Frontansicht der Humboldt-Universität zu Berlin
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Eine bessere Universität? Ein Institut reformiert sich selbst

Es liegt was im Argen im deutschen Wissenschaftsbetrieb. Die Arbeitsbedingungen sind oft schlecht. Viele suchen ihr Heil im Ausland. Kann man da was machen? Kann man, sagt ein Institut an der HU Berlin, das sich im Alleingang reformieren will.

Über dieses Thema berichtet: Die Kultur am .

Schon ironisch. Da wird seit Jahren über eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) diskutiert, als wäre es der heilige Gral, mit dessen Hilfe allein der deutsche Unibetrieb zu retten ist. Da zermartert man sich im Bildungsministerium (BMBF) das Hirn, wie man alle Interessen unter einen Hut bringen kann – die der Unileitung, der Professorinnen und Professoren, des Mittelbaus und, ja, natürlich auch der Parteien, die dem Ganzen im Parlament letztlich zustimmen müssen. Da werden Gesetzesnovellen geschrieben und nach Protesten wieder zurückgezogen. Da probiert man immer wieder die Quadratur des Kreises – bis jetzt erfolglos.

Und dann kommt ein Institut daher und sagt: Reform? Kein Problem, lass selber machen!

Auflösung des Lehrstuhlprinzips

Ganz so sei das natürlich nicht, betont Tobias Rosefeldt im Interview mit der BR. "Ich glaube aber, dass es verschiedene Stellschrauben gibt und dass es wichtig ist, an allen zu drehen." Rosefeldt ist Philosophieprofessor an der HU in Berlin und seit kurzem Teil einer Art akademischen Graswurzelbewegung. Von einer "Reform von unten" spricht er selbst. Vor etwa einer Woche hat sein Institut beschlossen, das in Deutschland hochheilige Lehrstuhlprinzip abzuschaffen. Zumindest in einer bestimmten Hinsicht.

In Berlin will man nämlich die Mitarbeiterstellen von den Professuren lösen, denen sie normalerweise zugeordnet sind. Über Neueinstellungen entscheidet künftig also nicht mehr der einzelne Professor oder die einzelne Professorin, sondern das Kollektiv. Die Lehrstuhlinhabenden verzichten damit auf einen Teil ihrer Privilegien. Die Vorteile liegen aber auf der Hand: Erstens sind die wissenschaftlichen Mitarbeitenden dadurch weniger abhängig von Einzelpersonen. Zweitens kann dadurch die Zahl der Dauerstellen erhöht werden.

Wie kann man seine Musialas behalten?

Aus dem Nichts kommt dieses Modell nicht. "Eigentlich ist die Struktur, die wir jetzt durchsetzen wollen, international völlig üblich", meint Rosefeldt. Vor allem im angloamerikanischen Raum arbeite man mit solchen Departmentmodellen. Wie attraktiv sie für den wissenschaftlichen Nachwuchs sind, erlebt er immer wieder schmerzhaft. Die Besten gehen weg, oft nach England oder in die USA. Und die HU muss auch noch froh sein darüber, weil man den Leuten selbst keine Perspektive bieten kann. Paradox nennt Rosefeldt diese Situation und greift (was er gerne tut) zu einer Fußballanalogie. Das sei in etwa so, als würde der FC Bayern seinen besten Mann zu Real Madrid wegloben. Man verscheucht also seine Musialas.

Dem soll durch die neuen Dauerstellen Abhilfe geschafft werden. Zwar würde die Zahl der verfügbaren Stellen dadurch insgesamt geringer, so Rosefeldt, "aber es gibt dann wirklich gute Karrieren in unserem Fach". Wer eine Postdoc-Stelle ergattere, der können damit rechnen, dass er (oder sie) seinen (oder ihren) Weg in der Wissenschaft macht und nicht, wie heute nicht unwahrscheinlich, mit Mitte 40 auf der Straße steht.

Die Reform stößt auch auf Kritik

Das Argument, dadurch würde der Unibetrieb "verstopft", das in der deutschen Debatte gerne bemüht wird, um die universitäre Befristungspraxis zu rechtfertigen, weist Rosefeldt zurück. Es sei klar, dass die neuen Dauerstellen (jenseits sogenannter Tenure Tracks, die auf Professuren zulaufen) nicht nur Lehr- und Verwaltungsaufgaben übernehmen sollten. Denn: "Man kann keine gute Lehre machen, wenn man nicht auch forscht in der Philosophie." Er rechnet deshalb damit, dass diese Stellen für die allermeisten Mitarbeitenden keine beruflichen Endstationen darstellen. Auch hier werde es Fluktuation geben. "Und zweitens", so Rosefeldt, "ist das Verstopfungsargument erst dann valide, wenn man davon ausgeht, dass alle Stellen gleichzeitig besetzt werden." An seinem Institut will man deren Vergabe deshalb staffeln, verteilt über die nächsten Jahre.

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Tobias Rosefeldt im Jahr 2019 auf der Phil.Cologne

Kritik gibt es jedoch auch unabhängig von diesem Einwand. Und das ausgerechnet von Kolleginnen und Kollegen. Skeptisch ist zum Beispiel der Münchner Soziologieprofessor Armin Nassehi. Schon auf Twitter mahnte er an, dass eine kollektive Vergabe von Mitarbeiterstellen die wissenschaftliche Vielfalt bedrohe. "Wissenschaft lebt von Diversität", so Nassehi in einer Stellungnahme gegenüber dem BR, "von konträren Ansätzen, von idiosynkratischen Orientierungen. Sobald man gemeinsam entscheidet, vor allem über Personal, entstehen (...) Gefahren: Es kommen nur noch die durch, auf die sich alle einigen können, was zu einer Uniformität führt und sicher nicht die Besten befördert."

Ähnlich skeptisch argumentiert auch Sabine Döring, ehemals Philosophieprofessorin und seit Anfang des Jahres Staatssekretärin im Bildungsministerium, die auf Twitter vor einer "Tyrannei der Mehrheit" warnt.

Ist die wissenschaftliche Vielfalt bedroht?

Ihn wunderten diese Einwände ein wenig, so Rosefeldt, bei der Bestzung von Professuren laufe es schließlich nicht anders. "Die eigentlich wichtigen Stellen werden immer im Kollektiv vergeben, also über Gremien. Und da wird es immer die Sorge geben, dass Vielfalt dort keinen Platz findet, weil das Gremium eine Mehrheitsmeinung vertritt. Also das generelle Problem – wenn es denn eines ist – hat man auf professoraler Ebene ohnehin." Außerdem sei es genauso problematisch, wenn wissenschaftliche Mitarbeitende sich methodologisch und inhaltlich in Nischen bewegten, ohne je gezwungen zu sein, den eigenen Ansatz auch gegenüber anderen Positionen zu verteidigen.

Von einer "vorgetäuschten Vielfalt" spricht Rosefeldt hier. "Insofern finde ich das Argument tatsächlich problematisch, weil es dazu einlädt, Leute zu fördern, bei denen von Anfang an klar ist, dass sie sich immer nur in ihrem eigenen Umfeld bewähren können und vielleicht nicht in der Lage sind, ihren Ansatz einem breiteren Gremium plausibel zu machen."

Trotzdem ist auch Rosefeldt bewusst, dass die Gefahr, dass bestimmte Forschungszweige durch die neue Struktur an den Rand gedrängt werden, eine ist, die adressiert werden muss. Hier sei auch "Vertrauensbildung" nötig, meint er. "Man darf nicht den Eindruck entstehen lassen, dass dadurch, dass man zukünftig Entscheidungen kollektiv trifft, die die 'Schwachen', die methodologischen oder inhaltlichen Minderheitenpositionen von der Mehrheit wegrationalisiert werden." Diese Erfahrung hat er auch am eigenen Institut gemacht. Sieben von insgesamt elf Lehrstühlen haben sich auf den Reformvorschlag eingelassen. Einen Zwang gab es nicht.

Warten muss nicht sein!

Inwieweit ein Modell, dessen Durchsetzung auch in einem gewissen Umfang von zwischenmenschlichem Vertrauen, von Kollegialität abhängig ist, sich auch an anderen Instituten wird etablieren lassen, bleibt eine offene Frage. Entscheidend wird sein, wie sich das Experiment in Berlin entwickelt. Sowieso muss erstmal der Reformvorschlag des Instituts durch die anderen universitären Gremien. Bis dann die Erfolge des neuen Modells sichtbar sind, werden Jahre vergehen.

Eine gute Nachricht hat die Sache aber schon jetzt: Die Wissenschaft muss nicht zwangsläufig auf den Bund warten, um Dinge zu ändern, die offenbar nicht gut laufen. Mit der Reform des WissZeitVG könnte es jedenfalls noch ein bisschen dauern.

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