Soja-Ernte im Süden von Brasilien
Bildrechte: Evandro Rigon/dpa / dpa-Bildfunk

Die Produktion von Lebensmitteln ist heute weltweit vernetzt und wird auch als globales System betrachtet.

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Nachhaltiges und wirtschaftliches Lebensmittel-System: Geht das?

Die Landwirtschaft produziert Lebensmittel für Milliarden Menschen weltweit, verbraucht dabei aber die natürlichen Ressourcen. Wissenschaftler suchen deshalb Wege zu einem globalen Nahrungssystem, das wirtschaftlich und nachhaltig zugleich ist.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Die Landwirtschaft steht heute global vor großen Herausforderungen: Wie lässt sich die wachsende Weltbevölkerung ernähren? Wie die Armut in vielen ländlichen Regionen weltweit verringern? Wie kann das "Nahrungssystem", also alle, die Lebensmittel produzieren, transportieren und verarbeiten, auf die sich durch die Erderwärmung verändernden Umweltbedingungen reagieren? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit suchen nach Wegen, um die die Produktion von Lebensmitteln zugleich wirtschaftlich und nachhaltig zu machen, sie erforschen, welche Auswirkungen die Herstellung von Lebensmitteln auf die Umwelt und Gesundheit der Menschen hat und wie sich Lebensmittel-Verschwendung reduzieren lässt.

Früher blickten Wissenschaftler nur auf einzelne Teile dieses Systems und suchten dort nach Verbesserungsmöglichkeiten. Inzwischen untersuchen sie diese gemeinsam in einem größeren Rahmen, um Antworten zu finden. Deshalb hat sich auch der Begriff "Food System", also Lebensmittelsystem, etabliert. Ziel der Forschung in diesem Feld ist, herauszufinden, welche Auswirkungen die Aktivitäten der einzelnen Akteure in diesem System haben, welche Rückkopplungen es geben kann und Ansatzpunkte für die Verbesserung der Ernährungssicherheit zu finden.

Prognose: Ende der Massentierhaltung wegen CO2-Fußabdruck

Auch auf einer Fachtagung im Amerikahaus in München beschäftigten sich Experten mit diesen Fragen. Einer der Teilnehmer war Matthias Hobbie, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung für New Food, also neuartige Lebensmittel, beim Unternehmen GEA, das unter anderem Prozesstechnik für die Nahrungsmittelindustrie liefert. Er betont, dass die Lebensmittelproduktion trotz aller Kritik in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht hat: Vor 50 Jahren lebten auf der Erde vier Milliarden Menschen. Heute können acht Milliarden ernährt werden. Allerdings gehe dies auf Kosten des Planeten, so Hobbie. Agrarflächen seien für rund ein Viertel des CO2-Fußabdrucks verantwortlich, hier fällt vor allem die Tierhaltung negativ auf, Hobbie wagt deshalb die Hypothese: Die 2030er-Jahre könnten das letzte Jahrzehnt der Massentierhaltung sein.

Auch in Brot und Käse steckt Lebensmittelchemie

Seine Alternative: Fleisch, ohne dass ein Tier dafür sterben muss, direkt gezüchtet aus Zellen. Daran arbeiten neben seinem Unternehmen weltweit viele andere. In Singapur zum Beispiel kann man gezüchtetes Hähnchenfleisch schon im Supermarkt kaufen. In Europa gibt es dafür noch keine Zulassung. Die größte Herausforderung ist laut Thomas Becker, Lebensmittelingenieur und Professor an der Technischen Universität München: "Lebensmittel sind ein emotionales Thema". Wir seien sehr sensibel bei dem, was wir aufnehmen: Anders als Arzneimittel, die man wegen einer Krankheit oder bestimmter Beschwerden schluckt, will man Lebensmittel genießen.

Die Lebensmittelindustrie hat einen schlechten Ruf und viele Menschen sind skeptisch bei Analogkäse oder Fleischersatz. Dabei steckt auch heute schon hoch entwickelte Lebensmitteltechnik und -chemie in unserem Essen. Ob Enzyme in Brot oder Käse, oder, in "natürlicherer" Form in Bier oder im Einmachglas: Überall wandeln Bakterien oder Hefepilze Stoffe um und sorgen so für Haltbarkeit, Alkohol und Kohlensäure oder guten Geschmack. Nichts anderes machen die Forscher – in kontrollierter Form – um zum Beispiel künstliches Fleisch zu erzeugen.

Sorge um Wohlstand an erster Stelle

Bestimmte Lebensmittel mit technischen Mitteln zu ersetzen wird aber nicht reichen, um die komplexen Probleme des Ernährungssystems zu lösen: Kriege, eine weltweit vernetzte Wirtschaft und der Raubbau am Planeten Erde, nur damit die Supermarktregale in den reichen Ländern stets gefüllt sind. Andrea Büttner, Lebensmittelchemikerin und Professorin für Sinnesforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg, warnt: Das Grundproblem sei weder der Politik noch den meisten Menschen klar, nämlich, "dass wir noch nicht gemerkt haben, dass die Ressourcen endlich sind." Wenn man von der Endlichkeit der Ressourcen spreche, käme als Erstes die Sorge: "Oh, der Wohlstand ist gefährdet".

Dabei bedeutet die Lösung gar nicht Verzicht: Regional, saisonal, viel Gemüse - das ist keine schlechte Kost. Und auch für jene, die täglich Schnitzel, Wurst oder Burger essen wollen, arbeiten Forscher an Alternativen, sagt Matthias Hobbie: "Ich bin sehr sicher: Auch in dreißig Jahren wird es noch ein Steak aus dem Schlachtvorgang geben, aber aus anderen Bedingungen. Es wird aber eben sehr, sehr viel mehr Fleisch aus der Zellkultivierung geben." Pflanzen, Hülsenfrüchte oder Pilze eignen sich aber genauso als Eiweißlieferant. Und dazu das, was hierzulande wächst und gut schmeckt - vielleicht ab und an nicht nur als Beilage, sondern als Hauptgericht.

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