Die linke Waagschale mit einem Liter Vollmilch im Tetra Pak ist leichter als ein roter Benzin-Kanister mit der Aufschrift ein Kilo CO2
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Guter Wert: Ein Kilo Milch hat einen Fußabdruck von weniger als einem Kilo Kohlendioxid

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Einfach am PC: Klimacheck auf dem Bauernhof

PC-Programme helfen Landwirten, wenn sie die Klimabilanz ihres Betriebes verbessern möchten. Sie sind anwenderfreundlich, aber noch nicht ausgereift. Manche Molkerei setzt bereits darauf, dass ihre Milchlieferanten das Klimacheck-Tool nutzen.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Was bringt mehr, den Güllebehälter abzudecken oder die Milchleistung pro Kuh zu steigern? Wie kann ich den Klima-Fußabdruck auf unter ein Kilo Kohlendioxid-Äquivalente pro Kilo erzeugter Milch senken? Wenn Landwirte die Daten ihres Betriebs in ein Klimacheck-Tool eingeben, können sie die größten Hebel für den Klimaschutz auf ihrem Betrieb ermitteln.

Klimacheck-Programm für Milcherzeugung

Landwirt Matthias Brauchle aus Leutkirch im württembergischen Allgäu testet für die Molkerei Hochland aus Heimenkirch im Landkreis Lindau ein Klimacheck-Programm für die Milcherzeugung. Er sitzt am PC und gibt Werte in das Online-Klimacheck-Formular der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft ein. Zum Beispiel die durchschnittliche Milchleistung seiner Kühe, die Mineraldünger-Mengen, die er im letzten Jahr eingekauft hat, wie oft er das Gras gemäht hat, wie alt seine Kühe sind, bevor sie geschlachtet werden.

Molkerei-Mitarbeiterin Anna Hopfenzitz betreut Brauchle und die anderen Pilotbetriebe beim Testen des Klimacheck-Programms. "Das große Ziel ist, das so anwenderfreundlich und einfach wie möglich zu gestalten, dass das natürlich später auch gerne verwendet wird."

Hoffnung: Klimaschutz rechnet sich

Die Betriebe werden keinen höheren Milchpreis bekommen, wenn sie den Klimacheck nutzen. Die Molkerei hofft vielmehr, dass sich der Klimaschutz auf dem Bauernhof rentiert. Hat sich bei den Pilotbetrieben, die das Programm seit ein paar Jahren testen, doch gezeigt: Ein Betrieb, der seine Klimabilanz verbessert, verbessert in den meisten Fällen auch die ökonomische Bilanz – sprich es rechnet sich für sie.

Die Firma Hochland hat sich einer Initiative von Unternehmen angeschlossen, die die Ziele des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, innerhalb ihres Betriebes umsetzen wollen. Dabei werden auch Treibhausgas-Emissionen der Lieferanten berücksichtigt. Deswegen will Hochland wie andere Molkereien auch, dass die Milchlieferanten ihren Betrieb einem Klimacheck unterziehen.

Einsparpotenziale: Dünger, Gülle, Fitness der Kühe

Landwirt Matthias Brauchle hat 65 Milchkühe, Wiesen und Äcker sowie eine Biogasanlage. Er weiß bereits: Je höher der Anteil der Gülle und je geringer der Mineraldünger-Anteil im Pflanzenbau, umso besser fürs Klima. Denn die Produktion von synthetischem Stickstoffdünger ist sehr energieaufwendig. Ein anderer großer Klimatreiber, die Lagerung des Wirtschaftsdüngers, fällt bei ihm nicht ins Gewicht: In der Biogasanlage ist der Güllebehälter dicht abgedeckt, es entweicht kein Methan in die Luft.

Methan: Der halbe Klima-Fußabdruck

Methan ist das zweitwichtigste Treibhausgas, heizt das Klima umgerechnet auf 100 Jahre 28-mal stärker auf als Kohlendioxid. Weil die Verdauung der Wiederkäuer Methan produziert und eine Kuh am Tag rund 100 bis 200 Liter Methan rülpst, geht rund die Hälfte des Klimafußabdrucks der Milchviehhaltung auf Methan zurück.

Beim Eintippen der Daten wird darüber hinaus deutlich: Die Milchleistung pro Kuh und Jahr und das Alter der Kühe sind relevant für den Fußabdruck. Es kommt darauf an, eine mittelhohe Milchleistung – unter Umständen reichen schon 7.000 Liter pro Kuh und Jahr - und eine möglichst lange - salopp gesagt - Lebensarbeitszeit der Kühe zu erreichen. Ein weiterer Punkt: Möglichst viel eiweiß- und energiereiches Futter von den Wiesen holen.

Weidehaltung unterbewertet

Die Klimabelastung, die durch Pflanzenschutzmittel und Saatgut entsteht, fällt in der Klima-Rechnung dagegen kaum ins Gewicht. Sogar die Kohlendioxid-Freisetzung durch die Dieselverbrennung spielt im Vergleich zu Methanrülpsern und zur Düngerfrage nur eine untergeordnete Rolle.

Insbesondere die Klimaleistung der Weidehaltung wird in dem Klimacheck bislang noch unterschätzt. Denn bei Weidehaltung ist nicht nur der Kohlendioxid-Ausstoß geringer, weil das Futter zum Beispiel nicht mit dem Traktor geborgen werden muss, es wird auch mehr Kohlenstoff im Boden fixiert und sogar die Methan-Freisetzung ist niedriger: Weil auf der Weide Kuhfladen und Harn nicht vermischt werden, entsteht aus den Exkrementen weniger Methan.

Noch nicht in der Rechnung: Klimabilanz des Bodens

Je nachdem, ob der Landwirt viel pflügt, oft Zwischenfrüchte anbaut, mit Gülle oder Kunstdünger düngt, speichern seine Böden mehr oder weniger Kohlenstoff als Humus oder sie entlassen den Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid in die Atmosphäre. Die Speicher-Potenziale des Bodens können die Klimabilanz eines Betriebes entscheidend beeinflussen. Doch dieser Aspekt taucht im Klimacheck-Tool nicht auf.

Nehmen wir zum Beispiel die Wasserbüffel, die Landwirt Matthias Brauchle zusammen mit vier Landwirten in einem wiedervernässten Moor bei Leutkirch hält. Als Hobby quasi. Er mag gar nicht daran denken, was rauskommt, wenn er die Wasserbüffel ins Klimacheck-Programm eingeben würde: "Die sind klimatechnisch eigentlich eine Vollkatastrophe." Denn sie legen kaum zu und produzieren in der Zeit jede Menge Methan. Dabei wäre die Nutzung des wiedervernässten Moores ja eigentlich eine Heldentat fürs Klima, denn nasse Moore speichern große Mengen CO2. Die Klimabilanz des Bodens soll in das Klimacheck-Tool aber noch integriert werden. Genau wie die Klimabilanz der grauen Energie, die in den landwirtschaftlichen Gebäuden steckt. Also der Energie, die für die Herstellung und den Transport der Baumaterialien notwendig war.

Klimacheck-Tools schauen nur auf die Klimabilanz

Eine weitere Schwachstelle der Klimacheck-Tools: Sie können nur Klima und Geld. Die anderen Herausforderungen, vor denen die Landwirte stehen: Mehr Tierwohl und Förderung der Biodiversität ignorieren sie kurzerhand. Auch den Aspekt Teller oder Trog: Bekommen Wiederkäuer Futtermittel, die auch für die menschliche Ernährung eingesetzt werden könnten, wie zum Beispiel Getreide, soll das künftig zu einer Abwertung führen.

Schließlich braucht es auch noch eine Vereinheitlichung der Programme von unterschiedlichen Anbietern auf wissenschaftlich fundierter Basis. Diese Forderung kommt von verschiedenen Seiten, auch von Werner Giselbrecht von der Molkerei Hochland in Heimenkirch: "Also salopp formuliert, uns fehlt das Pariser Urmeter." Es sei eine einheitliche Normung nötig, wie der Klima-Fußabdruck bei der Milchproduktion gemessen wird.

Pionierbetriebe erzielen günstige Werte

Werner Giselbrecht sagt, es habe ihn überrascht, wie gut die Pilot-Milchviehbetriebe von Hochland beim Klimacheck abgeschnitten hätten. Gut, das ist in der Regel ein Wert von unter einem Kilo CO2-Äquivalente pro Kilo Milch. Werner Giselbrecht: "Das ist Fluch und Segen zugleich. Fluch deswegen, weil wenn du eine schlechte Ausgangsbasis hast, erreichst Du natürlich leichter diese Reduktionsziele, als wenn du eine gute Ausgangsbasis hast."

Da kommt es jetzt natürlich auch entscheidend darauf an, ob sich die Verbesserungen der Klimabilanz – so wie von der Molkerei angenommen – für die Bauern auch finanziell rechnen. Das gilt vor allem für die meisten Effizienzsteigerungen, egal ob bei der Fütterung oder der Düngung. Der Bau einer Biogasanlage oder die Abdeckung des Güllebehälters ist jedoch nur fürs Klima ein gutes Geschäft, für den Betrieb in der Regel nicht.

Unterschiedliche Reaktionen bei den Landwirten

Die Molkerei hat das Klimacheck-Programm allen Milchlieferanten Anfang des Jahres bei Versammlungen vorgestellt. Landwirt Matthias Brauchle war dabei. Er erzählt, wie seine Berufskollegen darauf reagiert haben. "Wie überall gibt's da verschiedene Stimmen." Ein Teil der Milchbauern und Milchbäuerinnen würde resignieren. "Die sagen, ja jetzt kommt schon wieder was." Ein anderer Teil sehe den Klimacheck als Herausforderung um "zu beweisen, dass wir eigentlich ganz gut sind." Auch wenn es im Allgäu noch ausreichend regne, seine Kollegen im Schwarzwald zum Beispiel würden den Klimawandel bereits auf dem Betrieb spüren. "Und die, die es am eigenen Leib spüren, sind dann eigentlich für die Geschichte schon viel offener“, so Landwirt Matthias Brauchle aus Leutkirch.

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