einfach unsinnig, jetzt die Pandemie an einem bestimmten Tag für beendet erklären zu wollen. So weit sind wir leider nicht", betont die SPD-Politikerin. Stattdessen müsse das Geschehen weiter beobachtet werden, um die Erfolge, die unter schmerzlichen Entbehrungen errungen worden seien, nicht leichtfertig zu verspielen.

Laut Waldmann müssen alle Anstrengungen unternommen werden, "die Impfquote zu erhöhen, am besten auf 85 Prozent". Dann wären "wirklich große Veränderungen" möglich. Besonders in Bayern gebe es da noch viel zu tun, der Freistaat liege beim Impfen im Vergleich der Bundesländer auf einem der hinteren Plätze. Das sei "alarmierend". Statt über einen "Freedom Day" zu diskutieren, gelte es, die Impfungen zu verstärken und "eher über eine 2G-Regelung nachzudenken". Gemeint ist damit, den Zugang zu bestimmten Bereichen nur geimpften oder von einer Covid-Erkrankung genesenen Menschen zu erlauben. Erneut kritisiert Waldmann zudem die bayerische Corona-Ampel als "Nebelkerze", da unklar sei, welche Folgen ein Umspringen der Ampel auf Gelb oder Rot hätte.

3. Kann ein Bundesland einen "Freedom Day" beschließen?

Die aktuelle Corona-Verordnung in Bayern gilt bis einschließlich 1. Oktober. Sie beinhaltet beispielsweise Maskenpflicht und Abstandsgebot - sowie für bestimmte Bereiche die sogenannte 3G-Regel. Erfahrungsgemäß wird die Verordnung alle paar Wochen angepasst und verlängert. Wie die Staatsregierung dieses Mal vorgehen wird, bleibt abzuwarten - der von den Freien Wählern favorisierte 11. Oktober als möglicher "Freedom Day" fällt in den Zeitraum, um den es bei einer Verlängerung geht.

Seit Beginn der Pandemie haben sich Bund und Länder immer wieder auf mehr oder weniger grobe Richtlinien für die Corona-Maßnahmen geeinigt. Bundesweit komplett einheitlich umgesetzt wurden diese zwar nie - bei Details der Maskenpflicht, aber auch bei den genauen Regeln für die Schulen und in anderen Bereichen gibt es bis heute Unterschiede. Dass ein Bundesland vorprescht und einen "Freedom Day" ausruft, ist wegen der Dimension der Entscheidung dennoch unwahrscheinlich bis ausgeschlossen. In Bayern zeichnet sich wegen der ablehnenden Haltung der CSU ohnehin keine Mehrheit dafür ab.

Schrift "Impfzug" an der Scheibe eines Zuges
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Alle Maßnahmen beenden? Viel Kritik an "Freedom Day"-Forderung

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