Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger in der BR24 Wahlarena
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Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger in der BR24 Wahlarena

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Aiwanger in der Wahlarena: Opposition zur eigenen Regierung

Attacken auf die Berliner Ampel und speziell die Grünen zählen seit Monaten zu Hubert Aiwangers Wahlkampfrhetorik. In der BR24 Wahlarena aber geht der Vize-Ministerpräsident auch auf Distanz zu Beschlüssen der eigenen Koalition. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR-Wahlarena am .

Hubert Aiwanger ist sofort in seinem Element. Gleich die ersten Fragen aus dem Publikum der BR24 Wahlarena in Schwandorf nutzt der Freie-Wähler-Chef und bayerische Wirtschaftsminister, um Erfolge seiner Partei und seine Forderungen an den Bund aufzuzählen. Statt sich ein weiteres Mal zu Vorwürfen zu einem Verhalten als Schüler äußern zu müssen, bekommt der Minister Gelegenheit, sich über Themen zu äußern, die ihm liegen.

Er spricht über Waldbesitzer und Jäger, über Brennholz aus heimischen Wäldern und grünen Wasserstoff, über Auflagen für Bauern. Jeder meine, dem Bauern sagen zu müssen, "was er anders machen muss", kritisiert Aiwanger, selbst studierter Landwirt mit eigenem Bauernhof. "Die Landwirte waren über Jahre jetzt die ideologische Spielwiese: Es ist über Brüssel losgegangen, dann auf Bundes- und Landesebene." Die Live-Sendung mit Bürgerfragen ist für den Freie-Wähler-Chef über weite Strecken Wohlfühlwahlkampf. Und es ist ein Auftritt, bei dem der Minister nicht nur seine Kritik am Bund wiederholt, sondern auch mit Distanz zur eigenen Staatsregierung zu punkten versucht.

Aiwanger preist FW-Erfolge

Was er jungen Menschen bieten könne, will ein Student wissen. Aiwanger betont, die Freien Wähler hätten "die Studiengebühren abgeschafft vor ein paar Jahren mit einem Volksbegehren" und zuvor schon "das neunjährige Gymnasium wieder auf den Weg gebracht". Dass dies im Grunde jeweils auch andere Parteien für sich beanspruchen könnten, erwähnt er nicht. Für die Rückkehr zum G9 hatten sich neben den Freien Wählern auch SPD, Grüne, Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter starkgemacht - bis die CSU diesen Schritt 2017 besiegelte. Das Volksbegehren gegen Studiengebühren hatten die Freien Wähler zwar initiiert, unterstützt wurde es unter anderem auch von SPD, Grünen und Gewerkschaften. Im Landtag stimmte 2013 schließlich auch die CSU dafür.

Mit wenigen Sätzen schafft Aiwanger von der Bildung die Überleitung zu seinen Lieblingsslogans: "Wir wollen eine leistungsbezogene Gesellschaft: Einkommenssteuer senken, Erbschaftssteuer abschaffen." Keine Forderungen, die eine bayerische Regierung umsetzen kann, vielmehr ist der Bund zuständig. Unbeantwortet bleibt auch die Frage der Finanzierung.

Lehrermangel: Kritik an Staatsregierung

Später in der Sendung wird Aiwanger auf den Lehrermangel in Bayern angesprochen - schließlich ist der zuständige Minister Michael Piazolo ebenfalls von den Freien Wählern. Die geplante bessere Bezahlung für Grund- und Mittelschullehrer reklamiert Aiwanger als Freie-Wähler-Erfolg für sich und fordert für die Zukunft eine deutliche Aufstockung von Verwaltungskräften an Schulen.

Zugleich kritisiert er - den von seiner Partei im Kabinett mitbeschlossenen - Versuch, Lehrer aus anderen Bundesländern abzuwerben. In seinen Augen sei das "nicht ganz sauber", beklagt der Vize-Ministerpräsident. "Bringt uns dann auch nichts, wenn wir die anderen Bundesländer ausbluten."

Klimaziele seiner Koalition für Aiwanger nicht in Stein gemeißelt

Neben Aiwanger und Piazolo stellen die Freien Wähler in Bayern mit Thorsten Glauber auch noch den Umweltminister. Vor neun Monaten verkündete dieser im Landtag, die Staatsregierung gehe den Klimaschutz in Bayern "mit ganzer Kraft" an. Mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern beschloss das Landesparlament, dass Bayern spätestens 2040 klimaneutral werden soll - und damit mindestens fünf Jahre früher als der Bund: Bayern wolle schneller sein, betonte Glauber.

Aiwanger stellt in Schwandorf nun öffentlich infrage, dass diese gesetzlich verankerte Vorgabe auch umgesetzt wird: "Wir setzen uns eben dieses Ziel – ob wir's erreichen, wissen wir nicht", erläutert der Vize-Ministerpräsident und bedient sicher einer Fußball-Metapher: "Das ist genau so, wie wenn ich sage: 'Ich will nächstes Jahr Tabellenführer im Fußball werden.' Man strebt das an. Wenn wir sehen, die Leute wählen einen ab und wandern ins Ausland mit der Industrie, dann müssen wir wieder zurück." Bayern sei schließlich keine Diktatur, die den Menschen zur Durchsetzung von Klimazielen Fleisch, Auto und Haus verbiete. Entscheidend sei, so die Botschaft des Ministers, letztlich die Stimmung in der Bevölkerung.

Der Stammtisch als "Urform der Demokratie"

Als ihm ein Mann aus dem Publikum populistische Aussagen zum Klimawandel vorwirft, reagiert Aiwanger spöttisch: "Ich gehe davon aus, Sie sind heute mit dem Fahrrad da, nicht mit dem Auto?" Nach der Arbeit von Amberg nach Schwandorf mit dem Fahrrad sei ein bisschen schwierig, entgegnet der Fragesteller angesichts der Entfernung von mehr als 25 Kilometern. "Na ja, wenn man früh genug wegfährt", sagt Aiwanger und lacht. "Das wäre die Konsequenz - wenn wir sagen: Da schalten wir hier das Licht aus und machen die Temperatur runter und kommen mit dem Fahrrad und nicht mit dem Auto."

Den Stammtisch preist Aiwanger als eine "Urform der Demokratie" und weist den Vorwurf zurück, mit seinen verbalen Dauerattacken in Bierzelten und sozialen Netzwerken auf die Grünen und die gesamte Ampel, die Gesellschaft zu spalten. Die Schuld sieht er im Gegenteil bei der Bundesregierung: "Mit dem Heizungsgesetz haben sie im wahrsten Sinne des Wortes politisch die Hütte angezündet in Deutschland."

Aiwanger bereut "eigentlich nichts"

Kritische Fragen rund um die Antisemitismus-Vorwürfe gegen ihn bekommt Aiwanger vom Publikum an diesem Abend keine gestellt. Im Gegenteil: Ein älterer Mann im Publikum beklagt eine "unappetitliche" Hetze gegen Aiwanger, "das gehört sich nicht". Der Minister sei ein "anständiger, korrekter Bürger", der nicht wie der letzte Dreck behandelt werden möchte.

Die allgemeine Frage einer Zuschauerin, was er bereue, bezieht der Minister erst gar nicht auf die Vorwürfe rund um ein antisemitisches Flugblatt und angebliche judenfeindliche Witze als Jugendlicher. Bisher bereue er eigentlich nichts, verkündet Aiwanger. "Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren auch politisch alles richtig gemacht haben in Bayern." Man mache immer nach bestem Wissen und Gewissen Politik "und macht keine absichtlichen Fehler".

Politologin Münch überrascht

Unmut lässt der Minister dagegen über den Koalitionspartner CSU um Ministerpräsident Markus Söder durchblicken. Es habe die eine oder andere Auseinandersetzung gegeben, sagt der Freie-Wähler-Chef und verweist auf die öffentliche Kritik von Söder daran, dass Aiwanger sich zunächst nicht gegen Corona impfen ließ. "Das ist auch die Frage, ob das in dieser Form hätte sein müssen."

Vom großen Selbstbewusstsein Hubert Aiwangers angesichts des Umfragehochs der Freien Wähler mit einem Rekordwert von 17 Prozent zeugt ein Satz, über den sich später die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch überrascht zeigt. Mit Blick auf die mehr als doppelt so starken Christsozialen sagt Aiwanger, er glaube trotz der Differenzen, "dass die CSU für die Freien Wähler der richtige Koalitionspartner" sei. "Ich dachte immer, das sei umgekehrt", sagt Münch dazu.

Die BR24 Wahlarenen

An drei Abenden finden sechs einzelne Wahlarenen in der Länge von jeweils 30 Minuten statt. Das Konzept der BR24 Wahlarenen ist angelehnt an die Sendung "jetzt red i", ein Sendeformat des BR, in dem Bürgerinnen und Bürger live vor Ort mit verantwortlichen Politikerinnen und Politikern über aktuelle Themen diskutieren. Es moderieren Franziska Eder und Christian Nitsche, Helene Reiner greift die Fragen aus dem Netz auf.

Bei jeder der drei Sendungen haben etwa 90 Studiogäste die Möglichkeit zur Teilnahme. Um den speziellen Anforderungen der Wahlsendungen gerecht zu werden, soll das Publikum in seiner Zusammensetzung die ganze Breite der bayerischen Bevölkerung widerspiegeln - die Auswahl des Publikums besorgt jeweils das Institut Infratest dimap.

Die weiteren BR24 Wahlarenen, in denen sich die Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien den Fragen von Bürgern stellen, finden am Mittwoch, 27. September (20.15 Uhr Florian von Brunn, SPD, sowie 21 Uhr Martin Hagen, FDP) statt. Am 13. September waren Markus Söder (CSU) und Ludwig Hartmann (Grüne) zu Gast in der Wahlarena, am 20. September neben Hubert Aiwanger auch Katrin Ebner-Steiner (AfD).

Der BR24 Kandidaten-Check:

BR24 Kandidaten-Check: Wofür stehen die Direktkandidatinnen und -kandidaten der Landtagswahl in Bayern? Ihnen allen haben wir dieselben Fragen zu den relevantesten Themen des Wahlkampfs gestellt, mehr als 800 haben teilgenommen. Geben Sie im Tool Ihren Wohnort, Stimmkreis oder Ihre Postleitzahl ein und finden Sie heraus, wie die Bewerber geantwortet haben:

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