Medizinische Versorgung: Menschen auf dem Land abgehängt?
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14.03.2024 Sendung "mehr/wert": Einen Hausarzt auf dem Land zu finden ist schwer.

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Medizinische Versorgung: Menschen auf dem Land abgehängt?

Geschlossene Arztpraxen, leere Apotheken, verlassene Krankenhäuser: In Bayerns ländlichen Regionen steht es zum Teil schlecht um die medizinische Versorgung. Sind Menschen auf dem Land benachteiligt, wenn es um ihre Gesundheit geht?

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Manchmal sind es Altersgründe, doch meistens geht es ums Geld - wenn Praxen, Kliniken oder Apotheken schließen, ist das vor allem in ländlichen Gebieten ein echtes Problem. Was bedeutet das für die Menschen, die dort zu Hause sind?

Wird die Landbevölkerung medizinisch abgehängt?

Mitteleschenbach im Landkreis Ansbach: Es geht ruhig zu in dem 1.700-Einwohner-Dorf. Und bald wird es noch ruhiger. Denn schon in wenigen Wochen schließt Dr. Hans-Erich Singer aus Altersgründen seine Praxis. Er ist der letzte verbliebene Allgemeinarzt in der Gemeinde. Händeringend hat er nach einem Nachfolger gesucht, doch vergebens. "Im letzten Jahr waren drei oder vier Kollegen da, haben sich das angeschaut und haben dann gesagt: 'Nein, ich gehe dann doch lieber in die Stadt'", berichtet Singer.

Arzt: "Versorgungslage wird dünner"

Die Apotheke ist schon lange weg, jetzt dann auch der Arzt. Für die Menschen im Ort ein herber Schlag. Dabei sind laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern genügend Ärzte in der Region angesiedelt. Der hausärztliche Versorgungsgrad im Raum Gunzenhausen, wozu Mitteleschenbach nach der Bedarfsplanung gehört, liegt sogar deutlich über dem Soll, bei 111 Prozent.

"Aber vieles ist natürlich Statistik", sagt Singer und versucht, das Bild zu entzerren: "In Gunzenhausen sind 16 Hausärzte und Hausärztinnen niedergelassen. In Mitteleschenbach einer, in Merkendorf einer, in Wolframs-Eschenbach zwei. Das heißt, je weiter sie sich von den Mittelzentren entfernen, desto dünner wird dann die Versorgungslage."

Schwierigkeit, Ärzte für das Land zu begeistern

Gerade ältere Menschen haben es ohne Arzt vor Ort schwer. Und ohne Auto haben sie kaum eine Chance, sich bei chronischen Erkrankungen oder auch mal spontan versorgen zu lassen. Die Busfahrpläne im Ort sind überschaubar und keine echte Alternative.

Auch Bürgermeister und Gemeinde haben bei der Suche nach einem neuen Arzt geholfen. Dazu gibt es inzwischen eine Vielzahl an Förderprogrammen. So zahlt zum Beispiel der Freistaat Bayern eine Landarztprämie von bis zu 60.000 Euro oder fördert Medizinstudienplätze für künftige Landärzte. Gebracht hat das alles hier nichts.

"Ich habe natürlich mit der Niederlassungsberatung in Nürnberg immer ganz engen Kontakt gehabt, schon seit zwei Jahren", berichtet Dr. Singer. "Von dort habe ich die Zahlen, dass von zehn Interessenten für eine Niederlassung acht nach Nürnberg gehen, einer nach Erlangen – und ein Kandidat kann sich vorstellen, 'rauszugehen in die Peripherie."

Örtliche Krankenhäuser schließen oder werden umgewandelt

Besonders bitter: Auch die nahegelegene Klinik in Neuendettelsau ist seit Anfang des Jahres dicht. Aus finanziellen Gründen hat der Träger Diakoneo den erst vor wenigen Jahren neu errichteten Krankenhauskomplex geschlossen. Millioneninvestitionen in Stationen, die nun größtenteils leer stehen. Und nicht nur hier in Mittelfranken.

Auch anderswo in Bayern droht die Schließung von Krankenhäusern. Im niederbayerischen Mainburg im Landkreis Kelheim soll das örtliche Krankenhaus mit Notaufnahme und Intensivstation in ein erweitertes Gesundheitszentrum umgewandelt werden. Für viele Menschen dort ein Albtraum. Die Sorge ist, dass dann die stationäre Versorgung fehlt, dass es keine Chirurgie mehr im stationären Bereich gibt, keine Intensivstation, keinen Schockraum, keinen Herzkatheter mehr.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, betont im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, dass sich dringend etwas ändern müsse im Gesundheitssystem in Deutschland. Zum einen sei es wichtig, dass nicht jedes kleine Krankenhaus versuche, jede medizinische Leistung zu erbringen, sondern eine Spezialisierung stattfinde. Auf der anderen Seite sei es nötig, dass alle Menschen Zugang zu Notfallversorgung hätten.

Im Video: VdK-Präsidentin Verena Bentele im Interview

VdK-Präsidentin Verena Bentele im Interview
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VdK-Präsidentin Verena Bentele im Interview

Gesundheitszentren statt Krankenhäusern

Prof. Christian Lackner, der überall in Bayern Krankenhäuser berät und auch in Mainburg beteiligt war, sieht die Zukunft in erweiterten medizinischen Gesundheitszentren. Die sind für viele Standorte in Bayern geplant, auch in Mainburg. "Das erweiterte Gesundheitszentrum ist ein ganz wichtiger Player zukünftig auch in der Fläche."

Für die Bevölkerung bedeute das: Der Rettungsdienst sei weiterhin da. In Mainburg habe man auch noch Luftrettung rund um die Uhr, möglicherweise erweitere auch Ingolstadt in den Tagesrandzeiten, so Lackner. "Also der Rettungsdienst ist gesichert. Schwere Notfälle sind gut organisiert. Jetzt ist die Frage: Was haben wir noch vor Ort? Es wird zukünftig eine Bereitschaftsdienstpraxis geben. Es wird eine D-Arzt-Praxis für die Arbeitsunfälle dort geben. Es wird eine Anlaufposition rund um die Uhr – 365 Tage – für die leichteren Akutfälle geben", fügt Lackner hinzu. Allerdings gebe es kein vollwertiges Krankenhaus mit Notaufnahme und Intensivstation, so die Kritiker.

Die eigens gegründete Bürgerinitiative verweist darauf, dass die ärztliche Versorgung überall gleichwertig gewährleistet sein muss. In der Bayerischen Verfassung heißt es: "Der Staat (…) fördert und sichert gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land."

Auswirkungen auf die Rettungskräfte

In diesem Zusammenhang gibt es noch ein weiteres Problem: die oft langen Fahrzeiten der Rettungsdienste. Nach dem Bayerischen Rettungsdienstgesetz soll der Rettungsdienst überall in Bayern innerhalb von zwölf Minuten nach Alarm beim Patienten sein. Doch das klappt von Jahr zu Jahr schlechter. In Großstädten immerhin noch in 93,2 Prozent der Fälle. In ländlichen Gemeinden sank diese Quote in den vergangenen Jahren auf nur noch 73,9 Prozent.

Am Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der Universität München, das die Versorgung in Bayern plant, beobachtet man, dass die Rettungsdienste insgesamt vom Bürger immer häufiger beansprucht werden. "Die Situation wird angespannter werden", sagt Dr. Stephan Prückner, Leiter des Instituts für Notfallmedizin der LMU München. Das liege zum einen daran, dass, wenn ein Krankenhaus der Grundversorgung wegfalle, auch normale Patienten, die keine spezielle Behandlung brauchten, nicht mehr dorthin gebracht werden könnten.

So verlängern sich Fahrzeiten. "Insofern steht dieses Rettungsmittel dann auch für Schwerverletzte oder kritisch Kranke in der Zeit nicht zur Verfügung, in der man jetzt in das weiter entfernte Krankenhaus fahren muss." Und Prückner fügt hinzu: "Also wenn jetzt einzelne Häuser wegfallen, wird das sicherlich für den Rettungsdienst eine Mehrbelastung bedeuten, einfach durch eine längere Bindungszeit der Rettungsmittel."

Feuerwehr: "Dann kann es zu spät sein"

Auch bei der Mainburger Feuerwehr ist man in Sorge. Denn neben den alltäglichen Einsätzen bergen die Feuerwehrleute zum Beispiel auf der nahen Autobahn München-Regensburg immer wieder Schwerverletzte. Und diese kamen bis jetzt oft in die Notaufnahme im Mainburger Krankenhaus.

"Wenn da heute einer eingezwickt ist, und wenn ich eine Crash-Rettung machen muss, dann kann ich den in fünf Minuten rausschneiden, aber wenn er dann 40 Minuten ins nächste Krankenhaus hat, dann kann es zu spät sein", konstatiert Wolfgang Schöll von der Feuerwehr Mainburg.

Immer mehr Apotheken schließen endgültig

Im ländlichen Raum gibt es auch noch andere Probleme, was die medizinische Versorgung betrifft. Im niederbayerischen Rohr hat die einzige Apotheke am Ort zugemacht. Bürgermeisterin Birgit Steinsdorfer kann es noch gar nicht fassen: "Es ist ein herber Verlust für unsere Marktgemeinde. Es war trotz vieler Maßnahmen, Aktionen, Anrufe und Gespräche leider nicht möglich, einen Apotheker, der den Dienst hier übernimmt und als Filialleitung agiert, zu gewinnen." Allein im vergangenen Jahr haben in Bayern mehr als 100 Apotheken für immer geschlossen. Viele von ihnen auf dem Land.

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