Philipp Oehmke
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Journalist und Autor Philipp Oehmke 2014 auf der Frankfurter Buchmesse

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Moderne "Buddenbrooks"? "Schönwald" von Philipp Oehmke

Philipp Oehmke, seit langem Kulturreporter beim "Spiegel", hat jetzt ein ambitioniertes Romandebüt vorgelegt: "Schönwald", ein Familienroman, der ein großer Wurf sein will. Er ist in der Tat mitreißend, doch zuweilen gerät er zur Karikatur.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Eins kann man Philipp Oehmke nicht vorwerfen: falsche Bescheidenheit. Gleich in seinem ersten Roman misst er sich mit den ganz Großen – oder eifert ihnen zumindest nach. Denn es gibt was, das seiner Meinung nach fehlt auf dem deutschen Buchmarkt: der große Familien- und Gesellschaftsroman. Das mit den Buddenbrooks ist schon eine Weile her. Und Amerika ist weit weg. Dort ist das Genre nämlich höchst populär – und prominent vertreten durch Autoren wie Philip Roth, Richard Ford und vor allem Jonathan Franzen, in dessen Familienporträts sich wie nebenbei immer auch die ganze Nation spiegelt.

Das grenzt an eine Karikatur

Und so soll es auch bei Oehmke sein. Nur, dass ihm dieses "wie nebenbei" null gelingt. Dass die fünf Schönwalds - ein Elternpaar und ihre drei bereits erwachsenen Kinder - die deutsche Familie schlechthin sind und in ihren Konflikten auch unsere Gegenwartsgesellschaft sichtbar wird, das kündigt der Roman in derart grellen Farben an, dass man annehmen könnte, das Ganze sei eine Karikatur.

Alleine die Figuren: Da wäre etwa Chris, ein über einen MeToo-Skandal gestürzter Professor für postmoderne Literaturtheorie in New York, der ins Trump-Lager abdriftet. Oder Karolin, die uneingestanden lesbische Besitzerin eines queerfeministischen Buchladens in Berlin, geplagt vom Leistungsunter- und Besonderungsüberdruck, den diese Stadt erzeugt. Oder schließlich Benni, ein so austherapiertes wie untherapierbares Mathematikgenie mit Milliardärsgattin, das in einem Fertighaus in der Brandenburgischen Provinz seine Ehe aushält.

Schweigen ist Trumpf

In einem Wort: Menschen wie du und ich. Oder auch nicht. Aber zumindest Menschen, in deren Leben sich ein ganzer Strauß von Gegenwartsdebatten mischt. Und – auch das ein sehr deutsches Thema – viel Verdrängtes.

"Es ist das ewige Besprechen und Auseinandernehmen der Probleme, erklärte sie ihrem Sohn, das die wahren, auf alle Zeiten unheilbaren Wunden verursache. Die Konflikte auf sich beruhen zu lassen, sie mit aller Kraft zu ignorieren, sie sogar, wenn man so wolle, unter den Teppich zu kehren, hingegen sei eine menschlich erprobte und bewährte Überlebensstrategie." Aus "Schönwald" von Philipp Oehmke

So erklärt es im Buch Ruth, die Mutter und, wenn man so will, Spiritus Rektor der Schönwalds, ihrem Sohn Chris: Schweigen ist Trumpf. So verschieden ihre Lebenswelten sind – von New York über Berlin und Brandenburg bis nach Köln, wo die Eltern leben – diese Haltung verbindet alle Figuren. Und sie verleiht dem Roman den Drive, der einen mit viel Tempo durch die 500 Seiten surfen lässt.

Familientreffen in Berlin

Dramaturgisch läuft der Roman auf ein Familientreffen in Berlin zu. Anlass: die Eröffnung jener queerfeministischen Buchhandlung, von der schon die Rede war. Und weil alle - ganz gemäß des mütterlichen Schweigegebots - so viel Ungesagtes, so viel schwelenden Konfliktstoff mit sich herumtragen, kommt es am Ende natürlich zu großen Enthüllungen: Chris ist rechts, Karolin lesbisch – und Ruth selbst hat ihren Mann jahrelang betrogen.

Das ist erstens süffig geplottet und zweitens interessant, weil Oehmke das Mantra von Ruth "never complain, never explain" (Niemals klagen, niemals erklären), weil er also dieses vermeintlich toxische Boomer-Mantra nicht nur entlarvt, sondern auch seine Pragmatik ausleuchtet, zeigt wie es diese Familie stabilisiert hat. Reden hilft – mit einer derart betulichen Botschaft kommt der Roman nicht ums Eck. Das Schweigen brutal sein kann – und gleichzeitig nachsichtig, diese Ambivalenz arbeitet Oehmke wahnsinnig gut heraus.

Der Nazi-Opa als Sponsor

Und eigentlich hätte er es dabei belassen können. Aber er schreibt ja den Roman einer deutschen Familie. Und was darf da nicht fehlen, wenn es ums Verschweigen und Verdrängen geht? Klar, die Nazis. Und so wölkt über den Schönwalds auch noch der Verdacht, dass das Geld, mit dem der queerfeministische Buchladen finanziert wird, von einem Nazi-Opa erwirtschaftet wurde.

Bei wem es jetzt klingelt: Richtig, es gab vor zwei Jahren einen ähnlichen Fall in Berlin. Damals waren die Vorwürfe allerdings sehr konkret. Im Roman bleibt der Verdacht dagegen völlig diffus. Und die Nazinummer nicht mehr als billiger, brauner Bühnennebel, mit dem die Story ein bisschen angegruselt wird. Kurz: unangenehmer Bedeutsamkeitskitsch.

"Schönwald" von Philipp Oehmke ist bei Piper erschienen.

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