04.02.2024, Nordrhein-Westfalen, Oberhausen: Im Werk Ruhrchemie bei OQ Chemicals in Oberhausen wird Gas abgefackelt.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Fabian Strauch

Deutsche Wirtschaft: "Mehr Probleme als nur das russische Gas"

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Deutsche Wirtschaft: "Mehr Probleme als nur das russische Gas"

Stagnation statt Wachstum. Warum kommt die deutsche Wirtschaft nach den vergangenen Krisenjahren immer noch nicht in Schwung? Ifo-Präsident Clemens Fuest erklärt bei BR24, vor welchen Herausforderungen die deutsche Wirtschaft steht.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Lieferketten-Probleme wegen der Corona-Pandemie, Inflation und die Energieumstellungen durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine: Keine guten Voraussetzungen für das Wachstum einer Wirtschaft in Europa. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Spanien, Polen oder Irland tut sich Deutschlands Wirtschaft jedoch besonders schwer. Für 2024 lautet die Prognose: Wachstum nahe null. Woran liegt das?

Ein Interview mit Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts und Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München. Für Fuest ist klar: Deutschland hat mehr Probleme als nur fehlendes russisches Gas.

BR24: Warum tut sich die deutsche Wirtschaft nach den vergangenen Krisenjahren so schwer, wieder in Schwung zu kommen?

Clemens Fuest: Für Deutschland war Gas aus Russland besonders wichtig. Und generell ist Gas für die deutsche Industrie wichtiger als für andere Länder. Das hat damit zu tun, dass wir zum Beispiel sehr viel Chemieindustrie haben, chemische Grundstoffindustrie, die viel Gas verbraucht, Stahl-Industrie, Teile der Metallindustrie, Papierindustrie. Die deutsche Wirtschaft ist etwas energieintensiver als die Wirtschaft anderer Länder. Und dadurch sind wir etwas mehr davon betroffen.

BR24: Wirtschaftsminister Robert Habeck nennt insbesondere auch die Abhängigkeit Deutschlands vom Welthandel als Grund für die aktuell schlechte Wirtschaftslage. Ist das richtig?

Fuest: Ja, die globale Industriekonjunktur läuft nicht so gut. Und das betrifft uns mehr als andere, weil bei uns die industrielle Wertschöpfung eine größere Rolle spielt. Wenn es der Industrie weltweit nicht so gut geht, wenn da die Nachfrage nicht so stark ist, dann wird Deutschland mehr getroffen als andere Länder. Genauso ist es umgekehrt. Wenn die weltweite Industriekonjunktur anzieht, dann profitiert Deutschland davon mehr als andere Länder.

Im Video: Bürokratie, Habeck, Sanktionen - Was macht die deutsche Wirtschaft kaputt?

"Wir haben viel mehr Probleme als nur das russische Gas"

BR24: Ein anderes Problem sind die immer noch hohen Energiepreise. Es gibt Stimmen, die Russland-Sanktionen für billiges Gas zu lockern. Würde es der deutschen Wirtschaft dadurch wieder besser gehen?

Fuest: Wenn Russland wieder an den Westen Gas liefern würde, würden sicherlich die Gas-Preise in Europa sinken. Wir haben allerdings mittlerweile auf andere Quellen umgestellt. Und es ist ja so, dass das russische Gas und vor allem das Öl nicht weg ist. Es wird einfach an Indien und China geliefert. Die kaufen dann weniger Öl bei Anbietern, die uns Öl liefern. Das heißt, das Ganze ist auch ein bisschen ein Kreislauf. Also die Vorstellung, dass die Probleme der deutschen Wirtschaft verschwinden würden, wenn man die Gaspipelines wieder öffnen würde, wenn wieder Gas geliefert würde, die Vorstellung ist sicherlich falsch. Wir haben viel mehr Probleme als nur das russische Gas, das nicht mehr da ist.

BR24: Deutschland möchte ja nicht nur weg vom russischen Gas, sondern auch weg von Kohleenergie kommen. Kann beides zusammen die deutsche Wirtschaft stemmen?

Fuest: Es ist derzeit noch nicht klar, was die Kohle eigentlich ersetzen kann. Geplant ist, dass insbesondere Gaskraftwerke ausgebaut werden und dass die dann, wenn erneuerbare Energien ausfallen, diese Grundlast übernehmen. Es gibt eben Tage, an denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Und die Frage ist: Woher kommt dann der Strom? Da muss man eben Speicherkapazitäten ausbauen. Man muss Gaskraftwerke bauen, die dann später mal mit Wasserstoff laufen können. Das ist nicht so ganz einfach, weil das ja Gaskraftwerke sein werden, die einen großen Teil der Zeit einfach stillstehen. Dann ist natürlich die Frage: Lohnt sich das eigentlich für einen Investor?

Bildrechte: BR/Martina Bogdahn
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts und Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München

Ifo-Präsident: "Kohleausstieg bis 2030 nicht realisierbar"

BR24: Die Bundesregierung hat einen Plan für eine Marktordnung vorgelegt, bei der solche Kapazitäten von Kraftwerken bezahlt werden und bereitstehen, wenn erneuerbare Energien gerade nicht liefern können. Könnte es damit klappen?

Fuest: Ich denke, es ist jetzt schon absehbar, dass diese ehrgeizigen Pläne, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen, nicht realisierbar sind. Das Ganze wird länger dauern. Ich sehe jetzt nicht die Gefahr, dass wir wirklich Blackouts bekommen, weil es, glaube ich, eher so sein wird, dass man einfach die Kohlekraftwerke länger laufen lässt. Es besteht eben viel Unsicherheit, wie das Ganze aussehen wird. Und viele, gerade Unternehmerinnen und Unternehmer, fürchten sich vor den hohen Kosten. Denn diese Gaskraftwerke, die Speicherkapazitäten, die da aufgebaut werden müssen, die werden viel Geld kosten. Erneuerbare Energien sind nicht so billig, wie manchmal behauptet wird.

BR24: Und dennoch ist der Ausbau von erneuerbaren Energien ja wichtig?

Fuest: Die Abhängigkeit von Russland zeigt ja, dass es schwierig ist, wenn man in der Energiepolitik von Despoten oder überhaupt von anderen Ländern abhängig ist. Und die erneuerbaren Energien haben natürlich den Vorteil, dass sie diese Abhängigkeit reduzieren. Wir haben als Industrieland nur das Problem, dass wir allein mit heimischen erneuerbaren Energien nicht auskommen werden. Das ist das Problem. Wir werden also auch in Zukunft Gas und dann später mal grünen Wasserstoff importieren müssen. Insofern werden wir von diesen Abhängigkeiten nicht so ganz wegkommen.

"Mehrarbeit lohnt sich für mittlere bis niedrige Einkommen nicht"

BR24: Ein anderes Problem für die deutsche Wirtschaft ist der demografische Wandel, also der zunehmende Rückgang von Erwerbspersonen in Deutschland. Gleichzeitig arbeiten heute in der Bundesrepublik 46 Millionen Menschen, so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Die Unternehmen klagen aber schon jetzt über Fachkräftemangel. Wie kann das sein?

Fuest: Ja, wir haben sehr viele Erwerbstätige. Aber wenn wir uns fragen: Wie viele Stunden arbeiten die eigentlich? Dann muss man sagen, dass die individuelle Arbeitszeit so stark zurückgegangen ist, dass das diesen Zuwachs an Erwerbstätigen seit 1990 vollständig auffrisst. Das erklärt, warum wir zwar eine Rekordzahl von Erwerbstätigen haben, aber trotzdem Fachkräftemangel. Hinzu kommt, dass der Anstieg an Erwerbstätigen vor allem ein Anstieg der Erwerbstätigkeit der sogenannten Zweitverdiener ist. Das sind häufig die Frauen. Die haben vorher vielfach zu Hause gearbeitet und haben sich um die Kinder gekümmert. Aber ein Teil der zusätzlichen Erwerbstätigen kümmert sich jetzt eben auch um die Kinder. Das heißt, es ist ja auch Kinderbetreuung ausgebaut worden. Wenn man das noch berücksichtigt, dann sehen wir, dass für den Rest der Wirtschaft eben schon heute weniger Arbeit zur Verfügung steht.

BR24: Sehen Sie noch andere Gründe für den Fachkräftemangel?

Fuest: Viele Menschen arbeiten lieber Teilzeit als Vollzeit. Das ist in einem freien Land auch in Ordnung. Aus ökonomischer Sicht besteht das Ziel nicht darin, nur maximal viel zu arbeiten. Aber wenn man weniger arbeitet, muss man eben auch auf Dinge verzichten, auch als Volkswirtschaft. Und das passiert, wenn immer mehr Menschen nur Teilzeit arbeiten. Wir haben in Deutschland ein Problem, das die Teilzeit fördert: In bestimmten Einkommensbereichen lohnt sich Mehrarbeit nicht wirklich. Wenn wir Menschen betrachten, die mittlere bis niedrige Einkommen haben – gar nicht mal unbedingt Bürgergeld – und dann Wohngeld, Kinderzuschlag und so weiter dazu kriegen: Wenn diese Menschen dann mehr arbeiten, verlieren sie diese Sozialtransfers. Und deshalb haben sie dann netto häufig wenig in der Tasche.

"Ohne technische Entwicklung und Automation keine gute Zukunft"

BR24: Bei all den Schwierigkeiten: Wie kann Deutschland dieser sich verschärfenden Arbeitskräfteknappheit noch beikommen?

Fuest: Ich würde so weit gehen zu sagen, dass wir keine gute Zukunft in diesem Land haben können, wenn wir nicht verstärkt auf technische Entwicklung und Automation, also Arbeitskräfte einsparen, setzen. Wir haben eine Fachkräfteknappheit, die sich ja erst noch dramatisch verschärfen wird. Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung, in der die Boomer in Rente gehen. Und Technologie, darunter auch künstliche Intelligenz, ist ein zentraler Faktor. Wir müssten da viel, viel mehr investieren.

BR24: Danke für das Gespräch.

Dieser Artikel ist erstmals am 10. März 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!