Ein Mitarbeiter bedient in der Produktionshalle eine Maschine zur Verarbeitung von Metall.
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Ein Mitarbeiter bedient in der Produktionshalle eine Maschine zur Verarbeitung von Metall.

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Vier-Tage-Woche in Bayern: Zwischen Euphorie und Ablehnung

Erste Betriebe in Bayern setzen auf die Vier-Tage-Woche. Doch viele Unternehmer sind skeptisch. Die IG Metall drängt nun in der nordwest- und ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie erstmals auf das Vier-Tage-Modell. Die Diskussion nimmt Fahrt auf.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Wenn die Mitarbeiter von Manfred Hergert am Donnerstagnachmittag vom Gerüst steigen, verabschieden sie sich bereits ins Wochenende. Der Malermeister aus dem unterfränkischen Kitzingen hat im Sommer 2022 die Vier-Tage-Woche in seinem Betrieb eingeführt. Ein Vorschlag seiner Mitarbeiter war das. Nach einem Testlauf stand fest: Die Firma behält die Vier-Tage-Woche bei. "Bei meinen Jungs sind zwei Stück dabei, die letztes Jahr Vater geworden sind. Die sind froh, wenn sie mehr Zeit mit der Familie verbringen können", sagt Hergert.

Handwerker sieht Vorteile durch Vier-Tage-Modell

Der kleine Malerbetrieb hat die wöchentliche Arbeitszeit umgeschichtet. Die Angestellten arbeiten jetzt montags bis donnerstags jeweils zehn Stunden pro Tag. Der "halbe" Freitag, wie er in vielen Betrieben üblich ist, fällt weg. "Das hat für uns den Vorteil: Wir sparen uns an einem Tag die Fahrt- und Rüstzeiten", sagt Manfred Hergert. Vor allem im Handwerk ist zuletzt immer wieder von Betrieben zu hören, die auf eine Vier-Tage-Woche umstellen. Doch längst diskutieren auch andere Branchen darüber. Nun erhöht die Gewerkschaft IG Metall den Druck.

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Manfred Hergert hat in seinem Malerbetrieb im vergangenen Jahr die Vier-Tage-Woche eingeführt, auf Vorschlag seiner Mitarbeiter.

IG Metall drängt auf verkürzte Arbeitszeiten

In den anstehenden Tarifverhandlungen für die nordwest- und ostdeutsche Eisen- und Stahlindustrie drängt die IG Metall erstmals auf eine Vier-Tage-Woche. Grundlegend erhofft sich die Gewerkschaft von Vier-Tage-Modellen, dass sich Arbeit und Privatleben einfacher als bislang vereinbaren lassen. "Außerdem fördert eine intelligent gemachte Vier-Tage-Woche die Gesundheit und erhöht die Arbeitszufriedenheit und damit auch die Produktivität", sagt Horst Ott, Bezirksleiter der IG Metall Bayern.

Im Freistaat fordert die Gewerkschaft die Vier-Tage-Woche derzeit noch nicht. Doch Norbert Zirnsak von der IG Metall in Würzburg will das zukünftig nicht ausschließen: "Ich gehe davon aus, dass die Diskussion an Fahrt gewinnt." Im kommenden Jahr stehen Tarifverhandlungen für die bayerische Metall- und Elektroindustrie an. Wobei IG-Metall-Chef Jörg Hofmann kürzlich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" erklärte, die Vier-Tage-Woche dann voraussichtlich nicht fordern zu wollen. Die bayerische Metall- und Elektroindustrie umfasst mehr als 800.000 Beschäftigte. Das sind deutlich mehr als in der vergleichsweise kleinen Eisen- und Stahlindustrie.

Gewerkschaft hofft auf niedrigere Teilzeitquote

Das Modell, das die Gewerkschaft dort im Nordwesten und Osten umsetzen will, ist ein anderes als in dem kleinen Malerbetrieb von Manfred Hergert. Die wöchentliche Arbeitszeit seiner Mitarbeiter ist gleich geblieben, genauso der Lohn. Andere Betriebe reduzieren Stunden und Lohn. Die IG Metall hingegen fordert: 8,5 Prozent mehr Lohn und weniger Arbeitszeit. 32 statt 35 Stunden pro Woche.

"Die Vorteile einer Vier-Tage-Woche entfalten sich nur, wenn die Wochenarbeitszeit auch entsprechend reduziert wird – und zwar mit Lohnausgleich", sagt Gewerkschafter Horst Ott. Er erwartet zum Beispiel auch, dass bei einer Vier-Tage-Woche die Erwerbsquote von Frauen steigt. Wenn sich Arbeit und Familie besser vereinbaren lassen, sei es denkbar, dass die Teilzeitquote sinkt. Aus Sicht der Gewerkschaft braucht es kürzere Arbeitszeiten gerade weil viele Unternehmen händeringend Mitarbeiter suchen: "Eine Vier-Tage-Woche wird gegen den Fachkräftemangel sogar helfen", sagt Ott. Doch die Kritik an den Überlegungen ist groß.

Unternehmer würde lieber über Leistung diskutieren

Lediglich drei Kilometer vom Malerbetrieb Hergert entfernt befindet sich die Gießerei "Franken Guss" von Josef Ramthun. 650 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen. Es beliefert vor allem die Automobilindustrie. Geschäftsführer Ramthun zeigt eine Maschine, in der gerade Schwungräder für Kupplungen gefertigt werden. Anlagen wie diese müssten 24 Stunden überwacht werden. Sie liefen allerdings auch nicht schneller, wenn seine Mitarbeiter weniger arbeiten würden, sagt Ramthun: "Wir können nicht einfach in 80 Prozent der Zeit dasselbe schaffen, was vorher in 100 Prozent der Zeit notwendig war."

Die Angestellten in der Firma arbeiten im Drei-Schicht-System mit jeweils acht Stunden – fünf Tage pro Woche, manchmal auch an Samstagen. "Mit einer Vier-Tage-Woche kann ich mir den Betrieb nicht vorstellen", sagt Ramthun. Der Unternehmer ärgert sich auch über den Zeitpunkt der Diskussion. Seit Monaten kämpfe er mit gestiegenen Energiepreisen. Derzeit liege der Auftragseingang etwa 30 Prozent unter dem Vorjahr. "Wir reden mehr über Nicht-Arbeit als über Arbeit und Leistung", sagt Ramthun. Er bezweifle, dass sich Wohlstand mit verkürzten Arbeitszeiten erhalten lässt.

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Josef Ramthun hält nichts von einer Vier-Tage-Woche im produzierenden Gewerbe: "Wir reden mehr über Nicht-Arbeit als über Arbeit und Leistung."

Industrie: Kritik und erste Testläufe

Ähnlich sieht das der Unternehmerverband Stahl. "Es bleibt das Geheimnis der IG Metall, wie dieser Arbeitskräftemangel ausgerechnet durch eine Verknappung und Verteuerung der Arbeit ausgeglichen werden soll", hieß es Anfang September in einer Mitteilung.

Auch die Vereinigung Bayerische Wirtschaft wird deutlich. Die Forderungen in anderen Branchen wolle man nicht kommentieren. Doch für das produzierende Gewerbe in der Metall- und Elektroindustrie sei das Modell einer tarifvertraglichen Vier-Tage-Woche "utopisch", sagt Geschäftsführer Bertram Brossardt. Er befürchtet, dass Prozessabläufe komplizierter werden als bislang. Es bräuchte neue Schichtsysteme und Personal, "was in Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels schlichtweg nahezu unmöglich ist". Wenn einzelne Firmen im Zuge einer Vier-Tage-Woche produktiver werden, habe er nichts dagegen. Doch "ein flächendeckendes Einheitsmodell für alle Arbeitgeber" lehne er ab.

Tatsächlich gibt es inzwischen auch erste Industriebetriebe, die verkürzte Arbeitszeitmodelle testen. Beim unterfränkischen Messtechnikhersteller Wenzel dürfen die Angestellten selbst entscheiden: Sie haben die Möglichkeit, bei gleichem Lohn 36 Stunden an vier Tagen zu arbeiten anstatt vorher 37,5 Stunden an fünf Tagen. "Die Mitarbeiter sind auch nach 1,5 Jahren noch hoch motiviert, die Gesundheitsquote ist gestiegen und die Zahl der Bewerbungen hat sich verdreifacht", sagt Geschäftsführerin Heike Wenzel. Sie ist zugleich Präsidentin der IHK Aschaffenburg. 80 Prozent ihrer Mitarbeiter hätten sich inzwischen für die Vier-Tage-Woche entschieden.

Studie: Viele Arbeitnehmer wollen Vier-Tage-Woche

Fest steht: Zumindest bei vielen Arbeitnehmern stößt die Vier-Tage-Woche auf Anklang. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung kam kürzlich zu dem Ergebnis: Knapp 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich eine Vier-Tage-Woche mit reduzierter Arbeitszeit. Allerdings setzten knapp 73 Prozent der Befragten voraus, dass auch ihr Lohn gleich bleibt.

Wie einfach oder schwierig die Umstellung ist, dazu gibt es verschiedene Berechnungen und Analysen – in verschiedenen Ländern. Viel beachtet wurde zuletzt beispielsweise ein Versuch in Großbritannien, bei dem 61 Unternehmen zunächst ein halbes Jahr lang die Vier-Tage-Woche testeten. 56 Unternehmen wollten das Modell im Anschluss beibehalten. Demnach gingen die Krankheitstage während des Testzeitraums zurück. Die Zahl der Angestellten, die in dieser Zeit das Unternehmen verließen, ist gesunken.

Die Analyse nahmen unter anderem Forscher aus Boston und Cambridge vor. Allerdings beruhen die Ergebnisse auf Unternehmen, die sich freiwillig zur Teilnahme gemeldet hatten. Eine zufällige Auswahl gab es nicht. Was im Anschluss auch für Kritik sorgte.

Projekt soll Vier-Tage-Woche in Deutschland testen

In Deutschland ist im kommenden Jahr ein ähnlicher Versuch geplant. Die Unternehmensberatung "Intraprenör" organisiert ihn, gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation "4 Day Week Global". Letztere war auch an dem Projekt in Großbritannien beteiligt.

50 Unternehmen suchen die Organisatoren in Deutschland derzeit. Wobei es von Arbeitgeberseite auch hier Skepsis gibt. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft verweist darauf, dass sich die Unternehmen auch in Deutschland freiwillig melden können und für die Teilnahme Geld bezahlen. Die Stichprobe sei nicht repräsentativ. Von "Intraprenör" wiederum heißt es, man fungiere als Initiator. Die Durchführung der Studie erfolge durch die Universität Münster. Die Beratungsfirma habe "keinen Einfluss auf die Daten und damit auch keine Möglichkeit, die Ergebnisse der Studie in irgendeiner Form zu beeinflussen".

Vermehrte Nachfrage im Handwerk

Unabhängig von den möglichen Ergebnissen der Studie ist die Diskussion rund um neue Arbeitszeitmodelle in vielen Betrieben längst angekommen. Die Handwerkskammer für Unterfranken berichtet von vermehrten Anfragen an die dortige Rechtsberatung, wie sich Vier-Tage-Modelle umsetzen lassen. Allerdings liegen keine Zahlen vor, wie viele Betriebe sie bereits eingeführt haben.

Handwerker Manfred Hergert hat seine Entscheidung bislang nicht bereut. Die Arbeitsleistung seiner Mitarbeiter sei gleichgeblieben, die Rückmeldung vieler Kunden positiv. Doch bei aller Begeisterung wird auch er in ein paar Wochen wieder auf die Fünf-Tage-Woche umstellen – vorübergehend. Denn ein Problem bleibt: Im Winter wird es früher dunkel. Im Laternenlicht will er seine Mitarbeiter nicht aufs Gerüst schicken.

Die Gießerei Franken Guss in Kitzingen
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Vor allem Handwerksbetriebe testen bereits Vier-Tage-Modelle. Gewerkschafter könnten sich das künftig auch in Industriebetrieben vorstellen.

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