Das Bild zeigt eine künstlerische Darstellung eines Kernfusions-Experiments. Darauf sieht man eine Kammer, in die von oben und von unten bläuliche Laserstrahlen eingeschossen werden. Die Laserstrahlen erhitzen die Wände der Kammer. So werden Röntgenstrahlen erzeugt, die auf eine Kugel mit fusionsfähigem Material im Inneren der Kamera treffen. Im Inneren der Kugel werden so Fusionsprozesse gezündet und Energie freigesetzt.
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Die USA haben kürzlich einen Meilenstein bei der Kernfusion erreicht. Wie realistisch sind Kernfusions-Kraftwerke auch bei uns?

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Kernfusion: Wann bekommen wir die unerschöpfliche Energiequelle?

Unerschöpflich, stetig, klimaneutral: Seit Jahrzehnten gilt die Kernfusion als ideale Energiequelle. Auch in Bayern und in Deutschland wird daran geforscht. Doch wie realistisch ist es, dass wir einmal Energie so erzeugen, wie es die Sonne tut?

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Einfach die Sonne im Miniaturformat nachbauen und all unsere Probleme bei der Energieversorgung wären gelöst – das scheint die Kernfusion zu versprechen. Seit Jahrzehnten forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der ganzen Welt daran, diese Energiequelle auch auf der Erde anzuzapfen: Nun scheint dies erstmals gelungen zu sein, nämlich im Dezember 2022 am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) im US-Bundesstaat Kalifornien. Die Forschenden haben es erstmals geschafft, mehr Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen herauszuholen, als sie reingesteckt haben.

Weltweit wird an Kernfusion geforscht, auch in Bayern

So eine positive Energiebilanz ist für ein Kraftwerk, das elektrischen Strom erzeugen soll, eine minimale Voraussetzung. Trotzdem ist ein Kernfusions-Kraftwerk, betonen auch alle Beteiligten am Experiment, weiterhin mindestens Jahrzehnte entfernt.

Doch nicht nur in den USA, auch in Bayern, Deutschland und Europa wird an der Kernfusion als Weg zur Energieerzeugung geforscht, und das seit Jahrzehnten. Wie realistisch ist es also, dass eines Tages ein Kernfusions-Kraftwerk unseren Strom liefert?

Energieerzeugung nach dem Vorbild der Sonne

Dass die Kernfusion Energie erzeugt, erleben wir alle jeden Tag: Denn unsere Sonne macht seit Jahrmilliarden nichts anderes, als in ihrem Inneren Kernfusion zu betreiben. Dabei verschmelzen im Inneren der Sonne Atomkerne – nämlich Wasserstoff-Kerne – zu Helium-Kernen. Weil die Helium-Kerne leichter sind als die Wasserstoff-Kerne, aus denen sie ursprünglich entstanden sind, wird bei diesem Prozess Energie freigesetzt. Das für uns sichtbare Endergebnis: Die Sonne scheint.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt würden diesen Prozess gerne nachbauen. Doch bislang ist ihnen das nur unkontrolliert gelungen, nämlich in Wasserstoffbomben. Zu deren Planung und Entwicklung wurde das Lawrence Livermore National Laboratory in den 1950er-Jahren überhaupt erst gebaut.

Kernfusion zu zivilen Zwecken und zur Energieerzeugung zu nutzen, setzt aber voraus, dass der Fusions-Prozess kontrolliert abläuft. Damit Atomkerne überhaupt miteinander verschmelzen, müssen die Forschenden extreme Bedingungen schaffen: Temperaturen von mehreren Millionen Grad Celsius beispielsweise. Jedes Kernfusions-Experiment braucht daher erst mal das, was es eigentlich freisetzen soll: Energie.

Experiment mit Laserstrahlen

Genau hier gelang der "Durchbruch", den das Lawrence Livermore National Laboratory nun verkünden konnte. In der Anlage wird eine Art Kugel aus fusionsfähigem Material – nämlich Deuterium und Tritium, also schwerer und überschwerer Wasserstoff – mithilfe von hochenergetischen Laserstrahlen zum Verschmelzen gebracht. Im Experiment erhitzten 192 Laser die nur wenige Millimeter große Brennstoffkammer auf mehr als drei Millionen Grad Celsius.

Rund zwei Millionen Joule an Laserenergie konnten dabei knapp drei Millionen Joule an freigesetzter Energie rausholen. "Wenn die Zahlen so stehen bleiben, und 2,1 Millionen Joule tatsächlich die Energie der gesamten Laserpulse, die synchron abgegeben wurden, meint, wäre dies in der Tat ein sehr beachtlicher, ja durchaus historischer, Erfolg", sagt Klaus Hesch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu diesem Ergebnis. Klaus Hesch merkt dazu aber auch an, dass die Ergebnisse dieses Experiments noch nicht bestätigt seien, soll heißen: Zunächst einmal muss das Experiment wiederholt werden. Auch die entsprechende Fachpublikation, von unabhängigen Experten begutachtet, steht noch aus.

Übrigens klingt zwei Millionen Joule - oder anders ausgedrückt: 2.000 Kilojoule - zwar nach viel, ist es aber nicht: Es entspricht ungefähr dem Energiewert einer handelsüblichen Tafel Schokolade.

Kernfusion unterm Strich immer noch nicht energieeffizient

Dazu kommt, dass die gesamte Anlage rund 300 Millionen Joule an Energie benötigte, um überhaupt die zwei Millionen Joule an Laserenergie zu liefern. Unterm Strich hat also auch dieser potenzielle Durchbruch weit mehr Energie gekostet, als er gebracht hat. Bei diesem Experiment handelte es sich zudem um einen einzelnen "Schuss" mit einem Laser. Ein Kraftwerk, das auf diesem Prinzip beruht, bräuchte voraussichtlich rund zehn solcher Laserschüsse pro Minute.

Daraus wird schnell ersichtlich: "Selbstverständlich hat man damit noch kein Kraftwerk", sagt Klaus Hesch. Das stimmt nicht gerade enthusiastisch, gerade angesichts der Tatsache, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits seit Jahrzehnten an der Kernfusion forschen. Auch bayerische und andere Einrichtungen in Deutschland arbeiten an der Verschmelzung von Atomkernen.

Kernfusions-Experiment
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Hoffnung in Energiefragen nährt gerade ein spektakuläres Experiment: die sogenannte Kern-Fusion nach dem Vorbild der Sonne.

Kernfusion Made in Bayern mit einem Start-up?

Ein Münchener Start-up, das gerne mithilfe der Kernfusion Energie erzeugen möchte, heißt Marvel Fusion. Es würde gerne ein Demonstrationskraftwerk bauen, das auf einem ähnlichen Prinzip beruht wie die Anlage am Lawrence Livermore National Laboratory, aber andere Atomkerne benutzt: Mithilfe von kurzen, hochintensiven Laserstrahlen sollen dort Wasserstoff-Kerne mit Bor-Kernen verschmelzen. Die Vorteile dabei wären: Erstens wäre dafür kein Tritium nötig, also überschwerer Wasserstoff. Das radioaktive Tritium kommt in der freien Natur auf der Erde nämlich nicht vor und müsste in künftigen Kernfusionsanlagen erst erzeugt werden. Zweitens würden dabei keine Neutronen freigesetzt, die in der Praxis widerspenstig sein können.

Das Unternehmen ist bereits Partnerschaften mit Industrieunternehmen eingegangen. Auch mit der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München will Marvel Fusion im Bereich der Laserforschung kooperieren. Derzeit sucht Marvel Fusion aber noch nach einem passenden Grundstück für sein Demonstrationskraftwerk. Auch hier gilt: Man darf eher in Jahrzehnten als in Jahren rechnen, bis das Start-up zeigen könnte, dass der Ansatz überhaupt funktioniert.

Deutschland und Europa wollen die Kernfusion mit ITER erreichen

Es gibt auch ein Kernfusions-Großprojekt, das bereits seit Jahrzehnten in der Planung und im Bau ist: ITER, englisch für International Thermonuclear Experimental Reactor. Ursprünglich hatten der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow und der damalige US-Präsident Ronald Reagan im Jahr 1985 die Idee zu einem gemeinsamen Kernfusions-Reaktor ausgetüftelt. Inzwischen sind 35 Staaten daran beteiligt, inklusive Deutschland im Rahmen der Europäischen Union.

Derzeitige Partner bei ITER sind die EU, China, Indien, Japan, Korea, Russland sowie die USA. Während des Baus übernimmt die EU 45,5 Prozent der Kosten, die übrigen ITER-Mitglieder ungefähr je 9,1 Prozent. Das meiste Geld davon fließt nicht als direkte Finanzspritze, sondern als Komponenten für die zukünftige Anlage und Gebäude. Optimistischen Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten auf mindestens rund 22 Milliarden Euro.

ITER ist noch lange nicht in Betrieb

Gebaut wird ITER im französischen Cadarache, aber fertig ist die gigantische Maschine noch lange nicht. Seit 2007 läuft der Bau, derzeit wird der eigentliche Reaktor montiert. Im Gegensatz zu den laserbasierten Verfahren setzt ITER auf Magnetfelder, um das fusionsfähige Material in einem sogenannten Tokamak – der die Form eines gigantischen Donut hat – einzusperren, zu erhitzen und zum Fusionieren zu bringen.

Das Ziel von ITER lautet, zehn Mal mehr Energie zu erzeugen, als man in die Maschine an Heizleistung hineingesteckt hat: 50 Millionen Watt an Leistung hinein, 500 Millionen Watt an Leistung heraus. Ob das klappt, werden alle Beteiligten frühestens ab 2035 erfahren. Doch erst kürzlich musste eingeräumt werden, dass der Zeitplan, das Projekt 2035 fertigzustellen, nicht zu halten sei.

Aber auch ITER ist kein Kraftwerk, sondern ein Forschungsreaktor. Der nächste Schritt sähe den Bau eines Demonstrationskraftwerks vor, bei dem dann tatsächlich die durch die Kernfusion erzeugte Energie in elektrische Energie umgewandelt werden würde. Bis so eine Anlage fertiggestellt ist, wird es noch mindestens Jahrzehnte dauern.

Warum ist der Traum der Kernforschung noch nicht ausgeträumt?

Obwohl klar ist, dass die Kernfusion prinzipiell funktioniert, erweist sich die praktische Umsetzung seit Jahrzehnten als teuer und widerspenstig. Warum halten Forschende und ganze Staaten daran fest, warum wollen Start-ups wie Marvel Fusion damit unsere Energieprobleme lösen? Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits wissen wir, dass die Kernfusion funktioniert – jeder Blick in den Himmel auf all jene leuchtenden Sterne, inklusive unserer eigenen Sonne, beweist es uns.

Andererseits bräuchte man nicht viel Material dazu – wenige Gramm an fusionsfähigem Material würden ausreichen, um ein Kraftwerk damit zu betreiben. Im Gegensatz zu Atomkraftwerken droht nicht die Gefahr einer Kernschmelze oder der Endlagerungsfrage. Die Abfallprodukte der Kernfusion sind keine klimaschädlichen Gase und sie sind nicht noch jahrtausendelang radioaktiv wie bei der Atomkraft. Und im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien ist sie nicht davon abhängig, ob die Sonne scheint oder ob gerade Wind geht. Ein Kernfusionskraftwerk würde auch mitten in der Nacht bei Flaute Energie erzeugen.

Ob wir diese Energiequelle, die fast zu schön klingt, um wahr zu sein, auch in der Praxis nutzen können, wissen wir heute noch nicht. Das ist genau das Problem: Seit Jahrzehnten heißt es, dass die Kernfusion nur noch wenige Jahrzehnte entfernt sei. Bis jetzt gibt es aber noch kein Kernfusions-Kraftwerk. Noch kostet die Kernfusion Zeit, Geld und – im wahrsten Sinne des Wortes – Energie. Deshalb kann die Kernfusion vielleicht in einigen Jahrzehnten ein Teil der Lösung unseres Energieproblems werden, aber auch das muss sie erst noch beweisen. Der US-amerikanische "Durchbruch" mag vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung sein, aber niemand weiß, wie viele Schritte auf dem Weg zum Ziel noch zu gehen sind.

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