Gendersternchen und Schriftzug "*innen" auf Buchstaben (Symbolbild)
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Gendersternchen und Schriftzug "*innen" auf Buchstaben (Symbolbild)

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Ärger über Söders Gender-Aussage: Aufruf zum "Anschwärzen"?

Sollen Eltern sich beschweren, wenn sie trotz des bayerischen Verbots einen Schulbrief mit Genderstern erhalten? Ministerpräsident Söder rät, die Schulleitung oder gar das Kultusministerium einzuschalten. Lehrer sind teils gelassen, teils empört.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Vor einer Woche hat die bayerische Staatsregierung ein Genderverbot ab dem 1. April beschlossen – für den dienstlichen Schriftverkehr in Verwaltung, Schulen und Hochschulen. Für Lehrkräfte, die zum Beispiel in Elternbriefen trotzdem weiter ein Gendersternchen verwenden, soll es bald "dienstrechtliche Konsequenzen geben". Im "Bild-Talk" (externer Link; möglicherweise Bezahl-Inhalt) hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kürzlich erklärt, an wen sich Eltern künftig mit entsprechenden Beschwerden richten sollen.

Es gebe "unterschiedliche Möglichkeiten", sagte Söder auf die Frage, wo sich Eltern beschweren könnten, wenn sie "einen Brief bekommen aus einer Schule und dann doch ein Lehrer gendert". Der Ministerpräsident führte aus: "In der Schule, beim Schulleiter, beim Klassenleiter selbst oder auch beim Schulforum. Und wenn gar nichts geht, dann einfach eine E-Mail ans Kultusministerium schreiben, die sind rund um die Uhr im Einsatz und regeln die Probleme."

Fleischmann: "Jetzt reicht es dann langsam"

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), reagiert empört auf Söders Aussagen im "Bild-Talk". Jetzt reiche es dann irgendwann, sagt Fleischmann auf BR24-Anfrage. "Wenn wir jetzt auch noch anfangen, dass Eltern bestimmte Lehrkräfte wegen Formulierungen in Elternbriefen beim Kultusministerium melden – wo kommen wir denn da hin?"

Von vielen Lehrerinnen und Lehrern erhalte sie ähnliche Rückmeldungen, sagt Fleischmann. "Die sagen zu mir: Jetzt sollen wir aufhören, so zu reden und zu schreiben, wie viele jüngere Menschen es gerade tun. Per Dienstanweisung. Das hat mit der Realität an den Schulen nichts zu tun." Die BLLV-Präsidentin betont, dass es viel wichtigere Fragen gebe, als Gendersternchen und andere Gendersprache: "Wir haben einen eklatanten Mangel an Lehrkräften, der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt immer mehr. Das sind die wichtigen Themen. Nicht, ob in einem Elternbrief 'Schüler*innen' oder 'Schülerinnen und Schüler' steht."

Realschullehrerverband rät zu Dialog auf Augenhöhe

Dagegen versteht der Vorsitzende des Bayerischen Realschullehrerverbands (BRLV), Ulrich Babl, Söders Aussage "nicht als explizite Aufforderung". Erst auf Nachfrage habe Söder "konkret auf die zuständigen Ansprechpartner der Schulfamilie im Fall von Elternbeschwerden verwiesen", teilt Babl dem BR mit. Dieses Vorgehen gelte auch bei anderen Themen, bei denen die Eltern Gesprächsbedarf hätten. "Generell halten wir den konstruktiven Dialog auf Augenhöhe zwischen Schule und Eltern für den einzig richtigen Weg, um Probleme zu lösen und Missverständnisse auszuräumen."

Laut Babl ist Gendern an bayerischen Realschulen ohnehin kein großes Thema. "Aus unserer Sicht besteht daher auch keine Notwendigkeit für ein gesetzlich definiertes Genderverbot." Für den BRLV sei die Einhaltung der amtlichen Regeln der deutschen Rechtschreibung maßgeblich und "völlig ausreichend".

Philologenverband: Energie an anderer Stelle einsetzen

Auch der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, Michael Schwägerl, sieht Söders Aussage "nicht als Aufforderung zur Meldung", sondern als Beschreibung der immer vorhandenen Beschwerde-Möglichkeiten und -Wege für Eltern. "Im genannten Beispiel, einem Elternbrief, ist es zudem so, dass der Schulleiter im Regelfall diesen Brief vor dem Versand zu Gesicht bekommt, denn er vertritt die Schule nach außen", erläutert Schwägerl. "Damit sollte der aufgeführte Fall nur sehr selten eintreten."

Die Lehrerkollegien seien ein Spiegelbild der Gesellschaft – mit Befürwortern wie Gegnern des Verbots. "Insgesamt ist unser Eindruck, dass die große Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen die aktuelle Gender-Debatte nicht als eines der drängenden Probleme im schulischen Bereich ansieht", sagt der Verbandschef. "Wir sollten unsere Energie und unsere Zeit besser an anderer Stelle einsetzen."

Gewerkschaft GEW: "Total daneben"

Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Martina Borgendale, zeigt sich verärgert. Abgesehen davon, dass der Ministerpräsident "hier mit Kanonen auf Spatzen schießt, finden wir diesen Aufruf zur Denunziation total daneben", sagt sie BR24. Dies sei auch "extrem unklug", wenn man neue Lehrkräfte und Lehramtsstudierende gewinnen müsse. "Studierende finden das Gendern oft wichtig in einer offenen Gesellschaft und fordern auch am Arbeitsplatz persönliche Freiheiten ein." Wenn der Ministerpräsident nun dazu aufrufe, nicht konforme Lehrkräfte anzuschwärzen, "wirkt das massiv abstoßend".

Borgendale verweist darauf, dass sich im Unterricht durch das Verbot nichts ändere. "Dort musste schon zuvor den Regeln der deutschen Rechtschreibung gefolgt werden." Insofern wirke "Söders Jagd" auf Gendersternchen in Elternbriefen vor allem populistisch und bemühe ein Randthema, das die AfD stark thematisiere.

Viele Lehrkräfte sind der GEW-Landeschefin zufolge entsetzt über das Vorgehen des Freistaats. "Manche fühlen sich schmerzlich erinnert an die Zeiten der AfD-Meldeportale, auf denen dazu aufgefordert wurde, Lehrkräfte zu melden, die sich kritisch zur AfD äußerten." Ein solches Vorgehen der Staatsregierung vergifte nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern auch das Verhältnis zu vielen Beschäftigten.

Söder: In Bayern gilt "leben und leben lassen"

Söder plädierte in dem "Bild"-Interview derweil dafür, ein Genderverbot nach bayerischem Vorbild in ganz Deutschland einzuführen. "Ich glaube, die ganz große Mehrzahl der Deutschen fragt, warum gibt es das in meinem Bundesland nicht, warum gibt es das nicht für ganz Deutschland?"

Die meisten Menschen betreffe das Verbot nicht – jeder solle reden, wie er wolle. "Wenn jemand sprachlich gendern will und es auch kann, ohne dass es wie ein Schluckauf klingt, ist das völlig in Ordnung", sagte der CSU-Politiker. "Jetzt sind wir keine Sprachpolizei." In Bayern gelte der Grundsatz "leben und leben lassen".

Aber im staatlichen Umfeld brauche es eine klare Linie, betonte Söder. "Deswegen haben wir gesagt für alle Behörden des Freistaats Bayern: kein Doppelpunkt, kein Sternchen." Das werde "am Ende gut funktionieren". Auch für die Schulen gelte das Verbot: "Dies ist ein Fehler, wenn man das macht, er wird zumindest angestrichen. Wir werden in den Schulbüchern dafür sorgen, dass es kein Gendern gibt, keine Gendersternchen und Doppelpunkt."

Kultusministerium: Anfragen werden "zeitnah beantwortet"

Das bayerische Kultusministerium bemüht sich auf BR24-Anfrage um Zurückhaltung. Selbstverständlich sei man über das Kontaktformular auf der eigenen Homepage rund um die Uhr erreichbar, erklärt ein Ministeriumssprecher. Und selbstverständlich würden auch Anfragen zum Thema Gendern "zeitnah beantwortet". Allerdings betont der Sprecher: "Wie bei allen Elternfragen stehen zur Klärung jedoch zunächst die Lehrkräfte, die Schulleitung vor Ort sowie darüber hinaus die zuständigen Schulaufsichtsbehörden für entsprechende Fragen zur Verfügung."

Wie das Ministerium Söders Aussage wertet, dass sich Eltern bei Ärger über gegenderte Elternbriefe "wenn gar nichts geht" ans Kultusministerium wenden können, beantwortet ein Ministeriumssprecher auf BR24-Nachfrage nicht.

Zu den angekündigten "dienstrechtlichen Konsequenzen" gibt es ebenfalls keine neuen Details und das Kultusministerium äußert sich zurückhaltend: Zunächst sollen demnach die unmittelbaren Vorgesetzten das Gespräch mit den Lehrkräften suchen und "für die Einhaltung der vom deutschen Rechtschreibrat vorgegebenen Leitlinien" sensibilisieren.

Dienstrechtliche oder arbeitsrechtliche Konsequenzen würden erst dann ergriffen, "wenn gezielt und ganz bewusst mehrfach gegen die aktuell geltenden Regelungen verstoßen wird". Das Kultusministerium gehe aber davon aus, "dass dies in der praktischen Umsetzung vor Ort nur in sehr seltenen Ausnahmefällen tatsächlich der Fall sein dürfte".

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