Fall Aiwanger: Freie Wähler nehmen ihr "Zugpferd" in Schutz
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Fall Aiwanger: Freie Wähler nehmen ihr "Zugpferd" in Schutz

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Fall Aiwanger: Freie Wähler nehmen ihr "Zugpferd" in Schutz

Bayerns Freie Wähler stehen weiterhin hinter Hubert Aiwanger – auch nach den Vorwürfen im Zusammenhang mit einem antisemitischen Flugblatt. Sie verdanken ihm viel und wissen: Nur mit ihm können sie bei der Landtagswahl punkten. Eine Analyse.

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"Das Zugpferd" nennen sie ihn bei den Freien Wählern. Hubert Aiwanger ist der bekannteste Politiker seiner Partei, laut Umfragen sogar der zweitbekannteste Politiker in Bayern – hinter Ministerpräsident Markus Söder. 2008 führte Aiwanger die Freien Wähler erstmals in den Landtag. 2018 dann sogar in die Regierung – als kleiner Koalitionspartner der CSU. Schon damals zeigte sich Aiwanger selbstbewusst. "Sollte sich herausstellen, dass die CSU mit uns Schlitten fahren will, sind wir die Ersten, die vom Schlitten absteigen und die allein an die Wand fahren lassen", sagte er 2018 kurz nach der Regierungsbildung.

Erfolge der Freien Wähler mit Hubert Aiwanger

Auch auf kommunaler Ebene haben die Freien Wähler zugelegt, sind mit 14 Landräten und Dutzenden Bürgermeistern mittlerweile zweitstärkste Kraft in Bayern. Alles Erfolge unter ihrem Landeschef Aiwanger. Nur eine Sache hat er noch nicht erreicht: den Einzug in den Bundestag. Das nagt an ihm. Immer wieder betont er: Er will es weiterhin versuchen und irgendwann schaffen.

Zumindest sein Bekanntheitsgrad im Bund wächst – spätestens seit seiner umstrittenen Rede bei der Demonstration in Erding und seinem Fernseh-Auftritt bei Markus Lanz im ZDF. Auch zuvor machte Aiwanger bundesweit Schlagzeilen. Zum Beispiel, als er sich in der Coronazeit als Impfgegner outete. Aiwanger argumentierte mit massiven Impfnebenwirkungen, bei denen "einem die Spucke wegbleibt". Einige Wochen später ließ er sich – nach Druck aus der eigenen Fraktion - dann aber doch impfen.

Kritik an Aiwanger: Fischen am rechten Rand

Erdinger Demo, Coronapolitik: Immer wieder wurde ihm vorgeworfen, am rechten Rand zu fischen. Auch in der Flüchtlingskrise 2015 fiel er mit teils scharfen Äußerungen auf und wurde damals sogar aus den eigenen Reihen harsch kritisiert und gemahnt, sich nicht zu weit nach rechts zu bewegen. Und dann waren da noch seine Botschaften in den sozialen Medien vor gut einem Monat. Da verwies der Freie-Wähler-Chef auf Regen und niedrige Temperaturen – auch als Antwort auf Warnungen vor Hitze und Dürre im Zuge des Klimawandels. Das stieß weit über die Grenzen des Freistaats hinaus bei Politikern und Umweltverbänden auf scharfe Kritik. "Unglaublich", schrieb beispielsweise Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). "Ein paar Tage 'trübes Wetter' im Sommer und schon wird der Klimawandel relativiert."

Trotz Kritik viel Zuspruch

Doch obwohl oder gerade weil Aiwanger viel Kritik erntet, bekommt er auch viel Zuspruch. In den sozialen Medien hat er sich mittlerweile eine große und treue Fangemeinde aufgebaut und auch in den Bierzelten kommt Aiwanger gut an. Fraktionschef Florian Streibl lobte Aiwanger vor Kurzem: Er sei ein "begnadeter Bierzeltredner, der Einzige, der es vor ihm so konnte, war Franz Josef Strauß".

Dass die Freien Wähler in Umfragen zuletzt zugelegt haben und nun teilweise bei 14 Prozent stehen, rechnet die Partei ihm an. Aiwanger sei mit seinem Gespür für Themen und für die Leute vor Ort wesentlich dafür verantwortlich, "dass wir da stehen, wo wir heute stehen", sagt der Landtagsabgeordnete Nikolaus Kraus. Und der parlamentarische Geschäftsführer, Fabian Mehring, nennt ihn die "Identifikationsfigur Nummer 1", weil er kein "glatt geschliffener Polit-Roboter, sondern trotz aller Ämter ein ganz normaler Mensch geblieben" sei.

Das macht deutlich: Die Freien Wähler brauchen Aiwanger. Er ist der Kopf der Partei. Die Partei ohne ihn? Unvorstellbar. Mögliche Nachfolger oder gar Königsmörder? Derzeit nicht in Sicht. Lange war von einer One-Man-Show Aiwanger die Rede. Bis 2018 war er Fraktions-, Landes- und Bundeschef in einem. Auch jetzt hält Aiwanger als Bundes- und Landeschef, Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident die Zügel in der Hand.

Freie Wähler stellen sich hinter Aiwanger

Und so verwundert es nicht, dass auch nach den Vorwürfen gegen Aiwanger im Zusammenhang mit dem antisemitischen Flugblatt aus den Reihen der bayerischen Freien Wähler keine Kritik zu hören ist. Im Gegenteil. Sie hoffen bei der Landtagswahl am 8. Oktober mit dem Zugpferd Aiwanger zweitstärkste Kraft in Bayern zu werden. Dass das Zugpferd vorher keinen Schaden nehmen darf, versteht sich da von selbst. Auch der Landtagsabgeordnete Benno Zierer stellt sich hinter Aiwanger: "Ich sehe keinen Grund, dass Aiwanger sein Amt als Wirtschaftsminister nicht mehr ausführen könnte. Alles andere wird die Landtagswahl zeigen."

Das, was Hubert Aiwanger vor 35 Jahren in seinem Schulranzen rumgetragen hat, dürfe jetzt nicht instrumentalisiert werden, um ihn schlecht zu machen, so Zierer. Er spricht von einer "Schmutzkampagne". Das sieht Mary Fischer, die Mitglied im Landesvorstand der Freien Wähler ist, genauso. Sie glaubt Aiwanger, dass er das Flugblatt nicht verfasst hat und betont, er habe sich in den Jahren, in denen sie Aiwanger kennt, "nie rassistisch geäußert".

Profit aus der Misere?

Ähnlich äußert sich Susen Knabner, ebenfalls Mitglied des Landesvorstands. Man müsse nun "den Deckel drauf machen". Und sie schließt nicht aus, dass Aiwanger und die Freien Wähler am Ende sogar von dem Skandal um das Flugblatt profitieren könnten. Im eigenen Umfeld und an Wahlkampf-Infoständen würden viele Leute Aiwanger als Opfer einer schmutzigen Wahlkampfkampagne sehen und sich erst recht hinter ihn stellen, sagt Knabner.

Nun muss sich Aiwanger aber erst einmal in einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses erklären. Die Führungsspitze der Freien Wähler will sich dazu zunächst nicht offiziell äußern. Dass Söder ein persönliches Gespräch fordere, sei verständlich. Was daraus folgt, sei abzuwarten. Weniger zurückhaltend zeigten sich die Freien Wähler in anderen Landesverbänden.

In Rheinland-Pfalz etwa forderten sie von ihrem Bundesvorsitzenden Aufklärung darüber, ob er die Flugblätter verteilt hat. Sollte er an einer Verbreitung des Flugblatts mitgewirkt haben, könne er nicht stellvertretender Ministerpräsident in Bayern bleiben, hieß es. Nach einem Gespräch der Landesvorsitzenden mit Aiwanger zeigte man sich dann aber auch in Rheinland-Pfalz überraschend besänftigt vor Aiwangers Antwort, er könne sich nicht mehr erinnern.

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