Der Journalist, Sprachkritiker und Sachbuch-Autor Wolf Schneider
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Journalist und Sachbuch-Autor Wolf Schneider

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Wolf-Schneider-KI: Macht uns eine App zu besseren Journalisten?

Generationen von Journalistenschülerinnen und -schülern lernten von Wolf Schneider guten Stil. Vergangenes Jahr starb der legendäre Sprachkritiker. Jetzt ist er wieder da – in Form einer KI, die Texte redigiert und umschreibt. Wir haben sie getestet.

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Ernest Hemingway empfahl, im Stehen zu schreiben. So würden einem wie von selbst kurze Sätze einfallen. Ein recht simpler Weg zum guten Text, allerdings auch ein unbequemer. Inzwischen geht es wesentlich gemütlicher. Krumm vor dem Laptop zum Beispiel. Die Reporterfabrik, eine Journalistenschule aus Hamburg, hat eine Künstliche Intelligenz programmiert, die Texte redigiert. Und das nach den Regeln von Wolf Schneider. Kurz ist da Trumpf.

Der Sprachpapst als Textprogramm

Schneider war deutschlandweit als "Sprachpapst" bekannt. Diesen Ruhm verdankte er diversen Ratgebern ("Deutsch für Profis", "Deutsch für Kenner", "Deutsch fürs Leben" etc.) und Kolumnen, in denen er erklärte, was guter Stil ist. Und außerdem der Tatsache, dass er als langjähriger Leiter der Henri-Nannen-Schule Generationen von Journalistinnen und Journalisten prägte. Das "akademisch Verblasene" war sein Feindbild, "Sprachmoden" lehnte er ab. Umgangssprache und Anglizismen erst recht. Und Gendern sowieso. Kurz, prägnant und präzise sollte es zugehen im Text. Und deutsch, deutsch, deutsch. Und der Meinung ist selbstverständlich auch die Wolf-Schneider-KI, der digitale Wiedergänger des Sprachkritikers.

"Der Satzbau ist oft komplex und unübersichtlich", schimpft sie, als man ihr einen (ok, einen meiner) Artikel zu lesen gibt. "Es gibt viele lange Sätze, die den Lesefluss behindern", giftet sie gegen einen (meiner) anderen. "Einige Sätze könnten kürzer und prägnanter formuliert werden, um den Text noch einfacher lesbar zu machen", quengelt sie bei einem dritten. Zufrieden ist sie selten bis nie. In anderen Worten: Sie nervt. Cordt Schnibben nennt sie "Muse".

Die Resonanz ist bislang positiv

Ganz unparteiisch ist er nicht. Er hat die KI schließlich mitentwickelt. Schnibben, früher Redakteur beim "Spiegel", leitet seit einigen Jahren die Reporterfabrik in Hamburg, eine Schule für Online-Journalismus. Als im Herbst letzten Jahres der Hype um ChatGPT Fahrt aufnahm, habe er viel mit der KI experimentiert, erzählt er im Interview mit dem BR. Ob sie denn die Sprachregeln von Wolf Schneider kenne, habe er sie gefragt. "Und zu meiner Überraschung ratterte dann ChatGPT die 50 wichtigsten Sprachregeln von Wolf Schneider runter." Die Idee zur Wolf Schneider-KI war geboren.

Seit Freitag ist die App online. In den letzten Wochen haben bereits über 700 Testpersonen mit dem Programm trainiert. Über 5000 Texte hat die KI analysiert und umgeschrieben. Mit dem Ergebnis seien die allermeisten sehr zufrieden gewesen, sagt Schnibben. 93 Prozent der User würden sie wieder benutzen, 70 Prozent sogar dafür zahlen. Vor allem in klassisch journalistischen Formaten wie Reportage, Nachricht oder Bericht, sei die Rückmeldung sehr positiv gewesen.

Was die KI kann ...

Gut kam auch das Feedback an, das die KI anbietet. Sie schreibt nämlich Texte nicht nur Satz für Satz um, sondern ist auch in der Lage zu begründen, wieso sie einen Satz so oder so umformuliert hat. Außerdem bietet sie auf Nachfrage weitere Formulierungsalternativen an. Der User bleibe "Herr des Verfahrens", betont Schnibben. Die Arbeit mit dem Programm sei wie ein "Zwiegespräch mit einem sehr kollegialen, gebildeten Kollegen oder einer Kollegin". Man bekomme Verbesserungsvorschläge, ob man sie annehme, entscheide man aber selbst.

Das gilt auch für die inhaltlichen Anmerkungen, die die KI macht. Gruselig ist es, wie präzise das Programm – vor allem in berichthaften Texten – diejenigen Punkte identifiziert, die ein bisschen Vertiefung verdient hätten. Man erfahre zu wenig über die musikalische Vision Simon Rattles, kritisiert es einen meiner Artikel über den Amtsantritt Rattles als Chef des BR-Symphonieorchesters. Und auch die Debatte über den neuen Münchner Konzertsaal komme zu kurz. "Einige Hintergrundinformationen über den neuen Münchner Konzertsaal und die politischen Herausforderungen, mit denen das Projekt konfrontiert ist, könnten dem Text mehr Kontext geben", gibt die KI zu bedenken. Ich hatte mich in dem Fall für eine Verlinkung zu einem anderen Artikel entschieden. Aber: Alles berechtigte Punkte.

Was die KI nicht kann ...

Allerdings funktioniert die KI nicht in allen Aspekten so gut. Sie liebt Kürze und Klarheit. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings tut sie das so leidenschaftlich absolut, dass man ihren Texten eine gewisse Monotonie nicht absprechen kann. Subjekt, Prädikat, Objekt – diesen Rhythmus betet die sie mit fast schon neurotischer Beharrlichkeit runter. Mit sprachlich kreativeren Texten tut sie sich generell schwer. Adjektive hasst sie. Das ist an sich völlig okay, wird aber bei Rezensionen durchaus zum Problem. Eine Musikkritik ohne Adjektive ist sicher eine Herausforderung, ob eine lohnende steht auf einem anderen Blatt. Mir empfiehlt die KI außerdem, doch noch ein paar rhetorische Fragen in meinen Text einzubauen. Würde die Sache "lebendiger" machen. Ihr Ernst?

Cordt Schnibben lacht, als er das hört. Er sehe die Sache ja ähnlich: Die KI habe ihre Grenzen. "Je subjektiver ein Text ist, desto weniger kann sie helfen." Das zeigten auch ihre Schwierigkeiten mit Analogien oder Metaphern. Man habe ihr etwa eine Reisereportage vorgelegt, in der die Autorin sich vorstellt, ein Poster zu betreten. Die KI nahm sie beim Wort und schrieb einen Text über eine Posterbegehung. "Als irre Fiktion ist das schon wieder gut, aber als Reisereportage nicht brauchbar", so Schnibben. So ist das.

Probleme mit Zitaten

Eine zweite Schwäche der KI wiegt noch schwerer, gerade in journalistischen Texten. Sie scheitert an wörtlicher Rede. Auch hier redigiert sie also fröhlich drauflos. Schlanker geht schließlich immer. Zwar mag der Wunsch nach ein bisschen mehr Prägnanz bei dem ein oder anderen Politikerzitat verständlich sein. Aber natürlich verbietet sich sowas von selbst. Und genauso verbietet es sich, Zitate einfach zu erfinden. Auch das tut die KI. Sie verwandelt Paraphrasen in direkte Rede und legt den Zitatgebern so Dinge in den Mund, die sie nie gesagt haben.

Man kenne das Problem und arbeite momentan an seiner Lösung, erzählt Schnibben. Er kann dem jedoch auch etwas Tröstendes abgewinnen. Solche Probleme zeigten, dass die KI nicht mehr sei als ein Werkzeug. Hilfreich schon, aber nur, wenn es sinnvoll bedient werde. Dass die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten durch KI grundsätzlich bedroht wird, glaubt er deshalb nicht. Wohl aber, dass sie zur journalistischen Arbeit in Zukunft dazugehört. Schnibbens Prognose: "Die KI wird nicht Journalisten ersetzen, sondern die KI wird Journalisten ersetzen, die keine KI benutzen."

Und was sagt die KI zu diesem Text?

Natürlich kann ein Text wie dieser nicht enden, ohne nicht noch einmal die Wolf-Schneider-KI zu konsultieren. Wie also gefällt ihr der Artikel? Überraschende Antwort: Gut, im Großen und Ganzen zumindest. Er basiere weitestgehend auf den Schreibregeln von Wolf Schneider. "Er ist klar und verständlich, einfach und prägnant geschrieben." Nur eines fehlt der KI: Ein bisschen humorvoller wäre schön! Vorschläge? Keine. Naja. Gar zu dröge kann es nicht gewesen sein, wenn Sie es bis hierhin geschafft haben.

Die Wolf-Schneider-KI ist über die Website der Reporterfabrik erreichbar. Um sie zu nutzen, muss man einen Account erstellen. Die Verwendung ist kostenpflichtig. Für 5 Euro kann man 200.000 Zeichen überarbeiten lassen.

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