Der Covid-19-Impfstoff der Firmen Pfizer/Biontech.
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Die Covid-19-Impfung sorgt immer wieder für Falschbehauptungen im Netz.

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#Faktenfuchs: Fake-Impfung für Tirschenreuther Landrat?

Ein Fernsehbeitrag über den Probedurchlauf in einem Impfzentrum wird im Netz als Beweis für die angebliche “Fake-Impfung” des Tirschenreuther Landrats verwendet. Doch das Video ist aus dem Kontext gerissen - eine typische Strategie hinter Fake News.

Über die Corona-Impfung wird derzeit viel diskutiert - und sie ist auch immer wieder Gegenstand von Desinformation. Aktuell kursiert ein Ausschnitt eines Beitrags des Regionalsenders “Oberpfalz TV” auf mehreren Plattformen und erweckt den Anschein einer vorgetäuschten Impfung.

Ein User schrieb auf Twitter: “Der regionale Sender Oberpfalz Otv macht Impf-Werbung pur und das Highlight ist die Impfung mit der Genspritze von Landrat Grillmeier (CSU), denn die Schutzkappe ist noch drauf.”

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Dazu teilt der User ein Video, in dem zu sehen ist, wie eine Ärztin dem Landrat eine Spritze mit der Schutzkappe über der Nadel auf die Haut drückt. Tatsächlich hat der User in dieser Hinsicht Recht: Auf der Nadel ist noch die Schutzkappe. Es handelt sich nicht um eine Impfung. Soll es auch nicht, der Fernseh-Ausschnitt ist aus dem Zusammenhang gerissen. Die Szene wurde bereits im Dezember aufgenommen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrags, Mitte Dezember, hatte die Impfkampagne in Deutschland noch nicht begonnen. Der Landrat hätte sich also gar nicht “richtig” impfen lassen können, weil noch kein Impfstoff ausgeliefert wurde; dies geschah erst ab dem 26. Dezember.

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Auf Twitter verwenden Nutzer ein Video von Oberpfalz TV als vermeintlichen Beweis für die "Fake-Impfung" des Tirschenreuther Landrats.

Doch was hat “Oberpfalz TV” dokumentiert? Der Videoausschnitt ist Teil eines Beitrags des Senders vom 18. Dezember. Im Beitrag wird ein Probedurchlauf im Impfzentrum Waldsassen im Landkreis Tirschenreuth begleitet, schon im Titel des Beitrags in der Mediathek wird das deutlich: “Waldsassen: Probedurchlauf im Impfzentrum Tirschenreuth”. Der Chefredakteur von “Oberpfalz TV”, Bastian Gottswinter, betont auf Anfrage des BR24-#Faktenfuchs: Diese Tatsache werde auch im Beitrag mehrfach deutlich erwähnt. Das Bild sei komplett aus dem Zusammenhang gerissen.

“Weder der Landrat noch die weiteren Menschen, die bei diesem Probedurchlauf teilgenommen haben, wurden geimpft”, so Gottswinter. Deshalb sei bei der Spritze eine Schutzkappe über der Nadel zu sehen.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war Impfstoff noch nicht zugelassen

Dass bei dem Probedurchlauf niemand geimpft wurde, bestätigt auch das Landratsamt Tirschenreuth. Hinzu kommt: Eine Impfung wäre zu diesem Zeitpunkt gar nicht möglich gewesen. Der offizielle Impfbeginn in Bayern war erst etwa eine Woche später, am 27. Dezember. Als der Beitrag veröffentlicht wurde, war noch kein Corona-Impfstoff von der EU zugelassen worden. Das passierte erst einige Tage später, am 22. Dezember 2020, also vier Tage nach Veröffentlichung des Videos.

Im Videoausschnitt, der im Internet kursiert, sieht es trotzdem so aus, als werde Landrat Roland Grillmeier entweder bei der Impfung bevorzugt oder als gäbe er nur vor, sich impfen zu lassen.

“Ich stelle hiermit eindeutig klar, dass ich bereit bin, mich impfen zu lassen”, schreibt Grillmeier in einer Stellungnahme an den #Faktenfuchs. Er werde sich registrieren lassen und die Impfung in Anspruch nehmen, wenn er an der Reihe sei.

Grillmeier sei immer noch “erschrocken und entsetzt, wie mit solchem Bildmaterial, das komplett aus dem Zusammenhang gerissen wurde, im Netz umgegangen wird.” Dass Inhalte aus ihrem Zusammenhang gerissen werden, um so einen falschen Eindruck zu erwecken, ist bei Fake News häufig zu beobachten.

Aus dem Kontext reißen - eine häufige Strategie bei Fake News

“Es ist eine gängige Strategie nicht nur falsche Informationen zu verbreiten, sondern korrekte Informationen aus dem Kontext zu reißen”, sagt Pia Lamberty gegenüber dem #Faktenfuchs. Die Sozialpsychologin forscht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz zu Verschwörungstheorien.

Diese Strategie sei sowohl digital, als auch bei Flyern mit Corona-Falschbehauptungen, zu beobachten. "Es werden dann zwar ‘offizielle’ Quellen wie das Robert Koch-Institut verwendet, aber so verzerrt oder falsch dargestellt, dass die Aussagen kaum noch etwas mit den ursprünglichen Aussagen zu tun haben", so Lamberty. Corona-Fake-News verbreiten sich mittlerweile nicht nur online, sie landen auch im Briefkasten. Das hat sich der #Faktenfuchs hier angeschaut.

Wie gängig das Phänomen der Dekontextualisierung bei Falschbehauptungen ist, zeigt eine Studie der University of Oxford. Darin haben Forscher mehr als 200 englischsprachige Fake News zu Beginn der Corona-Pandemie untersucht und festgestellt: Fast ein Drittel der untersuchten falschen Behauptungen enthielt Inhalte, die aus dem Kontext gerissen worden waren. Dabei wurden häufig ausgesuchte Details neu zusammengestellt oder verdreht, um gezielt in die Irre zu führen.

"Blue Lies": Ersteller sind sich ihrer Lüge bewusst

Auch beim #Faktenfuchs stoßen wir immer wieder auf Behauptungen, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Zum Beispiel die Behauptung, in einem Krankenhaus, in dem Covid-19-Patienten behandelt wurden, würden Schauspieler eingesetzt, um ein volles Krankenhaus zu simulieren.

Interessant ist laut Pia Lamberty aber auch, dass sich die Ersteller solcher Desinformation oft durchaus bewusst darüber sind, dass sie Lügen verbreiten. Lamberty spricht in diesem Zusammenhang das Phänomen "Blue Lies" an: "Der Zweck heiligt für die Ersteller dann die Mittel. Sie sehen sich im Recht und meinen, dass sie sich gegen die angeblichen Gefahren wehren würden."

Auch die Publizistin Katharina Nocun bestätigt: "Menschen machen das eher dann, wenn sie glauben, hier geschieht ein großes Unrecht gegen meine Gruppe." Nocun hat gemeinsam mit Lamberty das Buch "Fake Facts" geschrieben. Besonders im politischen Kontext mit aufgeheizter Stimmung seien solche "blauen Lügen" häufig zu beobachten, sagte Nocun in einem Interview mit dem SWR. Sie seien auch ein Erklärungsansatz dafür, warum sich Donald Trumps Anhänger nicht daran störten, dass er etliche Lügen verbreitete - weil sie eben vom Zweck so überzeugt sind, dass diese Lügen gerechtfertigt scheinen.

Der Begriff "Blue Lie" ist ursprünglich angelehnt an Fälle, in denen Polizisten kriminelle Handlungen gedeckt haben, zum Beispiel um Kollegen zu schützen. "Blue Lies" sind also vermeintlich solidarische Lügen, die Menschen moralisch vor sich rechtfertigen können, weil ihre Gruppe davon profitiert.

Fazit

Das Video, das den Tirschenreuther Landrat Roland Grillmeier dabei zeigen soll, wie er eine Impfung vortäuscht, ist aus dem Zusammenhang gerissen. Gezeigt wird nur der Ausschnitt eines Beitrags von "Oberpfalz TV" zu einem Probedurchlauf im Impfzentrum Waldsassen im Landkreis Tirschenreuth.

Mehrere Menschen nahmen an diesem Probedurchlauf teil, geimpft wurde allerdings niemand von ihnen; das wäre auch gar nicht möglich gewesen, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Impfstoff durch die EU zugelassen war.

Inhalte aus ihrem Zusammenhang zu reißen, ist eine Strategie von Erstellern von Desinformation. Sie sind sich dabei oft ihrer Lüge bewusst, sehen sich aber im Recht und glauben, der Zweck heilige die Mittel.

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