Das Jahr 2019 hat zu einem neuen Rekordverlust an Grönlandeis geführt.
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Das Jahr 2019 hat zu einem neuen Rekordverlust an Grönlandeis geführt.

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Strahlend blauer Himmel sorgt für Rekordverlust an Grönlandeis

2019 war nicht nur weltweit das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Messungen 1880, es sorgte auch für einen Rekordverlust an Grönlandeis. Das lag nicht nur am schmelzenden Eis, sondern vor allem daran, dass es viel zu wenig geschneit hatte.

Schon länger beobachten Forschende besorgt die Eisschmelze Grönlands. Bisher galt 2012 als das schlimmste Jahr, nun reiht sich 2019 ein: Die Eisdecke schmolz um mehrere hundert Milliarden Tonnen. Dass die Polkappen schmelzen, ist leider nichts Neues. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Das Problem im vergangenen Jahr war nämlich vor allem, dass sich durch weniger Schneefall viel weniger neues Eis bilden konnte, um den Verlust auszugleichen. Dafür sei aber nicht nur warmes Wetter verantwortlich gewesen, sondern eine Reihe ungewöhnlicher Luftbewegungen, wie eine neue Studie der Columbia Universität belegt. Das führe dazu, dass bisherige Vorhersagen über das Ausmaß der Eisschmelze auf Fehleinschätzungen beruhen könnten.

Verlust der Massenbilanz

Durch Satelliten-Aufzeichnungen, Bodenanalysen und Klimamodelle kamen die Experten zu dem Schluss, dass 2019 den stärksten Verlust in der Massenbilanz seit Beginn der Aufzeichnungen 1948 aufwies. Unter der Massenbilanz wird in der Glaziologie die Differenz zwischen Massenzufluss und Massenverlust gesehen. Zufluss gibt es zum Beispiel durch Schneefall, Verlust durch Eisschmelze.

Mehr Masse verlieren als zunehmen

Das können Sie sich wie Ihren Kontostand vorstellen: In einem Monat geben Sie vielleicht mal mehr aus, verdienen aber auch mehr. In einem anderen geben Sie genauso viel aus, verdienen aber weniger, weil zum Beispiel Ihr Gehalt wegbricht. Dann rutschen Sie in die Miesen. So ungefähr passiert das gerade in Grönland. Grönland hat 2019 weit mehr Eismasse verloren, als es parallel zugenommen hat.

Verlust an Eismasse durch Eisberge

Im Idealfall liegt diese Massenbilanz bei Null - also Zunahme und Verlust gleichen sich in etwa aus. Das war bis ins Jahr 2000 auch noch so. Seitdem sinkt die Bilanz, der Verlust durch schneller schmelzendes Eis wird mehr. 2012 erreichte dieser Verlust einen neuen Höhepunkt: Allein im Sommermonat Juli verlor Grönland schätzungsweise zwischen 400 und 500 Milliarden Tonnen Eis durch Schmelze und kalbende Eisberge. Im vergangenen Jahr lag dieser Wert bei insgesamt etwa 600 Milliarden Tonnen Eismasse - das entspricht einem Anstieg des weltweiten Meeresspiegels um 1,5 Millimeter. Doch die Eisschmelze ist nur ein Teil der Bilanz.

Neuer Negativ-Rekord

Normalerweise gleicht sich das durch den Massenzufluss - das Wachsen der Eismasse durch Schneefall - aus: Nicht aber im vergangenen Jahr. Da lag er nämlich nur bei etwa 50 Milliarden Tonnen - das waren 320 Milliarden Tonnen weniger als der Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010 (im Vergleich waren es im bisherigen "Negativ-Rekord-Jahr" 2012 310 Milliarden Tonnen weniger als der Durchschnitt). Zieht man in Betracht, dass jährlich mehrere hundert Milliarden Tonnen Eis als Eisberge wegbrechen, sind die 50 Milliarden Tonnen Zufluss gar nicht mehr so viel. 2019 hat damit nicht nur den geringsten Zuwachs an Eis, sondern ist auch bei der Massenbilanz laut Studie insgesamt schlechter aus 2012. Dabei war es 2012 im Sommer in Grönland wärmer als 2019. Wie kam es also zu diesem neuen Negativ-Rekord?

Ungewöhnliche Hochdruckgebiete

Laut den Forschern Marco Tedesco vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia Universität und Co-Autor Xavier Fettweis von der Universität Lüttich lag das vor allem an Hochdruckgebieten, die 2019 ungewöhnlich lange über Grönland zirkulierten. Im Süden Grönlands haben sie für weniger Wolkenbildung gesorgt und damit zu mehr Eisschmelze durch die Sonneneinstrahlung geführt. Und weniger Wolken bedeuten auch weniger Schneefall - um genau zu sein, 50 Milliarden Tonnen weniger als im Süden üblich. Durch den Mangel an Schnee kamen größere blanke Eisflächen zum Vorschein. Da Eis aber nicht so viel Sonnenlicht reflektiert wie frischer Schnee, absorbiert es mehr Wärme und verschlimmert die Eisschmelze.

Mini-Treibhauseffekt

Im Norden und Westen von Grönland waren die Gegebenheiten nicht besser: Da das Hochdruckgebiet im Uhrzeigersinn zirkulierte, nahm es warme und feuchte Luft aus südlicheren Breitengraden auf. Die Wirbel im Süden konnten beispielsweise über New York die ganze Hitze und Feuchtigkeit aufnehmen und sie in der Arktis abladen - in diesem Fall im Westen Grönlands. Das sorgte wiederum für mehr Wolkenbildung im Norden Grönlands. Laut der Studie resultierten diese Wolken aber nicht in Schneefall, sondern schlossen die Wärme ein und sorgten so für einen Mini-Treibhauseffekt, der wiederum zur Eisschmelze beitrug.

Veränderungen beim Jetstream

All diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass Grönland 2019 so viel Eismasse verlor und wesentlich weniger neues Eis entstehen konnte. Tedesco und Fettweis fanden heraus, dass diese Hochdruck-Konditionen noch nie so extrem waren. Auch im Sommer 2012 gab es ähnliche Vorkommnisse. Und das wird laut Tedesco nun häufiger passieren. Als Grund gab er unter anderem die Beständigkeit des Jetstreams an, einem sehr starken Wind in zehn Kilometern Höhe: Nimmt dieser immer den gleichen Weg, ändert sich das Wetter nicht und Hochdruckgebiete bleiben, wo sie sind. Das ist für Polarregionen fatal. Diese Beständigkeit soll auch für die mangelnde Schneedecke in Sibirien verantwortlich sein, das Verschwinden von Meereis und wie unterschiedlich die Temperaturen in Arktis und mittleren Breitengraden steigen. Der Klimawandel könnte also dafür sorgen, dass diese gefährlichen Hochdruckgebiete über Grönland immer gewöhnlicher werden.

Klimamodelle nicht akkurat genug

Durch die Beständigkeit des Jetstreams seien momentane Klimamodelle nicht genau genug. Tedesco weist darauf hin, dass ein bedeutender Teil der Eisschmelze daher gar nicht vorhergesagt werden könne. Und das sei nicht zu unterschätzen, denn Grönlands Eismasse enthält genügend gefrorenes Wasser, um den Meeresspiegel insgesamt mehr als sieben Meter steigen zu lassen. Daher sei es wichtig, die Änderungen der Hochdruckgebiete zu verstehen, um zu wissen, um wie viel diese Eismasse unsere Meeresspiegel steigen lassen kann.