Einige große Plattformen bieten nun mehr Optionen bei ihren Algorithmen an.
Bildrechte: BR/Vera Johannsen

Einige große Plattformen bieten nun mehr Optionen bei ihren Algorithmen an.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Neues EU-Gesetz in Kraft: Mehr Macht für Internet-Nutzer?

EU-Bürger werden schon bald mehr Einfluss darauf haben, was ihnen in sozialen Netzwerken angezeigt wird. Konkret können sie etwa personalisierte Empfehlungen nahezu abschalten. Für einige Experten bleibt der Nutzen aber fraglich.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

So unterschiedlich Social-Media-Plattformen auch sein mögen, ein Ziel vereint sie und lenkt ihre Algorithmen: Die Nutzer sollen möglichst viel Zeit bei ihnen verbringen. Die Nutzer sollen also möglichst viel sehen, was sie interessiert, zum Lachen bringt oder eben empört - und sie so bei der Stange hält.

Künftig sollen die Nutzer von sozialen Medien in der EU mehr Einfluss darauf haben, welche Videos, Fotos oder Text-Posts die Plattformen ihnen anzeigen. Vor allem sollen sie Option haben, sich gegen einen durch Algorithmen personalisierten Newsfeed zu entscheiden. Große Plattformen wie Facebook, Instagram, TikTok sowie Google haben nun Anpassungen ihrer Angebote angekündigt, um die neuen EU-Vorgaben einzuhalten.

Digitale-Dienste-Gesetz kommt

Bisher war und ist schwer bis gar nicht erkennbar, wie genau die Algorithmen wählen, was wir warum sehen. Die genauen Auswahlmechanismen gelten als Geschäftsgeheimnis eines jeden Netzwerks. Mal bestimmt die Zahl der Likes, Kommentare oder Shares darüber, welcher Post erfolgreich wird, mal wird die Verweildauer des Users bei Videos genutzt, um herauszufinden, zu welchem Thema weitere Videos angezeigt werden sollten. Mit der Zeit können die Empfehlungsmechanismen sich zudem ändern, wenn etwa Facebook oder Instagram dem Erfolg von TikTok nacheifern möchten.

Die Europäische Union will nun dem User mit dem Digitale-Dienste-Gesetz mehr Macht darüber geben, was er in sozialen Netzwerken zu sehen bekommt. Erste Regelungen dazu treten ab Freitag in Kraft. Etwa sollen gerade große Dienste stärker verpflichtet werden, den Usern besser zu erklären, wie ihre Algorithmen Inhalte auswählen. Auch müssen sie bestimmte Inhalte wie Hassreden schneller entfernen, jährlich Risikobewertungen zu Themen wie Desinformationen abgeben und Maßnahmen gegen die Gefahren ergreifen.

Als große Dienste gelten Plattformen mit als 45 Millionen aktiven Usern pro Monat. Aktuell sind dies laut EU: Alibaba Ali Express, Amazon Store, Apple App Store, Bing, Booking.com, Facebook, Google Play, Google Maps, Google Shopping, Google-Suche, Instagram, Linkedin, Pinterest, Snapchat, TikTok, Twitter (X), Wikipedia, Youtube und Zalando.

User bekommen neue Option

Neben mehr Informationen verlangt eine weitere Vorgabe des Digitale-Dienste-Gesetzes jedoch durchaus noch mehr: Die großen Plattformen müssen ihren Usern demnach auch Alternativen zu Empfehlungssystemen anbieten, die Inhalte über „Profiling“, also das Sammeln persönlicher Daten wie Kaufkraft, Vorlieben und Standort, sortieren. Der Nutzer muss also eine fast nicht oder weniger personalisierte Version von TikTok oder Instagram wählen können.

Auch darauf haben einige Big Player jetzt reagiert. So soll es bei TikTok künftig möglich sein, sich Videos nicht nach persönlichen Präferenzen anzeigen zu lassen. Heißt: Statt einer auf den einzelnen User, sein Nutzungsverhalten und seine Interessen zugeschnittenen Abfolge von Videos, gibt es eine Video-Abfolge, die schlicht weltweit und lokal beliebte Videos anzeigt. Zudem soll personalisierte Werbung bei Nutzer unter 16 abgeschafft sowie die Melde- und Sperr-Funktionen transparenter werden

Auch die Meta-Plattformen Facebook und Instagram reagieren. Dort hatte man schon vor längerem wieder eingeführt, dass User sich etwa die Bilder-Posts bei Instagram in chronologischer Reihenfolge anzeigen lassen können, statt in einer vom Algorithmus priorisierten. Im Zuge des neuen EU-Gesetzes will Meta nun mehr Informationen zu seinen Algorithmen und seinen Werbeanzeigen schaffen - und die Option auf einen chronologischen Feed auch auf bei Storys und Reels ausweiten. Auch hier sieht der Nutzer dann die Inhalte nacheinander zeitlich geordnet, unabhängig davon, wie oft er die Posts der einzelnen Accounts zuvor gelikt, kommentiert und abgesehen hat.

Suchmaschinen-Riese Google verspricht angesichts dessen mehr Transparenz zu seinen Algorithmen, Moderations-Entscheidungen und personalisierter Werbung für Suche, Youtube und Co. Ein neues "Transparency Center" sowie Transparenzberichte zu den Algorithmen, die die Suchergebnisse filtern und sortieren, und Community-Regeln sollen hier für mehr Klarheit sorgen. Die Personalisierung der Suchergebnisse bei Google lässt sich ohnehin bereits deaktivieren. Faktoren wie Sprache und Standort gehören jedoch nicht zu der Personalisierung, die sich ausschalten lässt, wie Google angibt. Bei Youtube ist es möglich, den eigenen Such- und Wiedergabeverlauf zu löschen und anschließend deaktivieren beziehungsweise pausieren, um zumindest weniger personalisierte Vorschläge zu erhalten, wie Google hier erklärt.

Optionale Optionen

Sowohl bei Google, als auch bei den Meta-Töchtern und TikTok sind diese weniger personalisierte Feed-Einstellungen jedoch letztlich optional. Gänzlich unpersönlich sind die alternativen Feeds natürlich nicht, da der User ja letztlich über persönliche Präferenzen entscheidet, wem er bei Instagram oder Facebook folgt beziehungsweise, weil bei TikTok oder Google wohl teils weiterhin zum Beispiel der Standort einbezogen wird.

Bleibt die ketzerische Frage: Was bringt’s? Einige sehen in der Regelung unter anderem einen Versuch, die Suchtgefahr der sozialen Netzwerke zu mindern. Tatsächlich verbringen viele User dort viel Zeit, sehen teils immer mehr von den immer gleichen Inhalten, steigern sich vielleicht immer tiefer in gewisse Themen.

Experten skeptisch

Dennoch fürchtet so mancher Experte, dass die neue Regelung hierfür wenig bis nichts bringt. Deutschlandfunk-Nova-Netzreporterin Martina Schulte drückt das so aus: „Wir müssen uns fragen, wie zielführend die Wahl zum Abschalten des Tiktok-Suchtfaktors ist. Das ist so, wie wenn wir einem Drogensüchtigen die Möglichkeit geben, die Telefonnummern seiner Dealer im Handy zu verbergen.“ Für sie ist entscheidend, wie viele Nutzer diese Option überhaupt wahrnehmen werden.

Casey Newton schlägt in einem Beitrag bei "Platformer" in eine ähnliche Kerbe: Untersuchungen zeigen demnach, dass meisten User die personalisierten Feeds bevorzugen. Der Wunsch nach chronologischen Feeds sei eher eine Art Nostalgie nach dem Internet von früher. In Wahrheit hätten User über die Jahre immer wieder die Option bekommen, zu chronologischen Feeds zurückzukehren. "Immer und immer wieder sehen wir, dass sie es vermeiden", so Newton. Er sieht daher auch keinen Grund, den sozialen Netzwerken das Vorhalten eines chronologischen Feeds gesetzlich vorzugeben. Ob es ein Gesetz braucht, das ein Recht einführt, das am Ende gar nicht viele in Anspruch nehmen, bleibt am Ende aber wohl eine eher philosophische Frage.

Amazon und Zalando klagen

Alle großen Plattformen werden zum Start ohnehin nicht die neuen EU-Vorgaben umsetzen: Sowohl Amazon als auch Zalando klagen derzeit gegen das Gesetz. Beide argumentieren ähnlich, dass sie keine der "großen Plattformen" seien, für die das Gesetz gedacht sei, etwa weil sie keine schädigenden oder illegalen Inhalte bereit auf ihrer Website halten (Zalando) beziehungsweise ihr Geld nicht mit dem Verbreiten von Informationen, Meinungen und Werbung (Amazon) verdienen. Das Reise-Portal Booking.com hat dagegen angekündigt, künftig mehr Transparenz bei Werbeanzeigen schaffen zu wollen.

Grundsätzlich drohen Firmen bei Verstößen hohe Strafzahlungen von bis zu sechs Prozent des globalen Umsatzes. Im Fall von Amazon wären dies - mit Blick auf das vergangene Jahr - mehr als 28 Milliarden Euro.

Mit Informationen von AFP

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!